# taz.de -- Kölns Oberbürgermeisterin Reker: „Ich bin noch nicht fertig“
       
       > Die parteilose Henriette Reker regiert seit fünf Jahren in Köln. Bei der
       > kommenden Wahl wird sie von CDU und Grünen unterstützt. Sie hat gute
       > Chancen.
       
 (IMG) Bild: Henriette Reker am Aachener Weiher am Stadtrand von Köln
       
       Henriette Reker verspätet sich. „Ich will jetzt hier keinen großen
       Auftritt“, sagt sie und schickt ihren Mitarbeiter vor, die Lage auf dem
       Sommerfest der Grünen zu sondieren. Ein Grußwort soll sie sprechen. Gerade
       allerdings begeistert noch Grünen-Chefin Annalena Baerbock ihre Fans.
       
       Als sie endlich angesagt wird, Jubel. Noch mehr Jubel, als Baerbock von
       der Bühne aus ruft, Köln brauche Reker weiter als starke
       Oberbürgermeisterin. Reker selbst sagt dann nur ein paar belanglose Sätze.
       Etwas unbeholfen wirkt sie. „Ich geh mal wieder von der Bühne.“
       
       Henriette Reker ist seit fünf Jahren Oberbürgermeisterin von Köln. Als
       erste Frau regiert sie eine deutsche Millionenstadt, die viertgrößte des
       Landes. Wobei, ihrer Meinung nach ist Köln die zweitgrößte, „Berlin und
       Hamburg sind schließlich Stadtstaaten“. Sie sagt das bei einer Schorle nach
       ihrem Blitzauftritt beim grünen Sommerfest im Biergarten am Aachener
       Weiher.
       
       Die parteilose Reker, die Verwaltungsfrau, die keine Politikerin ist und
       von der viele sagen, sie passe gar nicht zu Köln, stellt sich am 13.
       September zur Wiederwahl, unterstützt von Grünen und CDU. „Ich bin noch
       nicht fertig. In fünf Jahren kann man in einer solchen Stadt nicht das
       bewirken, was man will“, sagt sie.
       
       Es dämmert, neben der Bierbank ist die Bühne aufgebaut, bis gerade eben
       fand das Sommerfest statt, zu dem vier Kölner Grünen-Abgeordnete aus
       Bundes- und Landtag geladen haben. Trotz Corona versammeln sich über 100
       Leute mit eher zu wenig als zu viel Abstand. Stargast ist Parteichefin
       Annalena Baerbock – und dann Henriette Reker. Sie ist als Kandidatin hier,
       nicht als Oberbürgermeisterin, es ist Wahlkampf.
       
       ## Sie wäre fast gestorben
       
       Kurz vor ihrem Amtsantritt im Oktober 2015 wurde sie bundesweit bekannt –
       unfreiwillig. [1][Am Tag vor der Wahl stach ein rechtsradikaler Mann auf
       einer Veranstaltung mit einem Messer in Rekers Hals]. Sie überlebte knapp.
       Als [2][sie gewählt wurde], lag sie im künstlichen Koma. Ihren Amtseid
       [3][legte sie auf der Intensivstation ab], ihr Amt [4][trat sie einen Monat
       später] an.
       
       Der Täter [5][wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt]. Verziehen hat Reker ihm
       nicht. Erst beim Prozess entschuldigte er sich über seinen Anwalt. Für
       Reker bloße Prozesstaktik. „Ich habe da noch ein Problem mit“, sagt sie.
       
       Jetzt ist wieder Wahlkampf und die Erinnerungen an damals kommen häufiger
       zurück. „Aber ängstlich, nein, das bin ich nicht“, sagt sie und blickt
       fragend zu ihrem Mitarbeiter, der neben ihr auf der Bierbank sitzt. Er
       nickt. Er ist Grüner. Ihr Wahlkampfmanager wiederum ist FDP-Kreischef in
       Euskirchen, ihre Sprecherin CDU-nah – und alle unter 30. „Alt bin ich
       selbst“, sagt die 63-Jährige lachend.
       
       Im kleinen Kreis ist Reker interessiert, redselig, gelöst. Auf Bühnen, vor
       Kameras, vor Massen dagegen wirkt sie steif und gehemmt. Passt sie zu Köln,
       zu dieser Stadt, deren Herzlichkeit einen manchmal erdrücken kann?
       
       ## Reker ist gebürtige Kölnerin
       
       Reker ist hier geboren und aufgewachsen, sie liebt Köln und die KölnerInnen
       – sie lässt es sie nur nicht so oft spüren. Nicht so wie ihre Vorgänger
       Schramma und Roters, die die Öffentlichkeit genossen und so viel
       leutseliges Kölngefühl versprühten wie der Karneval.
       
       „Ihr fehlt es an Herzlichkeit, Zugewandtheit, Lässigkeit, die die Stadt
       ausmacht. Deshalb ist sie auch keine authentische Repräsentantin der
       Stadt“, sagt ein Kölner SPD-Politiker, der diesen Satz später nicht mehr
       namentlich zitiert haben will.
       
       „Das empfinde ich als Kompliment“, sagt Reker nüchtern dazu und trinkt
       einen etwas größeren Schluck Weißweinschorle. Ihre Wut auf die SPD kann sie
       allerdings nicht verbergen. Sie sei anders als ihre Vorgänger, nicht nur,
       weil sie eine Frau ist.
       
       Ihr Naturell wirkt trotz aller Sprödheit auch wie eine Frischekur für die
       Stadt. Viel funktioniert hier nämlich durch Schunkeln und Klüngelgeschäfte
       beim Kölsch, wo politische Unterschiede oft einfach weggesoffen werden.
       Reker macht da nicht mit. Sie ist präzise, leicht distanziert, in der Sache
       hart.
       
       Ganz weich wird sie allerdings, wenn es um Karneval geht. Da ist sie dann
       doch durch und durch Kölnerin. „Wenn ich die ersten kölschen Lieder höre,
       dann geht mein Herz auf. Bei 'Et jitt kei Wood, dat sage künnt, wat ich
       föhl, wann ich an Kölle denk’, da fließe ich dahin.“
       
       Sehr ernst wird Reker, als sie auf einen Satz angesprochen wird, den sie
       heute bereut. Sie war wenige Wochen im Amt, als in der Kölner
       Silvesternacht Männer massenhaft Frauen auf der Domplatte sexuell belästigt
       haben. Reker riet Frauen anschließend, zu Fremden doch eine „Armlänge
       Abstand“ zu halten. [6][Das brachte ihr Häme und Spott ein], weit über Köln
       hinaus.
       
       Nicht alles, was sie dazu sagt, soll zitiert werden, nur so viel: „Das
       würde ich nicht noch einmal so sagen. Ich habe gelernt, mich verständlicher
       auszudrücken.“ Ein Spitzenpolitiker aus Berlin, der in dieser Zeit selbst
       nach einem unglücklichen Satz in der Kritik stand, sei kurz danach zu ihr
       nach Köln gekommen, um sie zu trösten. Das habe sie gefreut. „Es passiert,
       dass ich mich äußere, ohne politisch zu denken“, sagt sie noch.
       
       ## Keine klassische Politikerin
       
       Reker ist keine klassische Politikerin, die in Parteihierarchien groß wurde
       und gelernt hat, fulminante Reden zu halten. Sie ist Verwaltungsfachfrau
       mit langer Erfahrung als Dezernentin.
       
       2015 wurde sie [7][von CDU, Grünen, FDP und weiteren kleinen Parteien
       unterstützt.] Eine Revolution für die Stadt. Alle für die Parteilose, alle
       gegen die SPD, die jahrzehntelang regiert hatte und die man bis heute für
       die behäbige Verwaltung und den Kölner Klüngel verantwortlich macht. Reker
       wollte all das ändern. Statt Parteibuch sollten die besten Ideen
       entscheiden.
       
       2018, nach drei Jahren im Amt, merkte sie, dass das nicht so einfach ist.
       Denn da hatten sich CDU und Grüne mit der SPD darauf geeinigt, [8][dem
       SPD-Fraktionschef Martin Börschel einen eigens geschaffenen
       Geschäftsführerposten bei den Stadtwerken zu verschaffen] – ohne
       Ausschreibung. Reker stoppte das. Die Parteien entschuldigten sich. Reker
       beteuert, sie habe von dem Deal nichts gewusst. Heute sagt sie: „Das war
       ein Rückfall in alte Zeiten und ein Einschnitt für mich.“ Denn auch CDU und
       Grüne waren in den Deal verwickelt, Parteien, die sie unterstützt hatten.
       
       Doch vergessen, jetzt ist wieder Wahlkampf und die Stimmung bestens. Einer
       [9][repräsentativen Umfrage im Auftrag des Kölner Stadt-Anzeigers zufolge]
       würden 61 Prozent sie wählen. Die Gemeinsamkeiten zwischen CDU und Grünen
       seien in Köln noch nicht aufgebraucht, meint sie. „Das Spannungsfeld ist
       anstrengend, natürlich. Weil man den beiden Parteien einen Weg vermitteln
       muss, den beide gehen können“, sagt Reker. An mehr Schulen und Wohnungen
       hätten aber beide Parteien Interesse. „Und die CDU ist auf dem Weg zur
       modernen Großstadtpartei. Ich freue mich, Teil dieser Entwicklung zu sein.“
       Die CDU kämpft tatsächlich nicht mehr um jeden Parkplatz, wie noch vor
       drei, vier Jahren.
       
       Die Grüne Jugend Köln unterstützt Reker damals wie heute nicht. „Wir sind
       nicht gegen sie, aber wir machen keinen Wahlkampf für sie“, sagt Sprecherin
       Nicola Dichant. „Reker redet mal den Grünen, mal der CDU nach dem Mund“,
       fügt ihr Co-Sprecher Leon Schlömer hinzu. Einzig, dass Reker sich nicht
       erst seit dem Attentat auf sie gegen rechts und für Geflüchtete starkmacht,
       finden die jungen Grünen gut.
       
       Die Kölner Junge Union dagegen ist Reker treu ergeben. „Sie hat
       konservative Themen vorangebracht“, sagt ihr Vorsitzender Silvio Crapis.
       Sie sei bodenständig, heimatverbunden, fördere Wirtschaft und Bildung.
       
       Am Vorabend des Sommerfests der Grünen war Reker als
       Bürgermeisterkandidatin in Köln-Chorweiler zu Besuch bei einer
       Bürgerplattform, die von 20 Organisationen – Kirchen, Islamverbände,
       Antirassistische Vereine – getragen wird. Reker hörte geduldig zu, was
       „Stark im Kölner Norden“ ist – und was die Plattform bewegt. Zuletzt dies:
       Viele Menschen hätten von Alltagsrassismus in Fitnessstudios einer großen
       Kette berichtet. Menschen, bei denen angenommen werde, sie seien arabisch
       oder türkisch, würden ausgegrenzt. Die Bürgerplattform wollte mit der
       Studiokette ins Gespräch kommen. Deren Reaktion: ein Schreiben der
       berüchtigten Anwaltskanzlei Höcker, die viele Kunden in der rechten Szene
       hat.
       
       „Oh, wie schrecklich“, bricht es aus Reker heraus. Sie winkt ab, scheint zu
       merken, dass ihr Ausbruch nicht bürgermeisterinnenhaft war, sucht
       Blickkontakt zu ihrem Wahlkampfmanager. „Was raten Sie uns?“, fragen die
       TeilnehmerInnen Reker. „Ich trete an die ran, als Oberbürgermeisterin“,
       sagt sie. Spontaner Applaus. „Ich bin hier als Kandidatin, aber ich bin ja
       auch nur ein Mensch. Und wenn es sinnvoller ist, als Oberbürgermeisterin an
       die Verantwortlichen zu treten, mache ich das.“
       
       „Ich rufe da morgen an“, sagt sie auch tags darauf, als sie im Rathaus
       [10][Armin Maiwald] trifft. Die Stadt hat für den Schöpfer der „Sendung mit
       der Maus“ zum Achtzigsten einen Empfang organisiert. Er nutzt die Chance
       und erzählt von der Kölner Stadtreinigung, die sich weigert, ihn einen Film
       zum 50. Maus-Geburtstag drehen zu lassen. Reker will sich kümmern. Noch ein
       kurzes Foto von ihr und Maiwald. Der Tweet der Stadt Köln erreicht bis zum
       nächsten Mittag über 4.000 Likes – viel mehr als andere. Da ist er, der
       Bonus der Amtsinhaberin, die es anders machen wollte als ihre Vorgänger.
       
       Mit Köln ist sie noch nicht fertig – obwohl sie weiß, dass hier nicht
       durchregiert werden kann: „Ich glaube, die Bevölkerung überschätzt meinen
       Einfluss als Oberbürgermeisterin, weil sie denkt, ich könne vieles
       bestimmen“, sagt sie im Biergarten. „Ich wünsche mir von der Stadt, dass
       sie anspruchsvoller wird, sie ist manchmal zu anspruchslos.“
       
       6 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [9] https://amp.ksta.de/politik/kommunalwahl/grosse-umfrage-zur-kommunalwahl-das-rennen-im-koelner-stadtrat-wird-knapp-und-spannend-37280706
 (DIR) [10] https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/armin-maiwald-feiert-runden-geburtstag-100.html
       
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