# taz.de -- Unterricht in Belarus: Protest macht Schule
       
       > In den Klassenzimmern positionieren sich die Lehrkräfte zur politischen
       > Lage. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 16.
       
 (IMG) Bild: Minsk am 25. August: Lehrer und Lehrerinnen protestiern vor dem Erziehungsministerium
       
       Meine Tochter wechselte auf eine neue Schule, aus der Provinz in die
       Hauptstadt. Wie gewöhnlich waren Dinge wie Lineale zum Schulbeginn am 1.
       September überall ausverkauft. Aber so etwas wie jetzt hat sie zum ersten
       Mal erlebt. Die Machthaber haben sich bemüht, Massenveranstaltungen zu
       verhindern. Aber der Unterricht fand nach Stundenplan statt.
       
       Die neue Kunstlehrerin begann ihre erste Stunde mit einer Erklärung. „Ich
       sage es euch gleich: Ich hupe auch auf der Straße (so drücken Belarussen
       ihren [1][Protest] aus) und trage ein weißes Band (das bedeutet: für die
       oppositionelle Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja), nur am
       1. September hab ich es abgenommen.“
       
       Später sagte sie: „Ich habe euch vorgewarnt bezüglich meiner politischen
       Haltung, damit es keine Unklarheiten gibt.“ In dieser Zeit war die
       politische Lage sehr angespannt. Ehemalige Schüler:innen brachten ihre
       Abschlusszeugnisse und Urkunden zu den Schulen und hängten sie dort an die
       Zäune.
       
       Flashmobs dieser Art fanden im ganzen Land statt. So drückten die jungen
       Leute ihre Wut auf die Lehrer:innen aus, die an den Wahlfälschungen
       beteiligt waren, so als wollten sie sagen: Wir schämen uns dafür, dass Sie
       uns unterrichtet haben.
       
       An der gleichen Schule fragt neulich während der Englischstunde ein Schüler
       seine Lehrerin: „Und wie stehen Sie zu den aktuellen politischen
       Ereignissen in unserem Land?“
       
       Sie erwiderte: „Ich werde das nicht groß kommentieren. Aber eins möchte ich
       doch sagen: Es gefällt mir nicht, wie die Silowiki (Vertreter von
       Geheimdiensten und Militär, Anm. der Redaktion) mit den Leuten umgehen, das
       ist nicht richtig. Und nach den Wahlen hatte ich Angst. Mein Sohn arbeitet
       bis Mitternacht, und solange er mich nicht anruft, gehe ich nicht schlafen.
       Ich fürchte, dass sie ihn festnehmen, schlagen oder Schlimmeres mit ihm
       machen.“
       
       Am vergangenen Sonntag beging Belarus den 50. Protesttag. Im Land wurden
       mehr als 350 friedlich Demonstrierende festgenommen. Meine Tochter fuhr an
       diesem Tag mit dem Bus nach Minsk und sah, wie auf dem Gelände des
       Freilichtmuseums „Stalin-Linie“ demonstriert wurde: „Für Lukaschenko, für
       ein friedliches Belarus“! Solche Versammlungen, die dort zu Feiertagen
       stattfinden, werden normalerweise aus dem Staatshaushalt bezahlt. Dafür
       werden extra Busse gechartert und Leute aus dem Staatssektor eingeladen.
       Und natürlich gab es dort am Sonntag keine einzige Festnahme. Weil: Es war
       ja einen genehmigte Demonstration.
       
       Nach der [2][geheimen Amtseinführung Lukaschenkos] sagte ein Vertreter der
       Sicherheitskräfte: „Das Innenministerium wird so lange arbeiten, bis sie
       die Proteste unterdrückt haben. Und je länger das dauert, desto brutaler
       wird das Vorgehen. Und warum? Weil das System sich nicht beugen wird. Es
       ist stärker. Und es hat Waffen und Panzer.“
       
       Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey]
       
       30 Sep 2020
       
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