# taz.de -- Erfolgsbilanz von Fridays for Future: Liebe reicht ihnen nicht
       
       > Vor zwei Jahren begann Greta Thunberg ihren Klimastreik, Am Freitag
       > gingen die jungen AktivistInnen wieder auf die Straße. Was haben sie
       > erreicht?
       
 (IMG) Bild: Klimastreik: Aktivistin Mya-Rose Craig auf einer Scholle in der schmelzenden Arktis am 20. September
       
       Quang Anh Paasch könnte zufrieden sein. Der Sprecher von Fridays for Future
       Berlin steht am Brandenburger Tor vor einer Kamera und gibt ein Interview
       nach dem anderen. Der Regen hat gerade aufgehört, hinter ihm dröhnt Musik
       von der Bühne und auf der nassen Straße sitzen Tausende DemonstrantInnen.
       Trotz Corona-Abstands und schlechten Wetters haben die Klima-AktivistInnen
       rund um Paasch auch ein Jahr nach den großen Streiks wieder eine bunte
       Protestmischung auf die Straße gebracht. Aber Paasch sagt: „Realpolitisch
       haben wir nichts erreicht.“
       
       Vor zwei Jahren begann Greta Thunberg ihren Schulstreik, seit 18 Monaten
       gehen in Deutschland die „Fridays“ auf die Straße. In dieser Zeit ist in
       Deutschland so viel für den Klimaschutz passiert wie in Jahrzehnten vorher
       nicht. Es gibt nun ein [1][Enddatum für die Kohlenutzung] 2038, es gibt ein
       [2][Klimaschutzgesetz], das ab 2021 jährliche Emissionsziele festlegt und
       einen Emissionshandel auch für CO2 aus dem Verkehr und Gebäuden.
       
       Es gibt Milliarden für die Bahn, neue Ziele für Ökoenergien, eine
       Wasserstoffstrategie, wahrscheinlich ein schärferes Klimaziel der EU, das
       Versprechen der „Klimaneutralität“ bis 2050 und einen [3][„Green Deal“],
       mit dem in Europa Hunderte von Milliarden Euro in Erneuerbare und Effizienz
       fließen sollen.
       
       Trotzdem sagt Paasch: „Unser Erfolg ist, dass wir den Diskurs verschoben
       haben. Aber immer noch nimmt die Politik die Wissenschaft nicht ernst. Wir
       haben ein Klimagesetz, das dem Pariser Abkommen nicht gerecht wird.“ Viele
       andere AktivistInnen klingen ähnlich: „Wir haben viel bewegt und die
       Öffentlichkeit sensibilisiert“, sagte Greta Thunberg bei der Klimakonferenz
       von Madrid im Dezember 2019. „Aber wir wollen richtige Taten sehen. Und
       richtige Taten gab es nicht. Also haben wir von einem anderen Standpunkt
       aus nichts erreicht.“
       
       ## Macht auf der Straße
       
       „Nichts erreicht“, sagte Thunberg auch einen Monat später beim
       Weltwirtschaftsforum in Davos – als der Rest des Treffens aufgeregt
       debattierte, dass der größte Finanzinvestor der Welt, BlackRock,
       angekündigt hatte, Klimaschutz zum Kern seiner Investitionen zu machen. Und
       der offene Brief von Thunberg und anderen AktivistInnen zur europäischen
       Klimapolitik, mit dem sie einen [4][90-Minuten-Termin bei Bundeskanzlerin
       Angela Merkel] bekam, bezeichnet den Beschluss, Europa bis 2050
       klimaneutral zu machen, als „eine Kapitulation“.
       
       Aber je weiter man sich von der Klimabewegung entfernt, desto erfolgreicher
       wird sie. Während viele AktivistInnen unzufrieden sind, dass es zu wenig
       Resultate gibt, betonen ihre Sympathisanten und Förderer – und erst recht
       ihre Gegenspieler –, wie viel Macht die Jugendlichen auf der Straße
       entfaltet haben. Merkel ist nach einer kurzen Ablehnung im Frühjahr 2019
       („hybride Kriegsführung“) dazu übergegangen, die streikenden Kids für ihr
       Engagement zu loben und ihren Druck als Ansporn zu bezeichnen.
       
       Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat jahrelang gewarnt, Klimaschutz
       dürfe die Wirtschaft nicht überfordern – und vor zwei Wochen einen Plan für
       eine [5][„Charta zum Klimaschutz“] vorgelegt, der 20 Schritte vorschlägt.
       Altmaier, der noch im Frühjahr 2019 vor seinem eigenen Ministerium nicht
       vor den FFF-DemonstrantInnen sprechen durfte, begründet das ausdrücklich
       auch damit, wie die jungen Menschen ihn beeindruckt hätten.
       
       Zwar sind die deutschen Emissionen in der Coronakrise so weit abgesackt,
       dass selbst das Minus-40-Prozent-Ziel bis Ende 2020 möglich erscheint. Aber
       was es nicht gibt: schnell wirkende Maßnahmen und ein deutliches
       strukturelles Sinken der Emissionen. „Den Frust über das deutsche
       Klimapaket kann ich gut nachvollziehen“, sagt deshalb Patrick Graichen,
       Chef des Thinktanks [6][„Agora Energiewende“], „aber die ‚Fridays‘ hatten
       bisher schon einen Wahnsinnserfolg.
       
       Ohne sie gäbe es den Green Deal der EU-Kommission nicht.“ Für ihn ist klar:
       Die junge Klimabewegung hat – neben den Hitzesommern und neuen Warnungen
       aus der Wissenschaft – in ganz Europa entscheidend zur „Grünen Welle“ bei
       den EU-Wahlen 2019 beigetragen. Das Thema sei deshalb bei der umstrittenen
       Bildung der EU-Kommission für Ursula von der Leyen so wichtig geworden,
       dass sie es ganz nach vorn gestellt habe. „Das hätte von der Leyen von sich
       aus nie gemacht“, ist Graichen sicher.
       
       Er geht noch weiter: Während FFF das deutsche Gesetz zum Kohleausstieg 2038
       kritisieren, sorgten sie indirekt dafür, dass das Ende der Kohle viel
       schneller kommen werde: „Der Green Deal führt jetzt schon dazu, dass die
       Preise im Emissionshandel auf 30 Euro pro Tonne gestiegen sind. Kohle wird
       immer unrentabler, immer mehr Kraftwerke gehen vom Netz.“ Auch wenn
       Ursachen und Wirkungen in der Energiepolitik „für 16-Jährige nicht immer
       leicht zu durchschauen“ seien, sei der aktuelle Einbruch bei der
       Kohleverstromung in Europa letztlich auch ein Verdienst der „Fridays“.
       
       „Das politische System hat die Klimafrage durch die ‚Fridays‘ jetzt viel
       mehr verinnerlicht“, sagt Jochen Flasbarth, SPD-Staatssekretär im
       Umweltministerium. Die Bewegung sei „sehr stark und sehr regierungskritisch
       und sie bringen eine Respektlosigkeit in die Debatte, die wir von den
       Umweltverbänden nicht mehr gewohnt sind“, sagt Flasbarth, der selbst
       Präsident des Umweltverbands NABU war. Politik und Wirtschaft hätten
       außerdem „Angst vor der Mobilisierungskraft der FFF“.
       
       Für den Realpolitiker Flasbarth sind die ultimativen Forderungen der
       Bewegung aber auch eine Gefahr: „Bei der Klimakonferenz in Madrid haben sie
       gefordert, dass die UN-Staaten sofort neue Klimapläne vorlegen. Aber das
       geht in demokratischen Staaten einfach nicht. Legitimation für Politik muss
       auch über Prozesse kommen, so schwer das manchmal zu ertragen ist.“
       
       Ein ganz privater Machtfaktor seien die Jungen und Mädchen aus der
       Klimabewegung aber auch am Frühstückstisch, sagt Sabine Nallinger. Sie ist
       Vorständin der [7][„Stiftung 2 Grad“], mit der deutsche Unternehmen
       Lobbyarbeit für Klimaschutz machen.
       
       ## Harte Landung in der Realität
       
       „Mir haben viele Manager und Unternehmenschefs gesagt: ‚Meine Kinder
       stellen mich zur Rede, sie sagen: Ihr nehmt uns die Zukunft weg.‘“ Für
       Nallinger hat das einen großen Einfluss auf die Politik in den Chefetagen,
       immer mehr Unternehmen engagierten sich für Klimaziele. „Sie merken dann
       auch zu Hause: Es gibt keine Gegenargumente mehr!“
       
       Eine „harte Landung in der Realität“ erwartet Agora-Chef Graichen für die
       Bewegung. „Es ist ein schmaler Grat, das wissenschaftlich Nötige zu
       fordern und trotzdem nicht das Ende der Welt zu propagieren, wenn die 1,5
       Grad überschritten werden“. Wirkliche Veränderungen gebe es nun einmal nur
       durch Wahlen. „Deshalb müssen die ‚Fridays‘ also mindestens noch ein Jahr
       bis zur Bundestagswahl 2021 durchhalten.“
       
       Mut dafür machte den Demo-TeilnehmerInnen vor dem Brandenburger Tor am
       Freitag der Potsdamer Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf. Er erinnerte
       daran, dass die deutschen Umweltverbände vor fünf Jahren gefordert hatten,
       die EU solle ihr Klimaziel auf minus 55 Prozent anheben. Jetzt sei das
       greifbar nahe – „und das haben wir auch den ‚Fridays‘ zu verdanken“, lobte
       Rahmstorf.
       
       26 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [7] https://www.stiftung2grad.de/
       
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