# taz.de -- Soziale Müslirösterei: Für ein korrektes Frühstück
       
       > Der Lüneburger Müslihersteller Heyho gibt Menschen eine Chance, die sonst
       > auf dem Arbeitsmarkt chancenlos wären. Ein Besuch in der Röststube.
       
 (IMG) Bild: Von der Hand in das Glas: Alle Sorten bei Heyho sind vegan
       
       Lüneburg taz | Ein Hauch von [1][Weihnachten] liegt in der Luft in einem
       Industriegebiet in Lüneburg, und das mitten im Januar. In der Rösterei der
       Müsli-Manufaktur Heyho wird heute die Sorte „Apfel Stroodle“ verbacken, mit
       einer ordentlichen Ladung Kardamom und Zimt. Dazu läuft Radio-Pop, bei den
       Backstreet Boys wird auch mal beherzt mitgesungen. Die Stimmung ist gut,
       trotz eines Personalengpasses. Geschäftsführer Christian Schmidt steht
       hinten im Lager und klebt Etiketten. „Mir macht das Spaß, wenn ich mit
       anpacken kann wie am Anfang.“
       
       Dieser Anfang liegt noch nicht so lange zurück. Doch seitdem ist viel
       passiert: 2017 gründeten Stefan Buchholz, Timm Duffner und Christian
       Schmidt die „soziale Müsli-Rösterei“ Heyho. Ihr Antrieb ist es, Menschen,
       die sonst niemand einstellt, eine berufliche Teilhabe zu ermöglichen.
       
       Welches Produkt dabei entstehen sollte, war zunächst nachrangig. „Die
       Entscheidung fiel auf Müsli, weil es für Menschen, die nicht qualifiziert
       sind, leicht herzustellen ist“, erklärt Timm Duffner, der früher für
       Unilever und Ben & Jerry’s gearbeitet hat. „Außerdem steht es
       stellvertretend für das, was wir mit unserem Konzept anstoßen wollen: einen
       guten Start in den Tag für alle.“
       
       Duffner weiß, dass man sich von der Masse abheben muss, um auf dem hart
       umkämpften Markt zu bestehen, zum Beispiel über kreatives Design, über
       ungewöhnliche Sortennamen mit einer Extraportion „Feelgood-Approach“ wie
       „Peanut Power to the People“ oder „Frühsportfreunde“, aber auch durch
       besondere Zutaten. Kurkuma, Agavensirup, karamellisierte Nüsse und
       schokolierte Salzbrezeln kommen bei Heyho ins Müsli, alle Sorten sind
       vegan.
       
       ## Sechs Mitarbeiter mit besonderen Biografien
       
       Mit Konzept und Geschmack trafen die Gründer einen Nerv. Produzierten sie
       anfangs in der stundenweise angemieteten Mensa der Leuphana-Universität,
       wird nun in eigenen Räumen an fünf Tagen in der Woche gebacken. Aus vier
       Sorten sind sechs geworden. Und 27 Menschen arbeiten mittlerweile bei
       Heyho, sechs von ihnen haben eine besondere Biografie. Langfristig sollen
       es 30 Prozent der Belegschaft werden, so halten es auch andere soziale
       Unternehmen.
       
       Einer der Mitarbeiter mit brüchiger Biografie ist Romano Lai. Von seinen 50
       Lebensjahren war er 26 Jahre arbeitslos und davon 14 heroinabhängig, auch
       mehrere Gefängnisaufenthalte hat Lai hinter sich. Beschaffungskriminalität.
       Inzwischen ist er substituiert, einmal die Woche erhält er Polamidon vom
       Arzt verabreicht. Seit zwei Jahren hat Romano Lai bei Heyho einen
       unbefristeten Vertrag, 32 Stunden pro Woche. Er befüllt und etikettiert
       Gläser, wiegt ab, backt, jeder Handgriff sitzt.
       
       Die Arbeit habe für ihn alles verändert, sagt er, zum Positiven. Das
       Gefühl, gebraucht zu werden, dass Kollegen ihm auf Augenhöhe begegnen, gibt
       ihm Kraft und die psychische Stabilität, nicht wieder in die Szene
       abzurutschen. „Ich bin so froh, dass ich davon weg bin. Ich habe endlich
       Struktur, bin nach der Arbeit im guten Sinne ausgepowert und froh, einfach
       nach Hause zu kommen.“ Er selbst esse allerdings nicht gern Müsli. „Das ist
       ein alter Knastschaden. Da gab es ständig Hafer.“
       
       Bei aller Harmonie gebe es natürlich auch mal Konflikte, sagt Lai. „Hier
       treffen so viele verschiedene Charaktere zusammen, Ex-Junkies, ehemalige
       Alkis, psychisch Kranke. Natürlich knallt das mal.“ Oft geht es um
       Kleinigkeiten, wer fängt wann an mit dem Reinigungsdienst, wer arbeitet wie
       effizient.
       
       Den Kontakt zu Romano Lai hatte Mitgründer Stefan Buchholz hergestellt, der
       16 Jahre lang eine Unterkunft für wohnungslose Menschen leitete. Er kennt
       viele Menschen, die zurück in die Gesellschaft wollen, aber nicht gelassen
       werden.
       
       Teil des Teams ist auch der aus dem Iran stammende Milad, der aus Angst vor
       der iranischen Regierung nicht mit vollem Namen genannt werden möchte. Ohne
       Berufsausbildung hatte er Startschwierigkeiten in Deutschland, war lange
       arbeitslos. „Man hat mich nirgends verstanden, nicht mein Deutsch und auch
       nicht meine Art“, sagt Milad. „Aber hier kann ich mit den Leuten sprechen,
       muss nicht immer ernst sein und kann auch mal Quatsch machen.“
       
       Bei Heyho hat Milad nicht nur einen unbefristeten Job gefunden, sondern
       auch sein neues Zuhause: Gemeinsam mit drei Kolleginnen lebt er inzwischen
       in einer Neuner-Studi-WG, mit einer von ihnen, Amelie Geray, backt er heute
       eine Vierteltonne Granola. 50 Kilogramm Hafer passen in die große Wanne, in
       der die beiden alle Zutaten mischen, sie dann auf Backbleche verteilen, in
       den Ofen schieben und schließlich in Eimer abfüllen. Dass dafür voller
       Körpereinsatz gefragt ist, sieht man an der klebrigen Mischung aus
       Agavendicksaft, Kokosöl, Gewürzen und Haferflocken, die Gerays T-Shirt
       verziert.
       
       Noch schreibt das Unternehmen keine schwarzen Zahlen, doch dieses Jahr
       könnte sich das ändern. Immer mehr Bio- und Feinkostläden, zum Teil auch
       Supermärkte, nehmen das sozial geröstete Müsli in ihr Sortiment auf. Dabei
       sind 7 Euro für ein 300-Gramm-Glas alles andere als sozialverträglich. Als
       Gründe für den happigen Preis zählt Christian Schmidt auf: hochwertige
       Bio-Rohstoffe aus der Region, Handarbeit und eine faire Bezahlung von
       Anfang an.
       
       ## Umverteilung am Müsliregal
       
       „Es geht um eine Art Umverteilung: Wer sich das Produkt leistet, verdient
       vermutlich gut und kann Menschen helfen, denen es weniger gut geht“, sagt
       Schmidt, der aus seinem früheren Job in der Werbebranche das
       Marketing-Know-how mitgebracht hat. Alle Festangestellten bei Heyho haben
       eine Viertagewoche und werden mit 13 Euro pro Stunde weit über dem
       Mindestlohn bezahlt. Die Mitarbeiter in Verantwortung, also die
       Geschäftsführer und der Produktionsleiter, verdienen allerdings mehr – wie
       viel, das soll bald ein transparentes Bezahlmodell offenlegen.
       
       Heyho soll zum Nachahmen anregen, ein Leuchtturmbetrieb für positive
       Lebensmittelproduktion werden, sagt Christian Schmidt. Mit ihrem Idealismus
       stoßen die drei Gründer dabei mitunter an Grenzen.
       
       Einer ihrer Mitarbeiter, ein trockener Alkoholiker, darf sich zu seiner
       kleinen Rente monatlich nur 160 Euro dazuverdienen, weswegen er nur vier
       Stunden pro Woche arbeitet. „Er will was tun, findet bei uns Anschluss und
       Halt und darf nicht. Das ist doch ein Fehler im System“, sagt Schmidt. Und
       als die ersten Arbeitsverträge rausgingen, da habe es Anrufe von der
       Agentur für Arbeit gegeben: Ob sie denn nicht wüssten, dass sie niemanden
       unbefristet einstellen müssen. „Dass wir das ganz bewusst so wollten, hat
       keiner verstanden.“
       
       21 Feb 2021
       
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