# taz.de -- Corona-Impfungen in Großbritannien: Vereinigtes Königreich feiert „V-Day“
       
       > Nach Impfstoff-Zulassung im Eiltempo: Als erstes Land der Welt startet
       > Großbritannien Massenimpfungen gegen Covid-19.
       
 (IMG) Bild: Margaret Keenan, 90, aus Coventry, ist Großbritanniens erste geimpfte Person
       
       London taz | Früh aufgestanden war sie, im lustigen blauen
       Weihnachtspullover mit Pinguinaufdruck, darüber eine graue Weste. Dass sie
       um Punkt 6.31 Uhr die erste Frau der Welt werden sollte, die außerhalb der
       vorherigen Testphasen gegen Covid-19 geimpft werden sollte, hätte sie wohl
       nie geahnt. Es sei das beste frühe Geschenk für ihren 91. Geburtstag
       nächste Woche, sagte Margaret Keenan in einem Krankenhaus im englischen
       Coventry. 1929 im nordirischen Enniskillen geboren, war sie gerade mal zehn
       Jahre alt, als Coventry vor 80 Jahren eine andere schwere Krise überstand,
       als 1940 die mittelenglische Stadt Opfer eines der größten Luftangriffe
       Hitlerdeutschlands in Großbritannien wurde.
       
       Ein Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg ist in britischen Angelegenheiten
       bei markanten Ereignissen nicht übertrieben. Gesundheitsminister Matt
       Hancock selber machte Gebrauch davon. Er bezeichnete diesen Tag, an dem
       unter seiner Führung das erste Impfprogramm der Welt gegen Covid-19 mit
       einem [1][voll getesteten und zugelassenen Impfstoff] begonnen hat –
       übrigens das größte Impfprogramm, das es im Vereinigten Königreich je
       gegeben hat –, als „Victory Day“, ein Begriff, der von der britischen
       Presse sofort angenommen wurde. So schrieb die [2][Times] vom V-Day, wobei
       das V auch für „Vaccine“ stehen kann. Und der Daily Mirror schrieb: „Unser
       Gegenangriff beginnt heute“ – jener Kampf gegen den unsichtbaren Feind, wie
       es Boris Johnson am Anfang der Pandemie genannt hatte, die bisher in diesem
       Land offiziell knapp 62.000, tatsächlich wohl über 75.000 Tote gefordert
       hat, so viele wie nirgends sonst in Europa.
       
       Der 87-jährige Hari Shukla in Newcastle, ein ehemaliger Beauftragter gegen
       Rassismus, war ebenfalls einer der ersten Empfänger*innen des Impfstoffs,
       und als er von der BBC über diese Tatsache befragt wurde, sprach er von der
       Impfung als Akt der Pflichterfüllung.
       
       So chaotisch die Verhältnisse im März gewesen waren, als die erste Welle
       der Pandemie sich im Vereinigten Königreich verbreitete und es im ganzen
       Land nicht ausreichend Schutzkleidung, Masken oder Beatmungsgeräte gab, als
       sich das Virus ungebremst in Pflegeheime schlich und als zu lange [3][mit
       einem Lockdown gezögert] wurde, so beachtlich ist, was Großbritannien jetzt
       auf die Beine gestellt hat. Endlich „Good News“ für die stark lädierte
       Regierung Johnson.
       
       ## 400.000 Menschen werden in der ersten Runde geimpft
       
       Den Impfstoff bestellte das Gesundheitsministerium mithilfe einer neu
       rekrutierten Verantwortlichen für Impstoffbeschaffung. Kate Bingham ist
       Biochemikerin und anfangs wurde ihr zum Vorwurf gemacht, sie habe die
       Stelle nur erhalten, weil sie die Gattin des konservativen
       Unterhausabgeordneten Jesse Norman sei.
       
       Doch Bingham, die sonst als Risikokapitalmanagerin tätig ist, erwies sich
       als die richtige Wahl. Ihr gewagter millionenteurer Einsatz auf
       [4][Biontech/Pfizer] entpuppte sich als richtige Entscheidung, mit der
       Großbritannien das erste Land überhaupt wurde, welches diesen völlig
       neuartigen RNA-Impfstoff zuließ.
       
       Obendrein leistete die britische medizinische Prüfstelle MHRA (Medicines
       and Healthcare Products Regulator Agency) Überstunden – sie ist ein
       Beiprodukt des Brexits, da Großbritannien nicht mehr Mitglied der
       EU-Zulassungsstelle EMA ist, die bis zum Brexit in London angesiedelt war
       und viele britische Fachleute zählte – und testete verschiedene Impfstoffe
       gleichzeitig und in 24-Stunden-Rotation, ohne Pause.
       
       400.000 Menschen werden nun in 70 Krankenhäusern mit den ersten 800.000
       Dosen geimpft werden, die per Eurostar aus Belgien ins Land kamen. Sie
       müssen sich alle in drei Wochen noch mal spritzen lassen. Die Ersten in der
       Rangliste Englands werden Menschen sein, die 80 Jahre alt oder älter sind,
       sowie ihr Pflegepersonal. In Schottland werden zuerst jene geimpft, welche
       andere impfen, und Kranken- und Pflegepersonal sind die Ersten in Wales und
       Nordirland.
       
       ## Impfung bringt noch keine Entwarnung
       
       Erst eine Woche nach der zweiten Impfung gelten die so Vakzinierten als
       resistent. Der Impfstoff hat in der Testphase bei 95 Prozent der Geimpften
       eine Erkrankung oder eine schwere Erkrankung vermeiden können. Insgesamt
       hat das Vereinigte Königreich 40 Millionen Dosen des
       Biontech-Pfizer-Impfstoffs bestellt, dazu kommen noch Millionen Impfdosen
       anderer Hersteller. So viel, dass inzwischen auch getestet wird, ob die
       Impfung mit zwei verschiedenen Stoffen am besten sein könnte.
       
       Simon Stevens, der Geschäftsführer der staatlichen Gesundheitsbehörde NHS
       England, nannte den Impfbeginn einen Wendepunkt im Kampf gegen die
       Pandemie. Gesundheitsminister Hancock fügte hinzu, dass Großbritannien auch
       gegen weitere Pandemien gewappnet sei, da Covid-19 es möglich gemacht habe,
       jetzt alle Arten von Impfstoffen selber herzustellen. Über 300.000
       Freiwillige stünden bereit, zukünftige Impfstoffe an sich testen zu lassen.
       
       Doch trotz des Beginns der Impfungen erwartet der Gesundheitsstab der
       Regierung, dass das Gesundheitssystem noch mindestens drei schwere Monate
       auszuhalten habe. So warnte Premierminister Boris Johnson, Brit*innen
       müssten weiterhin die Sicherheitsvorkehrungen einhalten, Abstands- und
       Hygieneregeln befolgen. Laut Kate Bingham wird es nach den schweren
       Monaten aber besser gehen. „Wir werden alle im Sommer in den Urlaub fahren
       können“, versprach sie.
       
       Inzwischen brach auch ein Streit aus, nachdem Staatsminister James Cleverly
       geraten hatte, alle Geimpften sollten ihren Impfpass immer bei sich tragen,
       wovon er später aber wieder Abstand nahm, als er gefragt wurde, ob Menschen
       nur mit dem Pass in öffentliche Räume gelassen werden würden. Laut NHS
       haben die bisher Geimpften nur eine Terminkarte für ihre zweite Spritze
       erhalten. Boris Johnson bestätigte, dass niemand in Großbritannien dazu
       gezwungen werde, sich impfen zu lassen.
       
       8 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Impfstoffzulassung-in-Grossbritannien/!5734782
 (DIR) [2] https://www.thetimes.co.uk/edition/news/v-day-brings-covid-vaccine-to-first-british-patients-fktm0cbml
 (DIR) [3] /Kampf-gegen-Corona-in-Grossbritannien/!5672216
 (DIR) [4] /Aktuelle-Entwicklungen-in-der-Coronakrise/!5726908
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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