# taz.de -- Impfgerechtigkeit und Priorisierung: Pragmatisch und ungerecht
       
       > Einfach alle ohne Reihenfolge zu impfen, klingt verheißungsvoll. Aber
       > dabei bleiben die Schwächeren auf der Strecke.
       
 (IMG) Bild: Streng nach der Priorisierung: Impfung einer Lehrerin in Hannover am 10. März
       
       Sachsen will an der Grenze zu Tschechien, wo die Coronazahlen kaum
       kontrollierbar sind, die festgelegte Impfreihenfolge aufheben. Alle ab 18
       aufwärts sollen so schnell wie möglich geimpft werden. Warum nicht gleich
       so, rufen jetzt viele – und warum nicht überall? Wir haben jetzt doch
       gemerkt, dass die deutsche Impfbürokratie dem Virus nicht gewachsen ist.
       Können wir jetzt nicht einfach alles in die Oberarme drücken, was geht –
       statt darauf zu warten, dass auch die letzte Greisin ihren Weg zum
       Impfzentrum gefunden hat?
       
       Nein, nicht ganz. Es bleibt richtig, die am stärksten Gefährdeten zuerst zu
       impfen. Jede andere Lösung – etwa eine Priorisierung nach
       Verbreitungswahrscheinlichkeit – ist nicht nur ethisch schwer zu vertreten.
       
       Es steckt auch eine andere Form der Gerechtigkeit in der Priorisierung: Sie
       soll gewährleisten, dass sich nicht die Stärksten vordrängeln. [1][Die
       vielen Beispiele von Kommunalpolitikern und anderen] ehrenwerten
       Sich-wichtig-Nehmern zeigen, dass diese Gefahr sehr groß ist.
       
       Und sie wird wachsen, wenn die HausärztInnen das Impfen übernehmen. Es mag
       pragmatisch und angebracht klingen, das Impfen in die Praxen zu verlegen.
       Aber wer kontrolliert eigentlich, ob dort tatsächlich das größte Risiko
       entscheidet – und nicht etwa eine Privatversicherung oder andere
       Virus-fremde Erwägungen?
       
       Das bisschen Impfstoff, das Deutschland sich gesichert hat, findet seinen
       Weg quälend langsam zu den Berechtigten – die neuen Mutanten sind schnell.
       Der Druck, die Impfreihenfolge zu realitätsfernem Gedöns zu erklären,
       wächst. Die Notmaßnahme in Sachsen wird kein Einzelfall bleiben.
       
       Wenn aber die Priorisierung massenhaft unterlaufen wird, muss niemand lange
       raten, wen das treffen wird: die schlecht Artikulierten mit
       Vorerkrankungen. Das sind meist die Ärmeren, oft MigrantInnen, ohne
       institutionelle Zugänge. Sie bekommen den rettenden Stoff dann als Letzte
       oder Vorletzte. Wenn Covid-19 sie nicht vorher erwischt hat.
       
       10 Mar 2021
       
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