# taz.de -- Protestorganisation in Belarus: Zur Demo im Schichtsystem
       
       > Eine Frau demonstriert, ihr Mann hütet die Katze. Olga Deksnis erzählt
       > von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 6.
       
 (IMG) Bild: Es gibt Pro-Lukaschenko-Leute, die für eine staatliche Gehaltszulage auf die Straße gehen
       
       [1][[Link auf https://taz.de/Gaby-Coldewey/!a23976/]] Alexander
       Senkewitsch, Unternehmer aus Minsk, erstellt Internetauftritte für seine
       Kunden. Seine Frau, Aktivistin und Projektmanagerin, nimmt fast jeden Tag
       an [2][Protestaktionen] gegen die derzeitigen Machthaber teil.
       
       „Wir haben eine Katze, die uns so lieb ist wie ein Kind“, erzählt
       Alexander. „Meine Frau und ich haben vereinbart, dass wir abwechselnd zu
       den Demos gehen. So hat es sich ergeben, dass sie da eine aktive Rolle
       übernommen hat. Am Sonntag bin ich zur Arbeit gefahren. Und meine Frau
       ging, wie gewöhnlich, zur Demonstration. Für einige Stunden war in Minsk
       das mobile Internet abgestellt. Das wird hier dann gleich so interpretiert:
       Die OMON (Sondereinheit der Polizei, die vor allem gegen Demonstrierende
       eingesetzt wird; Anmerkung der Redaktion) jagt wieder friedliche
       Demonstranten, es kommt zu Festnahmen. Übrigens waren jetzt zum ersten Mal
       auch [3][die Frauendemonstrationen] betroffen. Für den Fall der Fälle zieht
       meine Frau gewöhnliche Kleidung und Schuhe an, hat aber auch eine
       Zahnbürste und ein paar „Frauensachen“ mit dabei. Wenn sie nicht auf SMS
       antwortet und man sie telefonisch nicht erreichen kann, habe ich Angst.
       Bislang hatte sie aber Glück und ist immer wieder nach Hause gekommen.
       
       Die Pro-Lukaschenko-Demos haben am 16. August begonnen, als Lukaschenko zum
       ersten Mal unters Volk gegangen ist und die Arbeiter der staatlichen
       Betriebe aus dem ganze Land nach Minsk zitiert hat.
       
       Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Leute wegen der staatlichen
       Gehaltszulage, die sie dafür bekommen, auf die Straße gehen und nicht aus
       ideellen Gründen. Die Pro-Lukaschenko-Demos stehen unter dem Motto „Für
       Väterchen“, oder sie werden von dem Lied „Sanja bleibt bei uns“ begleitet.“
       (Präsident Alexander Lukaschenko lässt sich gern „Väterchen“ nennen.
       „Sanja“ ist eine russische Koseform seine Vornamens; Anmerkung der
       Redaktion)
       
       Und Alexander berichtet weiter: „Als ich auf dem Weg zur Arbeit war, fuhr
       auf dem benachbarten Fahrstreifen eine Autokolonne mit
       Pro-Lukaschenko-Demonstranten, so 50, 60 Autos, die meisten davon ziemlich
       teuer. Wissen Sie, die Leute, die unter den weiß-rot-weißen Flaggen
       demonstrieren, sind von einer Idee beseelt, von etwas Positivem. Auf den
       Gesichtern der Leute des Präsidenten habe ich keine Freude gesehen und
       keine Einigkeit. Ich hatte so ein Gefühl, als ob man sie hierher gezwungen
       hätte. Für gewöhnlich wird solchen Autokolonnen ‚Schande‘
       entgegengeschrien. Oder die Leute zeigen, wie im Internet, mit einem Daumen
       nach unten.
       
       Vor den Wahlen und direkt danach während der ersten Großkundgebungen
       beschuldigte Lukaschenko den Westen und Russland, dann änderte er die
       Strategie. Jetzt hat Putin ihm einen Kredit in Höhe von 1,5 Milliarden
       US-Dollar versprochen, mit den Worten, ihn, Putin, als seinen großen Bruder
       zu bezeichnen“.
       
       „Und jetzt“, so Alexander „demonstrieren die Pro-Lukaschenko-Leute mit
       russischen Flaggen, mit sowjetischen, mit georgischen und mit der
       staatlichen belarussischen (der grün-roten, die nach einem Referendum 1995
       die weiß-rot-weiße ablöste; Anmerkung der Redaktion). Komische Mischung,
       oder? Ich wurde schon gefragt: ‚Warum geht deine Frau demonstrieren und du
       bleibst zu Hause?‘ Meine Frau hat geantwortet: ‚Die Veränderungen hängen
       von uns allen ab.‘ Die einen hängen Flaggen am Balkon auf, andere hupen
       sonntags als Zeichen der Solidarität, wieder andere bleiben zu Hause mit
       dem Kind, oder, wie ich, mit der Katze, während die Frau demonstrieren
       geht. Wir befinden uns gerade in einem Veränderungsprozess. Und jetzt mach
       ich mich daran, das Abendessen für meine Frau zu kochen, damit sie es gut
       hat, wenn sie nach Hause kommt, von diesem Kampf für die Freiheit. Aber wir
       werden auf jeden Fall siegen!“
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       16 Sep 2020
       
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