# taz.de -- Grabanlage in der Totenstadt von Sakkara: Queerness im Land der Pharaonen
       
       > Die Spekulationen sind zahlreich: In welcher Beziehung standen wohl die
       > beiden gemeinsam in Sakkara begrabenen Männer zueinander?
       
 (IMG) Bild: Relief in der vor rund 4.500 Jahre errichteten Grabstelle von Nianchchnum und Chnumhotep
       
       Mounir Basta war als Chefinspektor von Unterägypten mit der Wanddekoration
       [1][altägyptischer Gräber] vertraut. Was er am 12. November 1962 in einer
       Grabanlage in der Nekropole von Sakkara vorfand, verblüffte ihn jedoch. Das
       Grab war anders als alles, was er bisher in seiner Amtszeit gesehen hatte:
       Es zeigte zwei Männer in einer Verbundenheit, die sonst nur Ehepaaren
       vorbehalten war. Basta notierte: „Die Inschriften in dem Grab führen uns zu
       keiner Lösung, was die Beziehung der beiden angeht. Waren sie Brüder? Waren
       sie Vater und Sohn? Oder zwei Beamte im Palast des Pharao, die zu Lebzeiten
       eine innige Freundschaft unterhielten und diese im Jenseits fortführen
       wollten?“ Diese Fragen haben sich in der Folgezeit viele Forscher*innen
       gestellt.
       
       Bevor wir uns aber der Rezeptionsgeschichte zuwenden, zunächst ein Blick
       auf das Grab: Der rechteckige Ziegelbau aus der 5. Dynastie unter
       [2][Pharao Niuserre] wird ungefähr auf die Mitte des 3. Jahrtausends vor
       unserer Zeit datiert. Er ist eine sogenannte Mastaba, die aus einem
       Obergebäude und unterirdischen Sargschächten besteht. Dabei war nur der
       oberirdische Teil der Anlage für die Öffentlichkeit zugänglich. Er war für
       das Andenken an die Toten und die Niederlegung von Grabbeigaben bestimmt.
       
       Auf den horizontal verlaufenden Inschriften der beiden Säulen des
       Grabeingangs werden die Toten als „Aufseher der Maniküristen des Palasts“
       bezeichnet und als Nianchchnum und Chnumhotep benannt. Eine vertikale
       Inschrift über dem Eingang weist sie als „Vertraute des Königs, die als
       Maniküristen arbeiten“ und „Verwalter des Königs“ aus. Es handelte sich
       also um hohe Beamte des Pharao, denen die Gunst einer Bestattung auf einem
       Elitefriedhof zuteil wurde.
       
       Vieles in dem Grab deutet auf die besondere Beziehung der Toten hin: Auf
       einem Relief im Eingangsbereich sitzen sie dicht nebeneinander, wobei jeder
       einen Arm um den anderen legt. Auf einer anderen Abbildung unternehmen sie
       Händchen haltend eine Inspektionstour durch ihr Grab. Einmal sitzen sie
       sich in einer Bankettszene gegenüber und genießen ihre Opfergaben.
       Tänzer*innen, Sänger*innen und Musiker*innen treten zu ihrer
       Unterhaltung auf.
       
       Dabei ist Chnumhotep mehrmals beim Riechen an einer Lotusblume abgebildet,
       was in der Ikonografie als „weiblich“ markiert ist, und ihn als femininen
       Part des Duos ausweist. Mindestens zweimal sind sie in einer innigen
       Umarmung dargestellt. Ihre Nasen berühren sich dabei, was unserer Form des
       Kusses entspricht. Auch eine Inschrift in der vorderen Grabkammer weist auf
       die Exklusivität der Beziehung hin. In ihr wird ausdrücklich festgelegt,
       dass die Grabbeigaben nur für die beiden Männer bestimmt sind und jede
       Einmischung ihrer Familien untersagt.
       
       ## Liebespaar oder Geschwister
       
       Wir würden die beiden Maniküristen des Pharao heute wohl eindeutig als
       homosexuelles Paar identifizieren. Doch so einfach ist die Sache nicht. Die
       dänische Ägyptologin Linda Komperud hat sich intensiv mit der Ikonografie
       und Rezeptionsgeschichte des Grabes befasst: Lange Zeit hat man die Toten
       als Brüder oder Zwillinge interpretiert. Erst Ende der 80er Jahre des
       vorigen Jahrhunderts ging man von einem Liebespaar aus. Danach wechselten
       sich Zwillings-, Brüder- und Homosexuellentheorien in bunter Reihenfolge
       ab. Zwischenzeitlich wurde auch eine Transgeschlechtlichkeit der
       Bestatteten in Erwägung gezogen.
       
       Referenzpunkt war hier das Wort „Hm“, was „nicht männlich“ bedeutet und
       häufig im Grabkontext vorkommt. Heute ist man aber wieder zur
       Zwillingshypothese zurückgekehrt, wobei die Deutung als Homosexuellenpaar
       nicht ausgeschlossen wird.
       
       Was für die Interpretation von Nianchchnum und Chnumhotep als eineiige
       Zwillinge spricht, sind die identischen Titel und die Kleidung der Toten
       sowie die Ähnlichkeit ihrer Namen. Die Tatsache, dass in dem Grab auch ihre
       Ehefrauen und Kinder abgebildet sind, könnte als Indiz für beide Theorien
       gelten. Allerdings sind die Frauen gerade viermal, die Männer zusammen
       dagegen 30-mal zu sehen, was ziemlich ungewöhnlich ist. Einen starken Beleg
       für die Interpretation als Homosexuellenpaar stellt die Grabikonografie
       dar, die identisch mit Mann-Frau-Abbildungen in anderen Gräbern ist. Auch
       die Tatsache, dass die Ehefrau eines der beiden Bestatteten bewusst aus
       einer Grabszene entfernt wurde, unterstützt diese Interpretation. Leider
       gibt es keinen ägyptischen Grabkontext, der als Vergleich für die typische
       Nähe zwischen Zwillingen herangezogen werden kann.
       
       Selbst wenn es für beide Theorien gute Gründe gibt, ist der
       [3][heteronormative Bias der Archäologie] zu beachten, auf den Komperud
       verweist: Werden ein Mann und eine Frau zusammen abgebildet, [4][wird
       selbstverständlich von einem Paar ausgegangen,] während eine
       gleichgeschlechtliche Beziehung immer bewiesen werden muss.
       
       Dabei wird die unreflektierte Annahme einer heterosexuellen Beziehung als
       wissenschaftliche Objektivität verstanden. Bei gleichgeschlechtlichen
       Interpretationen geht man dagegen von einer persönlichen Betroffenheit der
       Autor*innen aus. So wurde Greg Reeder, der als Erster die Idee von
       Nianchchnum und Chnumhotep als Liebespaar aufbrachte, von anderen
       Wissenschaftler*innen als „Homosexueller mit einer persönlichen
       Agenda“ diskreditiert.
       
       Eine gewisse Voreingenommenheit stellt auch die Münchner [5][Ägyptologin
       Julia Budka] mit Blick auf ihr Fach fest: „Eine starke Prüderie und ein
       Fokus auf Heteronormativität sind sehr deutlich“, womit die Ägyptologie in
       den Altertumswissenschaften aber nicht alleine sei. Allerdings trage die
       christlich-bürgerliche-Prägung des Faches viel zur Verstärkung dieser
       Tendenzen bei.
       
       Zugleich warnt sie davor, moderne Konzepte wie Homosexualität oder
       Transgeschlechtlichkeit umstandslos auf antike Gesellschaften zu
       übertragen. Zwar habe es auch im Altertum gleichgeschlechtliche Beziehungen
       gegeben. Diese seien allerdings anders konnotiert gewesen. Grundsätzlich
       müsse man dabei zwischen sexuellen Handlungen und kulturell geprägten
       Vorstellungen von Sexualität unterscheiden. So kannte man in Ägypten keine
       strikte Trennung zwischen Homo- und Heterosexualität. Auch die Vorstellung
       einer sexuellen Identität war unbekannt. Sexuelle Vorlieben seien in der
       Antike eher wie Geschmackspräferenzen behandelt worden und waren für die
       Persönlichkeit eines Menschen weniger relevant.
       
       Dabei, so Budka, sei auch zu beachten, dass gerade die altägyptische Kultur
       eine große körperliche Nähe zwischen Männern kenne, ohne dass diese
       „schwul“ in unserem Sinne gewesen seien. Nianchchnum und Chnumhotep
       könnten von daher sehr gut Brüder oder Zwillinge gewesen sein. Andererseits
       sei auch die Darstellung inniger Nähe zwischen Männern in einem Grab des
       alten Reiches einzigartig und bislang unbekannt.
       
       Eine endgültige Klärung des Sachverhalts ist offensichtlich nicht möglich.
       Und das ist auch gut so. Vielleicht ist es gerade die sexuelle
       Mehrdeutigkeit, die die anhaltende Faszination der letzten Ruhestätte der
       Maniküristen des Pharao ausmacht.
       
       17 Apr 2021
       
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