# taz.de -- Strategie von Japan gegen Corona: Niedrige Inzidenz, rasches Handeln
       
       > Japan kommt besser durch die Coronapandemie als der Westen. Dabei sind es
       > einfache Mittel, die der Inselnation zum Erfolg verhelfen.
       
 (IMG) Bild: Tokio im November: Die Regierung empfiehlt, Abstand zu halten und überfüllte Orte zu meiden
       
       Tokio taz | Das Wort des Jahres „Sanmitsu“ verrät fast alles über Japans
       Umgang mit der Pandemie. Sanmitsu heißt die nationale Kampagne, mit der die
       Bürger die Ausbreitung des Virus verhindern sollen. Das Wort lässt sich mit
       „drei (san) Regeln gegen Enge (mitsu)“ übersetzen: Die Bürger sollen
       geschlossene, schlecht belüftete Räume, Kaufhäuser und Büros, überfüllte
       Orte mit vielen Menschen wie U- und S-Bahnen sowie Nahkontakte bei
       Begegnungen und Gesprächen meiden. Die Befolgung dieser drei Regeln, die
       sich per Internet, Twitter, Plakaten, Fernsehen und Lautsprechern
       verbreiteten, wirken wie ein freiwilliger Lockdown light.
       
       Dagegen kommen die Handlungsanweisungen, „Hände waschen“ und „Maske
       tragen“, nicht vor. Ersteres lernen die Japaner schon im Kindergarten: Wenn
       sie nach Hause kommen, gurgeln Kinder und Erwachsene oft mit Jod oder
       Ähnlichem. Letzteres haben die Japaner seit der tödlichen Grippewelle vor
       einem Jahrhundert verinnerlicht. Sie verstehen genau, warum man in der
       Öffentlichkeit eine Maske trägt – man soll andere Personen schützen, falls
       man selbst infiziert ist. In Japan waren zuerst die Masken ausverkauft,
       dann das Toilettenpapier. [1][Die Diskussion im Westen, ob das Tragen einer
       Maske epidemiologisch sinnvoll] oder politisch bevormundend ist, kommt
       Japanern absurd vor.
       
       Jedoch bedeutet dies nicht, dass die Menschen gern eine Mund- und
       Nasenbedeckung verwenden. Wenn man nachfragt, empfinden viele Japaner sie
       als lästig. Viele Schüler und Verkäufer reagieren auf das stundenlange
       Tragen mit allergischen Hautreaktionen. Aber die japanische Gesellschaft
       funktioniert nach dem Prinzip, dass man seine Mitmenschen nicht belästigen
       soll. Oder negativ formuliert: Man kontrolliert sich gegenseitig. Das
       Ergebnis: 99 Prozent der Menschen tragen eine Maske – selbst beim Fahrrad-
       und Autofahren. Geldstrafen gibt es nicht.
       
       ## Die Geschäfte mussten nie zwangsweise schließen
       
       Im Vergleich zu Südkorea und Taiwan fällt das Ergebnis dieser Anstrengungen
       zwar eher mäßig aus. Dreistellige Infektionszahlen pro Tag waren seit der
       ersten Welle im März normal. Die Hauptstadt Tokio meldete für Mittwoch
       einen Rekord von 602 Fällen. [2][Aber im Vergleich zu Europa und den USA
       scheint das Virus unter Kontrolle] zu sein. Bei bisher 2.500 Toten lässt
       sich nicht einmal eine Übersterblichkeit feststellen.
       
       Zu keinem Zeitpunkt der Pandemie mussten Geschäfte zwangsweise schließen.
       Nur Tokio schränkte die Öffnungszeiten von Bars und Restaurants am Abend
       vorübergehend ein. Die Arbeit im Homeoffice wurde erstmals populär, aber
       diese Arbeitsweise hat sich lange nicht so verbreitet wie in Deutschland.
       Doch in Japan wird einfach weniger diskutiert. Ein Grund ist ein größeres
       Vertrauen in die Obrigkeit. Außer beim Datenschutz: Die Download-Zahlen der
       offiziellen Corona-App sind ziemlich bescheiden. Ein anderer Grund sind die
       Medien, die vor allem Fakten transportieren und kaum kritisieren.
       
       Während Showmaster im deutschen Fernsehen noch erklärten, wie man sich
       richtig die Hände wäscht, ahnten die Virologen in Japan aufgrund ihrer
       Erfahrungen mit früheren Sars-Viren längst, dass sich das Coronavirus über
       Aerosole und Tröpfchen überträgt. Also ignorierte Japan den Rat der
       Weltgesundheitsorganisation, die Bevölkerung massenweise zu testen.
       Stattdessen konzentrierte man sich auf Infektionscluster, um
       Superspreader zu identifizieren. Daraus konstruierten ausländische
       Korrespondenten den Vorwurf, Japan verschweige Infektionen und Tote, um die
       Austragung der Olympischen Spiele zu retten.
       
       ## Trotz macht sich breit
       
       Allerdings stößt die japanische Strategie gerade an ihre Grenzen. Der
       Virologenpapst Hitoshi Oshitani konstatierte bereits vor drei Wochen, die
       Japaner seien der Pandemie müde. Eine weise Anmerkung: Die aktuellen
       Infektionsrekorde mit Schwerpunkt bei den 40- und 50-Jährigen und die
       Entsendung von Armeekrankenschwestern in zivile Einrichtungen lassen viele
       Menschen kalt.
       
       Am verlängerten Wochenende im November waren die Einkaufszentren und Parks
       so voll wie in Deutschland am ersten Adventssonntag. In der Hauptstadt
       ignorieren viele Restaurants die aktuelle Bitte von Gouverneurin Yuriko
       Koike, um 22 Uhr zu schließen. Auch die Regierung verschließt ihre Augen.
       Die staatlichen Subventionen für Reisen im Inland und für Auswärtsessen im
       Restaurant bleiben weitgehend in Kraft. Bald wird sich zeigen, ob das Virus
       diese trotzige Nonchalance nicht doch noch bestraft.
       
       10 Dec 2020
       
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