# taz.de -- Konsumverzicht hilft nicht weiter: SUV fahren – und spenden
       
       > Für den Klimaschutz bringt es wenig, den Konsum einzuschränken, findet
       > Philosoph Bernward Gesang. Besser sind Spenden.
       
 (IMG) Bild: Auto kaufen und für den Regenwald spenden: auch eine Strategie
       
       Liegen wir beim Klimaschutz mit unseren Erwartungen an den Einzelnen
       falsch? Als Handlungsempfehlungen für das Individuum gelten: Jeder soll
       Fahrrad fahren, die Kulturpraxis des Grillens einstellen und nicht fliegen.
       Aber ist das effizient? Die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
       
       Ein Auto zu kaufen, es 75.000 Kilometer zu fahren und dann zu verschrotten,
       verursacht etwa 20 Tonnen CO2, so der [1][ADAC]. Außerdem kostet der Spaß
       rund 30.000 Euro. Wenn ich auf das Auto verzichte, entgeht mir also
       Wohlergehen im Werte von mindestens 30.000 Euro. Gleichzeitig würde es aber
       nur etwa 460 Euro kosten, um die 20 Tonnen CO2-Emissionen meines Autos zu
       kompensieren, wie [2][Atmosfair] berechnet hat. Diese Zahlen verdeutlichen
       einen Größenunterschied: Kompensieren ist 45-mal effektiver, als das eigene
       Verhalten umzustellen. Zudem ist dies nicht der einzige Denkfehler bei der
       Idee, man müsse zwingend seinen Konsum verändern, um den Klimaschutz
       voranzubringen.
       
       Dazu gleich mehr, aber zunächst ist einem anderen Einwand zu begegnen:
       Manche merken an, dass das Individuum sowieso nicht die richtige Adresse
       sei, um über Pflichten beim Klimaschutz zu reden. Dies sei ein Problem
       kollektiven Handelns und daher des Staates. Fakt ist jedoch, dass die
       Staaten versagen und ihren Job nicht machen. Die USA haben sich viele Jahre
       Auszeit beim Klimaschutz genommen, und auch der europäische Emissionshandel
       funktioniert immer noch nicht. Klimaschutz ist aber zu wichtig, um
       unerledigt zu bleiben. Also: Was kann der Einzelne tun?
       
       Am Besten wäre es, für den Regenwald zu spenden. Es wäre sehr effektiv,
       armen Menschen in den Tropen zu helfen, so dass sie genügend Einkommen
       erzielen, ohne dass sie ihr Land an Konzerne verkaufen müssen, die dann den
       Regenwald roden. Dies bekämpft nicht nur die Armut, sondern bewirkt auch
       Klima-, Tier-, Arten- und Pandemieschutz. Voraussetzung ist natürlich, dass
       wir an eine geprüfte Hilfsorganisation spenden, wo das Geld tatsächlich
       sicher bei den Armen und im Regenwald ankommt (in Deutschland etwa bei
       [3][Fairventures Worldwide] oder international bei [4][Cool Earth]).
       
       ## Fast niemand will seinen Lebensstil aufgeben
       
       Bei dieser Strategie überfordern wir uns nicht so schnell, denn Geld zu
       geben fällt uns deutlich leichter, als unser Verhalten radikal umzustellen.
       Zumal die Gefahr besteht, dass es sogar kontraproduktiv wäre, von den
       Menschen zu verlangen, ihren Alltag drastisch zu verändern: Viele Leute
       werden sich gegen Klimaschutz aussprechen, sobald sie wahrnehmen, dass
       nicht nur Pappbecher zu vermeiden sind, sondern unser kompletter Lebensstil
       zur Disposition steht. Solange Klimaschutz primär freiwillig geschehen
       muss, weil die Staaten versagen, ist es nicht sinnvoll, Strategien zu
       propagieren, die ineffizient und motivationszerstörend sind.
       
       Die Strategie „spende und ersetze“ gilt nur für eine begrenzte Zeit –
       solange die CO2-Vermeidungskosten im Globalen Süden erheblich geringer sind
       als bei uns, und solange die Politik versagt, indem sie keine sinnvollen
       Pläne zum Klimaschutz vorlegt. Wenn Individuen spenden, wird Zeit gewonnen,
       in der sich die Technik weiterentwickeln kann. Vielleicht lassen sich
       inzwischen Lösungen finden, wie zum Beispiel individuelle Mobilität und
       Klimaschutz vereinbar sind.
       
       „Spende und ersetze“ ist kein Ablasshandel, wenn man es mit der moralischen
       Verpflichtung koppelt, mehr und regelmäßig zu spenden. Es wäre eine echte
       Veränderung unseres Verhaltens – und nicht nur ein Feigenblatt. Aber ja,
       diese Spenden-Strategie erlaubt, den eigenen SUV weiterzufahren. Das
       erinnert natürlich an den Ablasshandel, was sogar gewollt ist. Denn die
       Kombination von Spenden und Spaß dürfte uns leichter fallen als die
       Standardstrategie des Konsumverzichts, weshalb sie hoffentlich von mehr
       Menschen umgesetzt wird.
       
       Zudem würde der Einzelne nicht völlig aus der Verantwortung entlassen, für
       einen Politikwechsel hier vor Ort zu sorgen. Die moralische Ansage wäre:
       „Genieße deine Spaßfahrt im SUV und tue gleichzeitig alles, damit die
       Politik allen Akteuren, also auch dir, solche Spaßfahrten verbietet.“ Das
       klingt schizophren? Vielleicht, aber ich glaube eben, dass das private
       Nachfrageverhalten oft wirkungslos ist und allein die Politik dafür sorgen
       kann, dass die Kooperation aller Staatsbürger gelingt.
       
       ## Weniger Konsum führt nicht zu mehr Klimaschutz
       
       Wie wenig Änderungen bei der Nachfrage bewirken, zeigen auch empirische
       Befunde. Beispiel Öl: Die Förderung blieb in den vergangenen 30 Jahren auf
       konstant hohem Niveau – völlig unabhängig davon, wie sich die Nachfrage
       oder die Preise entwickelt haben. Der Markt wird durch die OPEC-Staaten
       politisch gesteuert. Ähnliches ließe sich auf dem EU-Agrarmarkt beobachten,
       wie der ehemalige EU-Kommissar Cioloş prognostiziert: Würde die Nachfrage
       nach Fleisch einbrechen, würden vor allem Subventionen gezahlt, um das
       Angebot weiter zu garantieren. Der individuelle Verzicht auf Sprit oder
       Fleisch kann auf diesen Märkten die Angebotsmengen nicht senken.
       
       Ein weiterer Vorteil der Spenden-Strategie rund um den Wald ist, dass sie
       nicht versucht, die Nachfrage nach fossilen Energieträgern zu senken, was –
       wie gesehen – sowieso schwierig ist. Zudem hat die Spenden-Strategie dann
       auch nicht mit dem „Grünen Paradoxon“ zu kämpfen, das immer einsetzt, wenn
       es tatsächlich gelingen sollte, unsere Nachfrage zu reduzieren: Wenn wir
       fossile Energien sparen, sinkt der Weltmarktpreis, so dass andere Länder Öl
       und Gas billiger einkaufen können, was sie auch tun werden, weil sie
       dringend ihr Wachstum fördern wollen. Gespart würde de facto nichts durch
       unsere verringerte Nachfrage, sondern wir würden die Preise für die
       Schwellenländer subventionieren.
       
       So unbefriedigend es also wirken mag: Zurzeit ist es am effektivsten, zum
       Beispiel dafür zu spenden, dass der Regenwald erhalten bleibt.
       
       4 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.adac.de/verkehr/tanken-kraftstoff-antrieb/alternative-antriebe/klimabilanz/
 (DIR) [2] https://www.atmosfair.de/de/kompensieren/wunschmenge/
 (DIR) [3] https://fairventures.org/
 (DIR) [4] https://www.coolearth.org/
       
       ## AUTOREN
       
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