# taz.de -- Regieren in der Coronakrise: Betörende Verschwörungsmythen
       
       > Österreich will die Coronamaßnahmen lockern. Damit biedert sich die
       > Regierung von Sebastian Kurz an eine kleine Minderheit im Land an.
       
 (IMG) Bild: Österreich will wieder lockern: Sebastian Kurz bei der Verkündung
       
       Wir in Österreich starten kommende Woche ein heiteres virologisches
       Experiment, bei dem wir – also die normalen Leute – die Versuchskaninchen
       sind. Die Regierung [1][verkündete Lockerungen der Anti-Seuchen-Maßnahmen],
       obwohl die Infektionszahlen seit Wochen nicht mehr sinken, sondern
       teilweise sogar steigen und obwohl sich die infektiöseren
       Sars-CoV-19-Variationen gerade explosionsartig verbreiten.
       
       Die Modellrechnungen, wie das ausgehen wird, sind naturgemäß unexakt, die
       Möglichkeiten reichen von „schlimm“ bis „ganz katastrophal“. Bemerkenswert
       daran ist, dass die Regierung genau weiß, dass ihr Beschluss falsch ist,
       sich aber dazu gezwungen fühlte, diesen falschen Beschluss zu fällen, weil
       angeblich „die Bevölkerung“ nicht mehr mitgeht.
       
       Das muss dieses Leadership sein, von dem sie uns immer erzählen. Wir
       könnten hier natürlich die Frage aufwerfen, warum sich Sebastian Kurz, der
       vor ein paar Monaten noch überzeugt war, die Menschen würden ihm selbst
       dann zujubeln, wenn er vom Balkon des Kanzleramtes pinkeln würde, heute
       außerstande fühlt, „die Bevölkerung“ mit Vernunftargumentationen gewinnen
       zu können.
       
       Für ihre Entscheidung hat sich Österreichs Bundesregierung ein paar lustige
       Überlegungen zurechtgelegt. Eine lautet, dass die Maßnahmen nicht mehr
       befolgt werden, wohingegen lässigere Regeln eher akzeptiert würden, was im
       Ergebnis dann womöglich sogar besser wäre.
       
       Das erinnert ein wenig an die Laffer-Kurve, die nach einem Ökonomen benannt
       ist, der die Reagan- und Thatcher-Ära prägte. Die Legende sagt, der Mann
       habe seine Kurve bei einem Abendessen mit rechten Politikern auf eine
       Serviette gemalt. Seine These war: Wenn die Steuern für Reiche hoch sind,
       werden sie Steuervermeidung betreiben. Senkt man die Steuern, werden sie
       brav zahlen, sodass das faktische Steueraufkommen sogar höher wäre.
       Selbstredend ging die Sache in der Realität anders aus als im Märchenland
       des Ökonomen. Zu befürchten steht, dass es mit der Kurz-Kurve nicht sehr
       viel besser ausgehen wird.
       
       ## Keppelnde Österreicher
       
       Zu den Überlegungen der Regierung gehört auch die Behauptung, dass „die
       Bevölkerung“ gegen die Maßnahmen rebelliere, wofür 10.000 Menschen als
       Indiz herhalten müssen, die gegen die Maßnahmen demonstriert haben, plus
       viele Anekdoten von Leuten, die keppeln (österreichisch für meckern, d.
       Red.), weil sie – wie wir alle – erschöpft sind.
       
       Dass „die Bevölkerung“ gegen die Maßnahmen sei, dafür gibt es aber
       keinerlei belastbare Evidenz, im Gegenteil, alle Umfragen zeigen, dass
       zwischen 75 und 80 Prozent im Grundsatz jene Anti-Pandemie-Maßnahmen für
       unumgänglich halten, die ja faktisch alle Regierungen in Europa verhängen.
       [2][Wirklich dagegen sind gerade einmal 20 Prozent, die aber sind laut.]
       
       Ist ja nett, wenn man Wünsche von Minderheiten berücksichtigt, aber man
       könnte auch die der Mehrheit achten, nur so als Anregung? Ein Teil der
       Lauten glaubt an Verschwörungstheorien, und seien wir ehrlich, an
       irgendwelche vereinzelten Verschwörungsmythen glauben wohl auch Teile der
       Vernünftigen.
       
       Was wir Freunde der Logik staunend begreifen, ist, wie fesselnd und
       betörend diese Verschwörungsmythen sind. Manche Schnipsel davon haben wir
       womöglich selbst verbreitet, etwa, dass ein globales Netzwerk verruchter
       neoliberaler Politiker und Wirtschaftsbosse die Welt beherrschen wollen.
       
       Es gibt auch den Antikapitalismus für dumme Kerls, der von
       Konspirationsversimpeleien schwer unterscheidbar ist. Das gleiche gilt für
       Öko-Kritik an „Big Pharma“; und all diesen Kritiken ist ja zu eigen, dass
       sie mit Elementen der Wahrheit operieren. Sie sind nicht zwingend ganz
       falsch.
       
       ## Antiaufklärung
       
       Verschwörungserzählungen sind aber einfach auch interessant. Sie
       funktionieren wie ein guter Krimi: Es gibt ein zunächst einmal
       undurchschaubares Geschehen, und der Detektiv oder die Kommissarin deckt
       auf, „was dahinter steckt“. Man denke nur an die gefühlt Zigtausende Bücher
       zum Thema „Wer ermordete J. F. Kennedy wirklich?“ und Dokumentationen, die
       nach dem A-kennt-B-kennt-C-und-D-ist-tot-Muster funktionierten, bei denen
       schon ein raunender Verdacht als Beweis galt.
       
       Verschwörungserzählungen sind Antiaufklärung, die sich als Aufklärung
       geriert und sich deshalb als „kritisch“ zu wähnen vermag, da sich der
       Verschwörungsgläubige ja einbildet, er habe durch Hobbyforschen ein Wissen
       erlangt, das den von der Macht manipulierten Tölpeln vorenthalten wird.
       
       Österreichs Regierung jedenfalls findet, verlängerte Maßnahmen bei
       [3][niedrigen Sterbezahlen] lassen sich nicht mehr weiter vermarkten,
       weshalb man folglich beschloss, die Zahl der Toten zu erhöhen, die dann
       wieder strengere Maßnahmen begründbar machen. Da drum herum könnte man
       sicher eine schöne Verschwörungserzählung basteln.
       
       7 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/ausland/corona-lockerung-oesterreich-101.html
 (DIR) [2] /Corona-in-Oesterreich/!5741636
 (DIR) [3] https://covid19.who.int/region/euro/country/at
       
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