# taz.de -- Extremismus in der Bundeswehr: Tod eines Verdächtigen
       
       > Der Militärgeheimdienst MAD befragt eine Gruppe mutmaßlicher Reichsbürger
       > in der Bundeswehr. Am nächsten Tag ist einer von ihnen tot. Was ist
       > passiert?
       
 (IMG) Bild: MAD ermittelt gegen mögliche Reichsbürger in der Bundeswehr
       
       Berlin taz | Am Morgen des Mittwoch, 2. Dezember, fährt Eugen W. im
       bayerischen Krumbach mit seinem Auto zum Krankenhaus. Er geht zu einem
       Container, der für Coronatests aufgestellt wurde. Er hat eine geladene
       Waffe dabei. Kurz vor 10 Uhr fällt ein Schuss. Er ist im Krankenhaus zu
       hören, im Sanitätshaus, das auf dem Gelände liegt, auf der Baustelle. Eugen
       W. stirbt nur wenige Meter von der Notaufnahme entfernt.
       
       Am Dienstag, einen Tag vor seinem Tod, sitzt W. mehreren Mitarbeiter*innen
       des Bundeswehrgeheimdienstes MAD gegenüber. Sie befragen ihn, weil sie ihn
       für einen Reichsbürger halten, einen Verfassungsfeind also. W. leitet eine
       kleine regionale Bundeswehrdienststelle, nicht einmal 20 Personen arbeiten
       unter ihm. Sieben von ihnen, so der Verdacht, sollen wie W. extremistisches
       Gedankengut hegen.
       
       Fast ein Jahr hatte der MAD sich mit ihnen beschäftigt, den
       Verfassungsschutz miteinbezogen, Landeskriminalämter informiert. Jetzt, am
       1. Dezember, sollen die Verdächtigen Fragen beantworten. Datenträger werden
       sichergestellt. Noch am selben Tag heißt es in einem Schreiben an die
       Verteidigungspolitiker*innen des Bundestags: „Erste Ergebnisse bestätigen
       die vorliegenden Verdachtsmomente“. Allen acht war es seither verboten, die
       Dienststelle zu betreten.
       
       Am nächsten Tag ist Eugen W. tot.
       
       ## Ein seltsamer Fall
       
       Ungewöhnlich schnell gab das Verteidigungsministerium am Dienstag nach den
       Befragungen in einer Pressemitteilung die Ermittlungen gegen die acht
       Männer bekannt, legte mit Informationen an die Bundestagsabgeordneten nach,
       in denen das Ministerium sogar aufschlüsselt, wie viele Sicherheitsbehörden
       über Monate hinweg an dem Fall arbeiteten.
       
       Es ist das erste Mal, dass offiziell von einer Reichsbürger-Gruppe
       innerhalb einer deutschen Sicherheitsinstitution gesprochen wird und nicht
       mehr nur von einzelnen Fällen. Aus nachrichtendienstlicher Sicht ist ihr
       Auffliegen zunächst ein Erfolg, auch wenn das Ausmaß noch längst nicht ganz
       erfasst ist.
       
       Später dringt aus dem MAD heraus, dass es Verbindungen dieser Gruppe zum
       Bundesnachrichtendienst gibt. Laut Spiegel soll intern sogar von einem
       Netzwerk die Rede sein.
       
       Tage nach Eugen W.s Tod gibt sich das Verteidigungsministerium
       verschlossen. Will nicht einmal bestätigen, dass Eugen W. der
       Dienststellenleiter ist, der verdächtigt wurde, ein Reichsbürger zu sein.
       Dabei stellen sich viele Fragen: Wussten die Sicherheitsbehörden, dass W.
       bereit war, zu schießen? Was haben sie getan, um ihn davon abzuhalten? Gab
       es Hinweise auf einen Suizid? Berichte über Suizide sind wegen möglicher
       Nachahmer heikel. Im Fall von Eugen W. stellen sich aber Fragen der
       Verantwortung – und der Sicherheit aller.
       
       Fasching, Schießen und Schafkopf 
       
       Eugen W.s Heimatort Krumbach liegt im bayerischen Teil von Schwaben. Eine
       wohlhabende Gegend, gleich mehrere Weltmarktführer sind hier ansässig.
       Fachwerk, ein Schloss, der Fluss Kammel schlängelt sich durch das
       weihnachtlich geschmückte Stadtzentrum. Bald ziehen die Sternsinger wieder
       von Haus zu Haus, als Heilige Drei Könige verkleidete Kinder, und schreiben
       ihren Segen an jede Tür.
       
       Etwa 13.000 Menschen leben in Krumbach. Man kennt sich, aus dem Freibad,
       der Kirche, dem Faschingsverein. Man steht zusammen am Schießstand und
       unterhält sich, oder man tut es beim Schafkopfen hinterher. So war das
       jedenfalls bei Eugen W.
       
       In einem großen Einfamilienhaus unweit des Zentrums lebte er. Seine Familie
       bittet darum, nicht befragt zu werden. Manche Freunde sprechen gern über
       ihn, andere stimmen einem Interview zu und sagen kurz vorher wieder ab. W.
       war engagiert, im Schützenbund, bei der Wasserwacht.
       
       Der Faschingsverein – „das war seins“, sagt eine Frau, die ihn gut kannte.
       Und dass er „mitten im Leben“ stand. Herzlich, hilfsbereit, “ein
       Pfundskerle“, einer, der im Freibad wohl mal aus der Haut gefahren sei
       wegen der Coronaregeln, aber nie als radikal auffiel – so beschreiben sie
       in Krumbach den 63-Jährigen, den der MAD für gefährlich hielt.
       
       ## 4.000 Reichsbürger in Bayern
       
       Sogenannte Reichsbürger*innen lehnen die Existenz des Staates ab. Viele
       Jahre galten sie als wunderlich. Sicherheitsbehörden unterschätzten sie.
       Oft ist der Begriff „Rechtsextreme“ zutreffender als „Reichsbürger“.
       
       Dass sie gefährlich und gut vernetzt sein können, wurde spätestens 2016
       klar, als ein Reichsbürger im bayerischen Georgensgmünd [1][auf SEK-Beamte
       schoss, die sein Haus durchsuchen wollten]. Ein Polizist starb damals.
       Später kam der Verdacht auf, dass der Reichsbürger vor der Durchsuchung
       gewarnt worden war – durch einen Polizisten.
       
       Laut bayerischem Verfassungsschutzbericht soll es in Bayern 2019 knapp
       4.000 Reichsbürger gegeben haben, als Hotspot gilt unter anderem das
       Allgäu, von wo auch Bayerns größte Skinheadgruppe „Voice of Anger“ stammt.
       Die Gruppe feierte in Krumbach 2013 ein „braunes Oktoberfest“. Auch die
       Identitäre Bewegung ist in der Region aktiv.
       
       Die Grenzen zwischen Reichsbürgern und organisierten Neonazis sind
       fließend. “Kulturell und vom Habitus mag da eine Barriere da sein, aber mit
       dem NS zugewandten Reichsbürgern geht das zusammen“, sagt Sebastian Lipp
       vom Redaktionsteam “Allgäu rechtsaußen“. 2017 hat im allgäuschen
       Dietmansried ein Reichsbürger mit einer illegalen Waffe um sich geschossen,
       im selben Jahr drohte ein Reichsbürger mit Sturmgewehr in Kempten mit einem
       Amoklauf. Von Dietmannsried nach Krumbach sind es 70 Kilometer.
       
       ## „Porschemäßige“ Autos und Waffen
       
       Im Sommer versammelten sich in Krumbach teilweise mehrere hundert Menschen
       auf [2][Querdenker-Demos]. „So viele kriegt man hier sonst nicht auf die
       Straße“, sagt ein Politiker der lokalen Grünen.
       
       Auch ein stadtbekannter Verschwörungstheoretiker wurde dort gesehen, er
       heißt Martin Pulz. Ein Mann, der schon mal auf einem Pferd reitend auf
       einer linken Demonstration auftaucht und „Die Gedanken sind frei“ singt.
       Einer der einem AfD-Bundestagsabgeordneten auf Facebook einen „besten
       Waffengruß aus Bayern“ schickt, sich dort mit der Identitären Bewegung, NPD
       und rechten Burschenschaften umgibt. Pulz gilt als gut vernetzt in der
       rechtsextremen Szene. Das heißt nicht, dass Pulz und W. sich gekannt haben
       müssen. Unwahrscheinlich wäre es aber nicht.
       
       Ursula Deuring hielt auf einer Querdenker-Demo eine Rede. Auf Facebook
       organisiert sie mit ein paar anderen den Protest gegen die Coronamaßnahmen.
       Deuring lebt ein paar Kilometer außerhalb des Zentrums. In ihrem Wohnzimmer
       läuft Formel 1, Plätzchen stehen auf dem Tisch, im Ofen brennt ein Feuer.
       Deuring sagt, sie sei Coronaregel-Kritikerin, nicht Coronaleugnerin. Sie
       arbeite in der Pflege, müsse jede Woche einen Test „über sich ergehen
       lassen“ und findet die Maßnahmen “unverhältnismäßig“.
       
       Deuring kannte Eugen W. schon seit beide jung waren. Er war der, der
       „porschemäßige“ Autos fuhr, sagt sie. Deuring und W. trafen sich regelmäßig
       bei der Wasserwacht, hatten gemeinsam Dienst im Freibad, wo W. auch
       Schwimmabzeichen abnahm und Kraulkurse gab. „Er muss ja eine Art
       Doppelleben geführt haben, oder?“, sagt Deuring. „Es gibt andere Bürger in
       Krumbach, die kann man eindeutig den Reichsbürgern zuordnen, aber ihn
       nicht.“
       
       Warum fuhr W. zum Krankenhaus? 
       
       Auf den Demos gegen die Coronamaßnahmen habe sie W. nie gesehen, überhaupt
       haben die beiden nie über Politik gesprochen, es war „immer lustig mit
       ihm“. W. wäre in einem Jahr in Pension gegangen. „Ich wusste, dass er dann
       noch mehr in die Wasserwacht einsteigen wollte“, sagt Deuring.
       
       Warum fuhr W. am Mittwochvormittag zum Krankenhaus? „Die Mitarbeiter haben
       einen Schuss gehört, dann ist der Sanka los, ein Arzt, eine Pflegekraft. Da
       war nicht mehr viel zu machen, er war sofort tot“, sagt Hermann Keller, der
       Direktor der Krumbacher Klinik am Telefon. Eine Krankenhaus-Mitarbeiterin
       bestätigt, dass W. kein Patient gewesen sei.
       
       Am Donnerstag Nachmittag kommt ein Mann zum Krankenhaus. Er kannte W. und
       möchte Blumen niederlegen. „Krumbach liegt jetzt im Dornröschenschlaf“,
       sagt er. „Der Bürgermeister sagt auch nicht viel zum Vorfall“. Er geht
       weiter und sagt dann noch, dass er sich schon lange wünsche, „dass die
       Bundeswehr mal zerlegt wird“.
       
       Eugen W. war früher Soldat, dann arbeitete er 16 Jahre lang für den
       Bundesnachrichtendienst. Kontakte zu ehemaligen Kollegen, die bis heute
       bestehen sollen, alarmieren die Sicherheitsbehörden: Gibt es auch dort
       Reichsbürger?
       
       Am Morgen noch beobachtet 
       
       Zuletzt leitete W. als Zivilist bei der Bundeswehr die Regionalstelle der
       Abteilung „Zentrum für technisches Qualitätsmanagement des BAAINBw“ in Ulm,
       dort wird die Güte von Material überprüft. Sie befindet sich auf dem
       Gelände einer Rüstungsfirma. Und ist nun der Ort, an dem sich acht
       Reichsbürger trafen.
       
       Was genau W. und den anderen Verdachtspersonen vorgeworfen wird, will
       keiner der beteiligten Nachrichtendienste auf Anfrage beschreiben. Äußerte
       er sich verfassungsfeindlich? Glaubte er nicht an die Existenz der BRD?
       Plante er, seine Waffen gegen das Land einzusetzen?
       
       Eine Lesart des Geschehens ist: Ein Mann ist verstorben, nachdem er unter
       Druck geraten war, weil man ihn für einen Extremisten hielt. Die andere
       aber ist: Die Bundeswehr hatte erkannt, dass einer ihrer Mitarbeiter
       gefährlich ist, stellte ihm Fragen, zu seinen politischen Ansichten und zu
       seinen Waffen. Dann ließ sie ihn gehen – und kümmerte sich nicht weiter um
       ihn? Wie wurde sichergestellt, dass er in seiner Verzweiflung nicht auch
       auf andere schießen würde?
       
       Mehrere Personen, die mit den Ermittlungen vertraut sind, geben gegenüber
       der taz an: Es wäre unüblich, so jemanden nach der Befragung nicht weiter
       zu observieren. Und: Noch am Morgen vor dem Tod, soll er durchaus
       beobachtet worden sein. Auch noch, als er mit geladener Waffe auf das
       Krankenhaus zuging?
       
       Staatsanwaltschaft prüft Todesursache 
       
       Taz-Recherchen ergeben, dass der MAD bereits vor den Befragungen am
       Dienstag überzeugt gewesen sein soll, dass Eugen W. als
       verfassungsfeindlich einzustufen war. Justizbehörden wurden über sein
       mögliches Potential informiert, darunter die Bundesanwaltschaft und auch
       Landeskriminalämter. Doch die nahmen keine Ermittlungen auf, beim LKA
       Bayern heißt es: relevante Erkenntnisse, die ein “Einschreiten möglich
       gemacht hätten“, hätten gefehlt.
       
       Nur die Staatsanwaltschaft Memmingen hat Ermittlungen zu W. eingeleitet.
       Die Kriminalpolizei will ausschließen, dass Fremdverschulden zu seinem Tod
       geführt haben könnte. Es gibt einen Abschiedsbrief. Über den Inhalt äußert
       sich der Sprecher nicht. Bislang deute nichts auf Fremdverschulden hin,
       sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Vom MAD haben die
       Ermittler*innen bislang keine Informationen bekommen.
       
       Die Waffe, mit der er sich erschoss, besaß W. legal. Als Sportschütze hatte
       Eugen W. mehrere Lang- und Kurzwaffen, nahm auch mal an Turnieren teil. Die
       zuständige Waffenbehörde hat ihm die Waffenberechtigungen nicht entzogen.
       Auch dann nicht, als der Bundeswehrgeheimdienst am Dienstag vor seinem Tod
       offiziell darüber informierte, dass sich der Verdacht gegen ihn und die
       anderen Ulmer Mitarbeiter erhärtet habe. Auf Anfrage der taz äußert sich
       die zuständige Waffenbehörde des Landkreises Günzburg nicht dazu, ob es
       intern eine Überprüfung von Eugen W.s Waffenberechtigung gegeben hatte.
       
       Wer von den Behörden als Reichsbürger identifiziert wird, verliert die
       Erlaubnis, Waffen zu besitzen. Bis Ende 2019 wurden in Bayern laut
       Verfassungsschutzbericht 415 Erlaubnisse entzogen und dabei 805 Waffen
       abgegeben. Es wird vermutet, dass viele Waffen illegal unter sogenannten
       Reichsbürgern kursieren.
       
       Anruf beim Militärischen Abschirmdienst. Dort heißt es, der Fall sei Sache
       des Ministeriums. Das Verteidigungsministerium wiederum möchte sich nicht
       konkret zu dem Fall äußern und verweist auf laufende Ermittlungen.
       
       „Leute, glaubt nicht alles“ 
       
       Weder beim MAD noch im Verteidigungsministerium finden sie Worte, um Eugen
       W.s Tod zu bedauern, keine Formulierung dafür, dass der Suizid
       möglicherweise mit den Ermittlungen zu tun haben könnte. Hätten die
       MAD-Mitarbeiter bei der Befragung aufmerksamer sein müssen? Gab es Hinweise
       auf Suizidgedanken? Auch dazu sagt der Sprecher des
       Verteidigungsministeriums nichts.
       
       Von W.s Krumbacher Freunden hat keiner Anzeichen für Suizidgedanken
       erkannt, auch keine Veränderungen in letzter Zeit. “Er war ein waghalsiger,
       aber konzentrierter Schafkopfer“, sagt ein Freund. “Einer, der meistens als
       Sieger hinausging. Ein Kämpfer“.
       
       Jemand, der ihn jahrzehntelang kannte, sagt: „Er hat die Bundesrepublik
       nicht in Frage gestellt und er war der erste, der nach einer neuen
       Waffengesetzgebung, alles, was er hatte, beim Landratsamt anmeldete.
       Wahrscheinlich hatte er nicht einmal einen Punkt in Flensburg.“ Geheimnisse
       aus seiner Arbeit habe W. nie verraten. Aber er habe gesagt: „Leute, glaubt
       nicht alles. Vieles ist nicht so, wie es an die Öffentlichkeit kommuniziert
       wird.“
       
       8 Dec 2020
       
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