# taz.de -- Krieg in Äthiopien: „Danach wird es keine Gnade geben“
       
       > Der Krieg in Äthiopiens Region Tigray spitzt sich zu. Die
       > Zentralregierung droht der Zivilbevölkerung der Regionalhauptstadt
       > Mekelle.
       
 (IMG) Bild: Fokus der äthiopischen Offensive: Mekelle
       
       Berlin taz | Die Warnung ist unmissverständlich. „Die nächsten Phasen sind
       der entscheidende Teil der Operation“, erklärte Äthiopiens Militärsprecher
       Dejene Tsegaye am Sonntagmorgen im Staatsfernsehen an die Bevölkerung von
       Mekelle gerichtet, Hauptstadt der umkämpften nordäthiopischen Region
       Tigray.
       
       Er kündigte die Einkesselung der 500.000-Einwohner-Stadt durch Äthiopiens
       Armee an und fügte hinzu: „Wir möchten der Öffentlichkeit in Mekelle eine
       Botschaft senden.“ Die Menschen hätten jetzt noch Zeit, sich vor
       Artilleriebeschuss in Sicherheit zu bringen und sich vor der „Junta“ zu
       retten, wie Äthiopiens Zentralregierung die Regionalregierung von Tigray
       bezeichnet. „Die Öffentlichkeit muss sich von der Junta trennen. Danach
       wird es keine Gnade geben.“
       
       Seit Tagen warnt Äthiopiens Regierung vor dem bevorstehenden Höhepunkt des
       Krieges gegen Tigrays Machthaber, der am 4. November begonnen hatte. Die
       Regierung von Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed, der 2018 als
       international gefeierter Reformer an die Macht in Addis Abeba gekommen war,
       geht militärisch gegen die in Tigray regierende TPLF
       (Tigray-Volksbefreiungsfront) vor, die sich 2019 von Abiys
       Regierungskoalition losgesagt hatte und im September 2020 trotz Verbots
       durch die Zentralmacht eigene Regionalwahlen abhielt.
       
       Aus Sicht Addis Abebas sind die TPLF-Regierenden in Mekelle seitdem
       Rebellen. Als sie angeblich eine äthiopische Militärbasis angriffen,
       [1][erklärte die Regierung ihnen den Krieg].
       
       ## Äthiopischer Vorstoß ins Kerngebiet Tigrays
       
       Äthiopiens Armee nahm in den vergangenen zweieinhalb Wochen erst die
       westlichen Teile Tigrays ein und rückte anschließend in Richtung des
       historischen Kerngebiets der Region vor, wo die Hauptstadt Mekelle liegt.
       
       Nach eigenen Angaben hat sie in der vergangenen Woche die Geburtsstadt
       Shire des TPLF-Führers Debretsion Gebremichael erobert, die stategisch
       wichtige Stadt Adigrat auf der Straße nach Eritrea sowie die uralte
       christliche Kaiserstadt Axum, ein Weltkulturerbe, dessen jahrtausendealte
       Klöster Moses’ Bundeslade aus dem Alten Testament beherbergen sollen.
       
       Von Adigrat rücken die äthiopischen Truppen jetzt Richtung Mekelle vor.
       Sie sollen noch 100 Kilometer entfernt sein. Die Lufthoheit hat Äthiopiens
       Luftwaffe bereits.
       
       Die Universität von Mekelle wurde am Donnerstag bombardiert. Nach Angaben
       von Augenzeugen gegenüber der taz, durch Fotos unterstützt, wurden 22
       Studenten und vier weitere Zivilisten verletzt. Andere Quellen sprechen von
       50 Verletzten.
       
       In einer Botschaft, die die taz erreichte, listete Universitätspräsidentin
       Fetien Abay auch Luftangriffe auf ein Wasserkraftwerk, eine Zuckerfabrik
       und ein Lebensmittellager auf. „Wie kann eine Regierung ihr eigenes Volk
       bombardieren?“, fragt sie.
       
       Warnungen vor einem bevorstehenden Massaker an der Tigray-Bevölkerung
       kommen von zahlreichen Stimmen aus der Region. Tigrayer in anderen
       Landesteilen leben bereits gefährlich, da sie für den Staat nunmehr unter
       Generalverdacht stehen. In Addis Abeba sollen Hunderte Tigrayer verhaftet
       worden sein.
       
       Konten von Unternehmen aus Tigray wurden eingefroren, tigraystämmige
       äthiopische Diplomaten im Ausland nach Hause gerufen, sogar der aus Tigray
       stammende WHO-Generaldirektor Tedros Gebreyesus wird von der Armeespitze
       der Komplizenschaft mit Rebellen bezichtigt.
       
       ## Tigrays Militärs sind auch nicht zimperlich
       
       Aus militärischer Sicht macht das äthiopische Vorgehen in Tigray wenig
       Sinn. Die wüstenhafte, zerklüftete Berglandschaft rund um Mekelle ist
       praktisch uneinnehmbar. Das mussten in der Vergangenheit alle äthiopischen
       Regierungen lernen, die das versuchten. Nicht von ungefähr schlug Äthiopien
       im 19. Jahrhundert als einziges Land Afrikas seine Eroberung durch
       europäische Kolonisatoren zurück und blieb unabhängig.
       
       Die in Tigray regierende TPLF entstand in den 1970er Jahren als
       Guerillabewegung gegen die äthiopische Zentralmacht, war bis 2018 führend
       in Äthiopiens Regierung und hält bis heute Zehntausende kriegsgestählte
       Kämpfer unter Waffen.
       
       Im aktuellen Krieg ist auch Tigray nicht zimperlich: Die Amhara-Hauptstadt
       Bahir Dar wurde mit Raketen beschossen, ebenso das Nachbarland Eritrea, dem
       die Unterstützung der äthiopischen Offensive vorgeworfen wird. Ungeklärt
       bleibt auch ein [2][Massaker im Ort Mai-Kadra] an mehreren hundert
       Nicht-Tigrayern, deren Leichen die einrückende äthiopische Armee am 10.
       November fand.
       
       Doch umgekehrt wird Äthiopiens Armee und den an ihrer Seite in Tigray
       kämpfenden ethnischen Milizen der Amhara-Regionalregierung vorgeworfen,
       unterschiedslos die gesamte Tigray-Bevölkerung als Feind zu behandeln.
       
       In sozialen Netzwerken wurde am Sonntag über eine [3][mutmaßliche Drohung
       diskutiert], Mekelle mit Chemiewaffen anzugreifen. Ein regierungstreuer
       Scharfmacher in Addis Abeba hatte geschrieben: „Um den Dämon zu erobern,
       der sich in Mekelle versteckt und den die Zivilbevölkerung schützt: Wenn
       man sie aus dem Hubschrauber mit Weihwasser besprüht, wer weiß, ich denke,
       sie würden schreiend auf die Straße rennen.“
       
       22 Nov 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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