# taz.de -- Mikroplastik in Gewässern: Großer Wirbel um kleine Teilchen
       
       > Die EU will Mikroplastik in Gewässern und Böden eindämmen. Die Wirtschaft
       > versucht strenge Regeln zu verhindern – offenbar erfolgreich.
       
 (IMG) Bild: Kicken künftig besser ohne Kunstrasen
       
       Berlin taz | Die Europäische Union ist dabei, ihre ambitionierte
       Gesetzgebung zu Mikroplastik in der Umwelt zu verwässern. Das geht aus
       einer Untersuchung des Europäischen Umweltbüros (EEB) hervor, die der taz
       vorliegt.
       
       Demnach ist es der Industrie im Laufe des Gesetzgebungsprozesses gelungen,
       zahlreiche Vorstellungen in die Formulierungen einfließen zu lassen. „Die
       europäische Chemikalien-Agentur setzt die Warnungen ihrer eigenen
       wissenschaftlichen Experten außer Kraft“, kritisiert Elise Vitali,
       Chemikalienexpertin des EEB.
       
       Absichtlich verwendete Mikrokunststoffe in Kosmetika, Farben,
       Arzneimitteln, Beton, Saatgut, Dünger oder auf Kunstrasen [1][haben
       Behörden und Umweltorganisationen schon länger im Visier].
       
       Obwohl keine gesicherten Erkenntnisse über die Mengen von Mikroplastik in
       der Umwelt oder über ihre Gesundheitsgefahren vorliegen, war die
       EU-Kommission nach dem Vorsorgeprinzip tätig geworden und hatte die
       Chemikalienagentur (Echa) beauftragt, im Rahmen des
       EU-Chemikaliengesetzes (Reach) eine Regulierung zu erarbeiten.
       
       ## Die Industrie verwässert
       
       Im Januar 2019 veröffentlichte die Behörde einen Vorschlag, wie die
       Emission von Mikroplastik in die Umwelt in der EU über einen Zeitraum von
       20 Jahren um etwa 500.000 Tonnen verringert werden könnte.
       
       Dieser wurde in den vergangenen anderthalb Jahren von verschiedenen
       EU-Gremien bearbeitet und von der Wirtschaft, von Umwelt- und
       Lobbyverbänden kommentiert. Am 1. September endet diese Phase, nun werden
       die Ergebnisse zusammengetragen. Das EEB befürchtet deutliche
       Verschlechterungen des Ursprungsentwurfs.
       
       Erstes Beispiel: Die Definition von Mikroplastik. Die Echa schlug eine
       Definition von 1 Nanometer bis 5 Millimeter für Partikel und eine Länge von
       3 Nanometern bis 15 Millimeter für Fasern vor. Zu klein, befand die
       Industrie.
       
       „Eine analytische Erfassung einzelner Polymermoleküle oder nur weniger
       nanometergroßer Partikel ist nach aktuellem Stand der Technik nicht
       möglich“, befand der Verband der Chemischen Industrie und schlussfolgerte,
       es gebe „keine Möglichkeit der analytischen Erfassung, der Kontrolle und
       des Vollzugs“.
       
       Der Einspruch zeigte Erfolg: Im derzeitigen Dokument ist eine Definition
       von 100 Nanometer bis 5 Millimeter für Partikel und 300 Nanometer bis 15
       Millimeter Länge für Fasern vorgesehen. „Wenn die untere Größengrenze
       angehoben wird, könnten Unternehmen auf Nanopartikel umstellen, die bislang
       keine verwendet haben oder kleinere Partikel verwenden als bisher“,
       kritisiert Vitali. Diese seien wahrscheinlich toxischer und könnten
       leichter von lebenden Zellen absorbiert werden.
       
       Zweites Beispiel: Der Einsatz von Gummigranulat auf Kunstrasensportplätzen.
       Rund fünf Kilogramm Granulat pro Quadratmeter werden laut Industrieverband
       IAKS auf den rund 5.000 Fußball-Kunstrasenplätzen in Deutschland verstreut.
       Von den vier Maßnahmen, die der Entwurf gegen den Eintrag von Mikroplastik
       in die Umwelt vorsah, ist nicht viel geblieben.
       
       Obwohl maßgebliche Wissenschaftler aus EU-Gremien ein Verkaufsverbot als am
       sinnvollsten bewerteten, startet die Echa erst einmal ein
       Konsultationsverfahren, um herauszufinden, ob es Alternativen zum
       Kunststoffgranulat gibt.
       
       Drittes Beispiel: In dem Entwurf der Echa waren umfangreiche
       Berichtspflichten für die Industrie vorgesehen. Die Unternehmen sollten
       angeben, welche Polymere sie wo einsetzen und wie viel davon in der Umwelt
       landet.
       
       ## Keine gesicherten Erkenntnisse über Risiken
       
       Diese Berichtspflichten sind nun deutlich eingedampft und umfassen nur noch
       eine Beschreibung der Polymere sowie eine Schätzung der Freisetzung in die
       Umwelt. „Die jüngsten Empfehlungen sind jetzt so schlecht geschrieben, dass
       sie das Problem eher verschlimmern als verbessern können“, kritisiert
       Vitali.
       
       Bislang gibt es weder gesicherte Erkenntnisse darüber, in welchen Mengen
       Mikroplastik in die Umwelt gelangt, noch über die damit verbundenen
       Risiken. [2][Eine Auswertung verschiedener Studien der WHO aus dem
       vergangenen Jahr] hatte die großen Wissenslücken darüber offenbart, ob
       Mikrokunststoff gesundheitsschädlich ist.
       
       Umwelt- und Verbraucherschutzverbände hatten es deshalb begrüßt, dass die
       EU-Kommission das Thema angehen wollte. 2022 könnten die Beschränkungen in
       Kraft treten.
       
       1 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Verschmutzte-Oberflaechengewaesser/!5650041&s=Mikroplastik/
 (DIR) [2] /Meeres-Expertin-ueber-Mikroplastik/!5617927&s=Mikroplastik/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Holdinghausen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Umweltverschmutzung
 (DIR) Plastikmüll
 (DIR) Mikroplastik
 (DIR) Ozean
 (DIR) Fußball
 (DIR) Meeresverschmutzung
 (DIR) Mikroplastik
 (DIR) Mikroplastik
 (DIR) Mikroplastik
 (DIR) Chemie
 (DIR) Müll
 (DIR) Mikroplastik
 (DIR) Mikroplastik
 (DIR) Quallen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) EU-Verbot von Kunstrasen: Das Ende des Plastikfußballs
       
       Wird Fußball bald auf zerkleinerten Olivenkernen gespielt? Nach dem
       EU-Verbot von Plastikgranulaten ab 2031 braucht es einen alternativen
       Kunstrasen.
       
 (DIR) Forscher über Meerplastik und Entsorgung: „Überall zerstreut“
       
       Der Biochemiker Aaron Beck untersucht den im Atlantik treibenden
       Plastikmüll. Eine Chance der Entfernung von Mikroplastik aus dem Meer sieht
       er nicht.
       
 (DIR) Mikroplastik im Boden: Großer Forschungsbedarf
       
       Landwirtschaftlich genutzte Flächen sind oftmals stark mit Mikroplastik
       belastet. Vor allem Klärschlämme kontaminieren die Äcker.
       
 (DIR) Meeresboden als Müllhalde: Mikroplastik tief im Meer
       
       Wissenschaftler finden Kunststoffpartikel in einem Tiefseegraben im
       Pazifik. Warum sich ausgerechnet dort mehr Plastik ablagert, ist unklar.
       
 (DIR) Bericht über Plastik aus Babyflaschen: 1,6 Millionen Partikel
       
       Laut einer neuen Studie geben Trinkgefäße aus Kunststoff für Babys viel
       Mikroplastik ab. Mögliche Folgen für die Gesundheit sind noch unklar.
       
 (DIR) Chemikalien in Lebensmittelverpackungen: Der Kampf um das Vorsorgeprinzip
       
       Giftige Chemikalien raus aus Lebensmittelverpackungen, fordern
       Verbraucherschützer – kurz bevor die EU ihre neue Chemikalienpolitik
       vorstellt.
       
 (DIR) Finanzrisiko neue Produktionsanlagen: Der Plastikgipfel ist in Sicht
       
       Wie viel Plastik braucht die Menschheit? Die Industrie meint: immer mehr.
       Ein Irrtum, der Investoren 400 Milliarden Dollar kosten könnte.
       
 (DIR) Meeres-Expertin über Mikroplastik: „Die WHO-Studie ist enttäuschend“
       
       Noch immer fehlen Untersuchungen, die Auskunft über die Gefahren von
       Mikroplastik für die Gesundheit geben, sagt Bettina Taylor vom BUND.
       
 (DIR) Gummigranulat in Kunstrasen: Plastikfrei kicken
       
       Die Europäische Union plant ein Verbot von Mikroplastik. Davon betroffen
       wäre auch Gummigranulat, das auf Kunstrasenplätze gestreut wird.
       
 (DIR) Wofür man Quallen nutzen kann: Lecker Tentakelsalat
       
       Quallenschleim als Filter von Mikroplastik? Wissenschaftler sehen Chancen,
       Quallen auch als Dünger, Nahrungsmittel oder in der Kosmetik einzusetzen.