# taz.de -- Politische Willkür in Belarus: Top Ten der absurden Verhaftungen
       
       > Die Machthaber stellen eine Hitparade des Strafvollzugs zur Verfügung.
       > Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 58.
       
 (IMG) Bild: Eine Demonstrantin wird Ende März in Minsk festgenommen
       
       Im letzten halben Jahr wurden mehr als 32.000 Belaruss*innen verhaftet.
       Oft wurden dabei nicht einmal die einfachsten rechtlichen Standards
       eingehalten. Und einige Verhaftungsgründe erscheinen einfach blödsinnig. Es
       könnte lustig sein – wenn es nicht so traurig wäre. Das Schattenkabinett
       von Swetlana Tichanowskaja hat eine Liste der absurdesten Verhaftungen und
       Strafen veröffentlicht, die deutlich zeigen, wie es um den Strafvollzug in
       Belarus bestellt ist.
       
       1) Protest mit Mäusespeck 
       
       Die 75-jährige Iraida Misko, promovierte Agrarwissenschaftlerin, mehr als
       40 Jahre in einem Forschungsinstitut tätig, hat ein Foto von einem
       [1][weiß-rot-weißen Stück Mäusespeck] veröffentlicht, einer Süßigkeit, die
       seit Jahren von der Fabrik Roter Mozyryan hergestellt wird. Bald darauf
       kamen Siloviki (Einsatzkräfte aus Armee und Geheimdienst, Anmerkung d.
       Redaktion) zu ihr nach Hause, durchsuchten ihre Wohnung, beschlagnahmten
       ihren Computer und forderten eine Strafe von 540 Rubel (umgerechnet etwa
       180 Euro). „Ja, so drückt sie ihren Protest aus. Mit Mäusespeck!“, gab der
       Chef der Miliz, Evgenij Semaschko, zu Protokoll.
       
       2) Armenspeisung 
       
       Zwei Freiwillige des Projektes Straßenmedizin, Karina Radtschenko und
       Tatjana Lobosa, wurden dafür verhaftet, dass sie Obdachlosen halfen. Beide
       Mädchen erhielten für die Verteilung von Suppe je 15 Tage Arrest.
       
       3) Gemeinsames Teetrinken 
       
       Einige hundert Menschen wurden während der Zeit des nachbarschaftlichen
       Teetrinkens in den Hinterhöfen verhaftet. Man verurteilte sie zu Geld- und
       Verwaltungsstrafen nach dem üblichen Schema, obwohl es völlig
       unverständlich blieb, welche Gesetze sie gebrochen haben sollten.
       
       4) Ausweiskontrolle 
       
       Stepan Latypow bat die Mitarbeiter der Miliz, das zu tun, wofür sie nach
       dem Gesetz verpflichtet sind: sich auszuweisen. Dafür wurde der Anwohner
       des [2][Platzes der Veränderungen] verhaftet und sitzt seit vier Monaten
       hinter Gittern. Während seiner Haftzeit wurde er bereits einmal ins
       Krankenhaus eingeliefert.
       
       5) Problematische Hose 
       
       Ljubow Sarlaj aus Grodno, zweifache Mutter, wurde wegen einer weiß-rot-weiß
       gestreifter Hosen verhaftet. Die Hose hatte sie so gekauft. Die Frau trägt
       diese Hose seit 2014 und hatte bis dahin noch nie Probleme damit gehabt. Im
       Protokoll der Festnahme stand, „die Farben der Hose stören die
       öffentlich-politische Ordnung.“ Die Frau erhielt eine Strafe von 580 Rubel
       (umgerechnet etwa 190 Euro). Die Summe ist höher als ihr Monatsgehalt.
       
       6) Die falsche Flagge 
       
       Witalij Buinowskij hat auf seinem Eigenheim in Dserschinsk die japanische
       Flagge gehisst – ein roter Kreis auf weißem Grund. Das wurde als nicht
       genehmigter Streikposten angesehen. Der Mann saß zwei Tage in Einzelhaft.
       Zuvor war er fünf Mal zu Geldstrafen von umgerechnet insgesamt etwa 650
       Euro verurteilt, darunter einmal für eine Flagge mit der Aufschrift „Dies
       ist keine Flagge“. „Vielleicht werden sie mich demnächst auf die Liste
       japanischer Spione setzen? So etwas gab es schon in der Geschichte und man
       kann nicht verhindern, dass es wieder geschieht“, glaubt Witalij.
       
       7) Ein polnischer Regenschirm 
       
       „Sie trug einen weiß-rot-weißen Regenschirm in der Hand“, dieser Grund für
       eine Strafe fand sich im Protokoll der 65-jährigen Maria Rewutskaja. Die
       Rentnerin aus Minsk kam am 3. Januar aus dem Gottesdienst – mit einem
       rot-weißen Schirm mit der Aufschrift Polska (Polen), der vor über zwanzig
       Jahren aus Polen mitgebracht worden war. Die Frau erzählt, dass sie schon
       in der Fußgängerunterführung war, als sechs junge, schwarz gekleidete
       Männer auf sie zukamen und sagten „Kommen Sie mit!“
       
       Für ihren Spaziergang mit Schirm erhielt die Frau eine Strafe von 870
       Rubeln (umgerechnet etwa 280 Euro). „Sie haben gesagt, wenn ich die Strafe
       nicht innerhalb eines Monats bezahle, geht mein gesamter persönlicher
       Besitz in Staatseigentum über. Das wäre sehr schade: meine Sachen sind mir
       lieb und teuer. Aber das sind zwei Monatsrenten“, seufzt die Pensionärin.
       
       8) Weihnachtsmannkostüm 
       
       Zwei Mädchen aus Minsk hatten sich in der Neujahrszeit überlegt, Kindern
       auf der Straße Süßigkeiten zu schenken und dafür einen Wohltätigkeitslauf
       organisiert, bei dem sie im Weihnachtsmannkostüm Bonbons verteilen wollten.
       Das ganze lief ohne jeglichen politischen Kontext und ohne politische
       Losungen ab. Während dieser Zeit fanden in der belarussischen Hauptstadt
       auch die üblichen Protestaktionen statt. Und das war dann auch der Grund
       dafür, die beiden „Weihnachtsmänner“ zu verhaften: an dem Tag waren vier
       Busladungen von Silowiki in der Hauptstadt „ausgeladen“ worden, um
       Demonstrierende zu verhaften.
       
       9) Tanz um den Weihnachtsbaum 
       
       Die 59-jährige Alla Korolenko aus Gomel wurde zu 7 Tagen Arrest verurteilt
       – für den Tanz um einen Weihnachtsbaum im Wald am 25. Dezember. Es stellte
       sich heraus, dass das eine „aktive Teilnahme an einer nicht genehmigten
       Demonstration ohne Einwilligung des städtischen Exekutivkomitees“ gewesen
       war. Und obwohl die Frau bis zu diesem Zeitpunkt noch nie mit dem Gesetz in
       Konflikt gekommen war, urteilte der Richter Andrej Lagunowitsch, dass nur
       eine Haftstrafe sie umerziehen könne. Später erhielt sie noch einmal 15
       Tage für ein Foto mit einer Flagge der belarussischen sozialdemokratischen
       Partei, die offiziell registriert ist!
       
       10) Walzer tanzen 
       
       In Smolewitschi wurde eine ganze Schulklasse verhaftet, als sie auf dem
       Heimweg von einer Probe für den Walzer auf ihrem Abschlussball war. Die
       Jugendlichen wurden mit dem Gesicht zur Wand stellen, trotz Minusgraden,
       und mussten so einige Zeit stehen bleiben.
       
       [3][Eine Lehrerin], die früher an diesem Gymnasium unterrichtet hatte, gab
       kurz Auskunft über die Schüler*innen dieser Klasse: Es ist die
       leistungsstärkste Klasse, vier Jahre in Folge wurden sie als „Klasse des
       Jahres“ ausgezeichnet. Fünf der Schüler*innen werden mit einer
       Goldmedaille für gutes Wissen abschließen, drei sind Vertreter*innen
       der Schulgebietskonferenz. In der Klasse gibt es mehrere
       Preisträger*innen von Wissensolympiaden, Musikwettbewerben und
       Sportwettkämpfen.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       2 Mar 2021
       
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