# taz.de -- Studie über Dämonisierung von Frauen: Das mordende Weib
       
       > Mineke Schipper hat weltweit den Geschichten und Mythen nachgespürt, die
       > Frauen zu Frauen machen. Sie dienen der Ausübung von Kontrolle.
       
 (IMG) Bild: Ein Austellungstück des Vaginas Museum in London
       
       Deutlich zeichnet sich eine weibliche Wölbung auf seiner Brust ab: Es ist
       Jesus, der mit einer wohlgeformten Brust die Christenheit nährt. Das
       kollektive christliche Gedächtnis scheint diese Jesus-Darstellungen
       verdrängt zu haben. Sie ist keine Ausnahme, auch Shiva wird mit weiblicher
       Körperhälfte dargestellt. Weiblich und männlich, in einem Körper vereint,
       mythische Transsexualität. Fast scheint es, als wollten einige Mythen die
       Existenz des weiblichen Geschlechts, seine Macht und Ohnmacht,
       verschleiern.
       
       Solchen Mythen widmet sich Mineke Schipper in ihrem Buch „Mythos
       Geschlecht“. Die Autorin war unter anderem Professorin für interkulturelle
       Literaturwissenschaft und lehrte in den 60er Jahren an der Universität
       Kongo. Kenntnisreich und fundiert erzählt Schipper von den Mythen, die das
       weibliche Geschlecht umranken.
       
       Wer hätte gedacht, dass die Vorstellung, [1][in der Vagina] könnten
       Schlangen hausen, nicht nur historisch weit verbreitet war, sondern bis
       heute anhält? So groß ist die Angst vor der vaginalen Schlangengrube, dass
       manche Kulturen Männer bestimmten, die die gefährliche Arbeit der
       Entjungferung von Frauen übernahmen. Sigmund Freud übrigens mutmaßte, dass
       man so den Bräutigam davor bewahren wollte, den Hass der Braut über die
       (gewaltvolle) Entjungferung auf sich zu ziehen.
       
       Viele Mythen über die Entstehung der Welt erzählen von der Aneignung
       weiblicher Attribute durch männliche Schöpfergottheiten. Beinahe scheint es
       so, als sei der [2][wichtigste männliche Beitrag] zur Mythenbildung
       derjenige gewesen, die Gebärfähigkeit der Frau aus dem kollektiven
       Bewusstsein zu tilgen. Spricht daraus Gebärneid? Oder die schreckliche
       Angst vor der ungeheuren Macht des Uterus, Leben heranwachsen zu lassen?
       
       Nicht nur in Mythen können Kinder aus männlichen Kniekehlen oder dem Penis
       schlüpfen. Auch Naturwissenschaftler des 18. Jahrhunderts wollten im Sperma
       winzig kleine Menschlein erkennen, die nur noch in ein Gefäß, einen
       weiblichen Uterus, verpflanzt werden mussten.
       
       ## Vulven schlagen Krieger in die Flucht
       
       Gemein haben die aufgezeigten Mythen, dass sie der Frau, ihrem Geschlecht,
       besondere Schwächen zuschreiben, die seine Beherrschung erklären sollen,
       ihm zugleich aber ungeheure Macht unterstellen. Oder wie sonst könnten
       entblößte Vulven Kriegerstämme in die Flucht schlagen?
       
       Unreinheit, Unkeuschheit, alles Schlechte der Welt scheint im Weiblichen zu
       wurzeln. Warum eigentlich hat sich weltweit eine Dominanz des Mannes über
       die Frau durchsetzen können?
       
       Schipper kann zwar die Mythen, die die Unterwerfung „rechtfertigen“,
       beschreiben, aber keine eigentliche Erklärung für die Ausrichtung dieser
       Erzählungen liefern. Die Vorstellung, es habe möglicherweise matriarchale
       Kulturen in ferner Vergangenheit gegeben, weist sie zurück: keine Beweise,
       nirgends. Aber wenn schon keine weibliche Vorherrschaft – warum erscheint
       ein Geschlechterequilibrium im Mythos unmöglich?
       
       ## Handfeste Machtinteressen
       
       Weil Mythen eine Rechtfertigung dafür liefern, warum die Welt so ist, wie
       sie ist; weil sie das Politische, die handfesten Machtinteressen überdecken
       und sie in heitere Erzählungen kleiden, ist ihre Wirkung so nachhaltig.
       Mythen mag man belächeln, aber der Kern der symbolischen Darstellung bleibt
       unbewusst bestehen.
       
       Oder warum werden Periodenprodukte im TV mit blauer Flüssigkeit beschmiert?
       Das Tabu des Periodenbluts wirkt nach, auch wenn die Rechtfertigungsgründe
       heute „rationaler“ erscheinen. Blut ist doch unhygienisch, wer will das
       sehen?
       
       ## Mythisches Denken ist nachhaltig
       
       Die Reise durch die Welt der Mythen, die so wenig mit „unserer“
       aufgeklärten Kultur zu tun zu haben scheint, lehrt uns deutlich, wie
       nachhaltig mythisches Denken uns bestimmt.
       
       Nun wäre all das eventuell eine faszinierende, amüsante, manchmal
       erschütternde Fußnote, hätten diese Mythen nicht bis heute handfeste,
       bisweilen brutale Folgen. In der weiblichen Genitalverstümmelung, von der
       Millionen von Frauen weltweit betroffen sind, spiegelt sich vielleicht am
       deutlichsten das unheilvolle Nachwirken des Mythos vom unreinen weiblichen
       Geschlecht wider.
       
       18 Sep 2020
       
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