# taz.de -- Die Abstraktion der Arbeit
       
       > Im Oldenburger Kunstverein sind „Foto Arbeiten“ des Leipziger Künstlers
       > Adrian Sauer zu sehen. Sie zeigen den Übergang von analoger zu digitaler
       > Produktion in der Fotografie
       
 (IMG) Bild: Die analoge Kamera als Museumsstück. Adrian Sauer hat sie fotografiert
       
       Von Mira Nass
       
       „Eine Fotografie der Kruppwerke oder der A.E.G.“, schrieb Walter Benjamin
       1931, Bertolt Brecht zitierend, „ergibt beinahe nichts über diese
       Institute. Die eigentliche Realität ist in die Funktionale gerutscht. Die
       Verdinglichung der menschlichen Beziehungen, also etwa die Fabrik, gibt die
       letzteren nicht mehr heraus.“ Was Brecht meinte: Eine Fotografie der Fabrik
       sagt nichts über die Fabrik aus. Denn sie verschweigt all ihre komplexen
       Zusammenhänge: die Produktion, die Lohnarbeit, das Kapital. Mit der
       Automatisierung schreitet die Abstraktion der sichtbaren Arbeit stetig
       voran.
       
       Im Oldenburger Kunstverein ist derzeit die Ausstellung „Foto Arbeiten“ des
       Leipziger Künstlers Adrian Sauer zu sehen. Auf welches Verhältnis von
       Fotografie und Arbeit spielt sie an? Es ist zunächst einmal die Fotoarbeit
       selbst. Die Ausstellung umfasst 17 Werke, entstanden zwischen 2008 und
       2020. Sie bietet damit einen umfassenden Einblick in das professionelle
       Schaffen des Fotografen. Frontal zum Eingang hängt sein bekanntestes Werk,
       „16.777.216 Farben“ (2010). Aus der Distanz scheint es einheitlich grau,
       aus der Nähe offenbart sich eine schier endlose Fläche aus bunten Pixeln.
       Der fast 5 Meter lange Print erzählt von der Berechenbarkeit und der
       Endlichkeit des digitalen Raums, denn er umfasst den gesamten Farbraum des
       RGB-Farbmodus.
       
       Die Rolle von Farbe als zentrales Arbeitswerkzeug der Fotografie wird auch
       in der Serie „Raum für Alle“ (2015) thematisiert: Auf Basis meist
       schwarzweißer Fotografien aus dem Bauhaus-Archiv Berlin rekonstruierte
       Sauer am Computer einzelne Zimmer aus dem Direktorenhaus von Mies van der
       Rohe, den Meisterhäusern Feininger und Albers oder einer Volkswohnung. Die
       Fotografien werden digital erarbeitet. Eingefärbt und mit
       Oberflächenstrukturen versehen bieten sie Einblicke in seltsam konserviert
       wirkende Interieurs. Das erinnert an Thomas Demands Fotografien von aus
       Papier nachgebauten Raummodellen. Beide Fotografen zeigen einen Raum, ohne
       diesen zu zeigen.
       
       In der mehrteiligen Arbeit „Parkett“ (2016) verdeutlicht sich die
       illusorische Kraft der Fotografie. 36 Aufnahmen präsentieren Ausschnitte
       eines vermeintlichen Holzbodens. Diese serielle Reihung fragt danach, wie
       lückenlos Fotografie eine (Ober-)Fläche zu kartografieren vermag, und
       verweist auf ihr imitierendes Potenzial, das im Alltag zwar omnipräsent
       ist, häufig jedoch unbemerkt bleibt: Der Bodenbelag PVC etwa suggeriert
       mithilfe der Fotografie eine hölzerne Oberflächenstruktur, wo kein Holz
       ist. Offen bleibt daher, ob wir in „Parkett“ Aufnahmen eines Parkettbodens
       oder Aufnahmen von Aufnahmen eines Parkettbodens sehen. Doch der
       Unterschied scheint gar nicht relevant. Denn Sauer geht es mit der Spannung
       zwischen Sehen und Wissen weniger um Form und materielle Präsenz des
       abgebildeten Gegenstands als vielmehr um die Fotografie als einer
       Oberflächenerscheinung sowie die fotografische Arbeit mit und an
       Oberflächenerscheinungen.
       
       „LEICA M9-P Edition Hermès. Série Limitée Jean-Louis Dumas“ (2013) und
       „Unboxing Photoshop“ (2011) machen Anleihen bei einer modernen Sach- oder
       Werbefotografie. Einmal sehen wir zwei Hände in weißen Stoffhandschuhen,
       wie sie Museumskuratorinnen oder Archivarinnen bei der Arbeit mit
       Originalen tragen. In vier Einzelaufnahmen präsentieren sie einem
       Auktionskatalog gleich die Hermès-Edition der Leica vor grauem Untergrund.
       Das andere Mal öffnen zwei Hände in zwölf Schritten ein Paket. Es enthält
       eine CD der Bildbearbeitungssoftware Photoshop.
       
       Diese mehrteiligen Arbeiten stellen jeweils eine Reminiszenz an
       fotografische Arbeitswerkzeuge dar, die ihre Relevanz eingebüßt haben –
       oder sich vollends vom Materiellen gelöst. Heute ist die Leica ein
       Sammler*innenstück, einst spannte sich um sie ein Mythos: Zu Beginn des 20.
       Jahrhunderts etablierte sie das Kleinbildformat, das viel leichter zu
       transportieren war als die sperrigeren Mittel- oder Großformatkameras. Mit
       ihr waren Tempo, Dynamik und Fortschritt verbunden. Photoshop ist bis heute
       Standardprogramm vieler Fotograf*innen. Doch längst ist die Software als
       Download vom physischen Datenträger befreit. Die Fotografie ist stets „auf
       Prozesshaftigkeit und Erneuerung“ (Maren Lübke-Tidow) angelegt.
       
       An Sauers Werkkomplex lässt sich der zentrale Paradigmenwechsel der
       Fotografie vom Analogen zum Digitalen untersuchen. Der Künstler hatte
       diesen während seines Studiums unmittelbar erfahren und zu seiner
       künstlerischen Grundlage gemacht. Seine Fotografien ermöglichen uns die
       kritische Analyse eines Wandels des Arbeitsbegriffs, der zunehmend
       dringlicher wird. Denn was Brecht in seinem berühmten Zitat auch sagte: „Es
       ist also ebenso tatsächlich Kunst nötig.“
       
       Bis 8. November, Oldenburger Kunstverein
       
       30 Sep 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mira Anneli Naß
       
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