# taz.de -- Streit um die Brieftaube: Die um ihr Leben fliegen
       
       > Millionen Tauben werden in Deutschland aufwendig für Wettflüge trainiert.
       > Laut Tierrechtsaktivist:innen ist das für die Tiere oft tödlich.
       
 (IMG) Bild: Opfer oder Sportler? Die Fronten sind verhärtet
       
       „Die Tauben müssen mir gehorchen“, sagt Herr D., 62, in seinem Taubenschlag
       in Berlin-Zehlendorf, wenige Meter von der Grenze zu Brandenburg entfernt.
       Er möge keine scheuen Tauben – die Vögel haben zahm zu sein und sollen auf
       ihn hören, sonst lasse er sie schon mal einschläfern. Er versuche zwar das
       nicht massenhaft zu tun, aber manchmal sei es schlichtweg notwendig: „Das
       ist die unangenehme Seite des Hobbys.“ Wir haben uns entschlossen, Herrn D.
       nicht bei seinem vollem Namen zu nennen.
       
       Tauben sind treue Tiere. Werden sie von Partner:in, Nachwuchs oder ihrem
       Zuhause getrennt, fliegen sie bis zu 120 Kilometer pro Stunde und finden
       durch ihren Orientierungssinn über Tausende Kilometer zurück. Genau das
       nutzen Taubenhalter:innen wie Herr D. weltweit für ihr Hobby aus und lassen
       die Vögel an Wettflügen teilnehmen, die sie laut Tierrechtsaktivist:innen
       über ihre Leistungsfähigkeit hinaustreiben.
       
       [1][Viele Tiere sollen an Flüssigkeitsmangel, Erschöpfung oder Verletzungen
       sterben oder in Städten stranden]. Laut einer Studie von
       Taubenexpert:innen gebe es bei diesen Wettflügen eine Verlustrate von
       durchschnittlich 53 Prozent. Eine Studie aus der Schweiz kommt auf 75
       Prozent, eine Recherche von Peta USA wiederum sogar auf eine Rate von bis
       zu 90 Prozent.
       
       Herr D. ist einer von vielen Menschen in Deutschland, die Tauben züchten,
       bei Wettflügen einsetzen und dies als Hobby, ja Sport bezeichnen. Er
       besitzt knapp 90 Vögel, insgesamt leben deutschlandweit laut Schätzungen
       der tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz 2,5 Millionen Tiere, die zu
       diesem Zweck gezüchtet, gehalten und trainiert werden.
       
       Herr D. hält seine Tauben in Käfigen in einem Verein für
       Kleinzüchter:innen, wo er täglich vier bis fünf Stunden verbringt. Von
       morgens bis nachmittags arbeite er als Taxifahrer, danach kümmere er sich
       um seine Vögel – er wolle schließlich, dass sie bei den Wettflügen
       bestmöglich abschneiden. Dieses Jahr sei er mit 38 Tieren bei den
       Wettflügen angetreten, am Ende seien noch 26 übrig gewesen.
       
       ## „Ich kenne keinen Vogel, der nicht fliegen möchte“
       
       Die Wettflüge werden von Regionalverbänden deutschlandweit organisiert. Die
       angemeldeten Tauben werden von den Züchter:innen zu einem Transporter
       gebracht, in Käfige gesteckt und anschließend zu einem festgelegten
       Startort gefahren, der häufig auch außerhalb Deutschlands liegt. Am Ziel
       angekommen, beginnt der Wettflug, nachdem alle Tauben zur gleichen Zeit
       freigelassen wurden. Kommen die Tauben dann wieder in ihrem Schlag an,
       werden sie durch einen Chip in einem Ring, den sie für die Wettflüge
       erhalten, von einem Computersystem registriert, das am Eingang der Käfige
       angebracht ist.
       
       Der Verband deutscher Brieftaubenzüchter ist in diesen Kreisen dabei so
       etwas wie der DFB für den Brieftaubensport. Bereits zum zweiten Mal bemüht
       sich der Verband darum, Brieftaubensport als immaterielles Kulturerbe
       anerkennen zu lassen – die Entscheidung fällt voraussichtlich im Dezember
       2020. Die einzelnen Regionalverbände sind ihm untergeordnet, die wiederum
       in Reisevereinen organisiert sind und regionale Wettflüge veranstalten.
       
       Pressesprecherin Elena Finke versteht die Kritik vieler
       Tierrechtsorganisationen nicht: „Wir tun alles dafür, dass es den Tauben
       gut geht.“ Die hohen Verlustraten der Studien könne sie nicht
       nachvollziehen. Zwar komme es immer wieder zu einzelnen Verlusten, diese
       seien aber nicht zu verhindern: „Es kommt schon mal vor, dass eine
       Brieftaube von einem Greifvogel angegriffen wird, dabei kann aber nicht von
       Tierquälerei gesprochen werden.“ Die Wettflüge seien tierrechtlich
       unbedenklich, auf die Möglichkeiten der Tauben angepasst und kein Problem
       für die Tiere: „Ich kenne keinen Vogel, der nicht fliegen möchte.“
       
       „Im Brieftaubensport ist es gängige Praxis, dass Züchter:innen den
       leistungsschwachen Tieren bei vollem Bewusstsein den Kopf abreißen oder den
       Hals umdrehen“, sagt Nadja Michler, 41. Sie arbeitet als Fachreferentin für
       Wildtiere bei der Tierrechtsorganisation Peta und bekam bereits mehrfach
       Videos zugespielt, die zeigen, wie vermeintliche Züchter:innen ihre Tauben
       töten. Nadja Michler setzt sich deshalb mit der Tierrechtsorganisation für
       ein komplettes Verbot der Taubenzucht und Wettflüge ein: „Die Tiere sind
       normalerweise standorttreu, werden für die Wettflüge von Partner, Gelege
       und Schlag getrennt und fliegen so schnell, weil sie panisch den Weg nach
       Hause suchen.“
       
       ## Interne Ehrengerichte
       
       Tierquälerisches Verhalten dulde der Verband deutscher Brieftauben laut
       Pressesprecherin Elena Finke nicht. Sollten Fälle wie die hier erwähnten
       bekannt und dem Verband angezeigt werden, tage ein internes Ehrengericht,
       das solche Züchter:innen des Verbandes verweisen kann. Es gebe aber auch
       Züchter:innen, die Teile ihres Taubenschlags an Tierparks für
       Adlerwarten spenden oder zum eigenen Verzehr töten: „Wir haben gegen
       Schlachtungen, die mit dem Tierrechtsgesetz vereinbar sind, nichts
       einzuwenden.“
       
       Brieftauben und Menschen verbindet eine lange Geschichte, die bis 2.000 vor
       Christus zurückgehen soll. In ihrer Anfangszeit Mitte des 19. Jahrhunderts
       nutzte sogar die Nachrichtenagentur Reuters Brieftauben für ihren Dienst.
       Im Krieg wurden die Tiere ebenfalls zur Nachrichtenübermittlung genutzt.
       Die US-Armee hatte während des Zweiten Weltkrieges eine Abteilung, die sich
       mit der Ausbildung und dem Einsatz von Brieftauben zum militärischen Zweck
       beschäftigte, den United States Army Pigeon Service. Die Taube G. I. Joe,
       die wohl berühmteste ihrer Art, soll durch ihre Übermittlung von
       Nachrichten Tausenden von Menschen das Leben gerettet haben.
       
       Während der Wettkampfphase, die für ältere Tiere von Mai bis August läuft,
       sehen Herrn D.s Tauben ihre Partner immer nur wenige Stunden nach dem
       Wettflug. „Wenn sie länger zusammenbleiben, würden sie sich eventuell
       fortpflanzen“, sagt er. Das aber kann er während der heißen Phase des
       Sports nicht gebrauchen. „Eine schwangere Frau kann schließlich auch keine
       100 Meter in 11 Sekunden laufen“, sagt er. Die Vorbereitungen auf die Flüge
       scheinen dabei ziemlich kompliziert. Die richtige Ernährung spiele eine
       wichtige Rolle, zudem überschneide sich die Mauserzeit, also die Zeit, in
       der Tauben ihre Federn wechseln, normalerweise mit der Wettkampfphase. Um
       den natürlichen Vorgang hinauszuzögern, verändere Herr D. den Biorhythmus
       der Tiere durch das Licht in den Käfigen. „Die Tiere brauchen ihr
       Topgefieder für die Wettkämpfe.“
       
       In seiner Jugend habe er Fußball und Tischtennis gespielt, sagt Herr D.,
       sein Körper habe irgendwann aber nicht mehr so mitgemacht, wie er es
       wollte. Deshalb habe er nach einer sportlichen Betätigung gesucht, der er
       unabhängig von seiner körperlichen Verfassung nachgehen könne. „Du kannst
       in jedem Alter an Brieftaubenwettflügen teilnehmen“, sagt er. Bei den
       Flügen gehe es nicht um Geld, ihn motiviere der Sieg und die Ehrung in
       einem Vereinsmagazin. „Ich bin Besitzer, Betreuer und Trainer in einer
       Person und kann am Wochenende immer sehen, ob sich meine Mühe lohnt.“
       
       ## Die Taubenbörse
       
       Erfolgreiche Tauben werden laut Nadja Michler von der
       Tierrechtsorganisation Peta von Züchter:innen [2][häufig auf
       Auktionsplattformen teuer verkauft]. Die Zucht der Tiere fordere deshalb
       bereits vor den Wettflügen Opfer: „Es wird lediglich mit besonders
       leistungsstarken Tauben weitergezüchtet“, sagt Michler. „Das Wohlbefinden
       der Tiere spielt dabei keine Rolle.“ Letztes Jahr [3][wurde dabei ein
       Rekordpreis von 1,25 Millionen Euro für eine belgische Brieftaube gezahlt.]
       Bei einigen Taubenzüchter:innen scheint diese Tätigkeit also viel mehr
       als ein Hobby zu sein, es ginge dabei um viel Geld: „Diese Veranstaltungen
       sind wie eine Taubenbörse.“
       
       Beim Brieftaubensport zeigt sich eine grundsätzliche, ethische Diskussion
       über den richtigen Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft. Die Fronten
       sind dabei verhärtet, bei Tierrechtsaktivist:innen wie auch bei
       Taubenzüchter:innen. Beide Seiten beanspruchen für sich, das Beste für
       die Tiere zu wollen.
       
       „Wenn Züchtung schon eine Tierquälerei darstellen soll, dürfte es auch
       keine Haustiere geben“, sagt Elena Finke, auf Vorwürfe der
       Tierrechtsorganisation Peta angesprochen. Herr D. hält von den Bemühungen
       der Aktivist:innen nichts: „Der Brieftaubensport hat eine lange Tradition
       und gehört zu Deutschland.“ Tierrechtsaktivist:innen wie Nadja Michler
       von Peta sehen das anders. Laut Tierschutzgesetz dürfe ein Tier erst gar
       nicht über die eigene Leistungsfähigkeit getrieben werden. Genau das
       passiere bei Brieftaubenflügen aber laut Nadja Michler: „Diese Wettflüge
       sind de facto illegal, die Taubenzüchter:innen ignorieren das Gesetz.
       
       7 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Petition-der-Woche/!5675687
 (DIR) [2] https://www.pigeon-auction.de/Listing/Details/23047417/B182135675w-Tochter-BIG-BOSS-x-Yvonne-Tochter-Yvan-Rarit%C3%A4t-orig-Herbots
 (DIR) [3] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/fuer-1-25-millionen-euro-kaeufer-aus-china-zahlt-rekordpreis-fuer-belgische-brieftaube/24115784.html
       
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