# taz.de -- Protestbewegung in Belarus: Digital überrannte Diktatoren
       
       > Diktatoren sind machtlos gegen dezentral organisierte Demonstrationen.
       > Lukaschenko macht die Menschen höchstens nur noch wütender.
       
 (IMG) Bild: Zepkalo, Tichanowskaja und Kolesnikowa, bevor sie auseinandergerissen wurden
       
       Diktatoren hatten es früher leichter. Sie ließen die führenden Köpfe der
       Opposition einsperren oder vertreiben, schlossen ein paar Zeitungen und
       wiesen das Staatsfernsehen an, Heldenhaftes über die Staatsführung zu
       berichten. In den meisten Fällen waren die Proteste und
       Demokratiebewegungen damit erledigt und liefen alsbald ins Leere.
       
       Der belarussische Präsident Lukaschenko ist schon so lange im Amt, dass
       auch für ihn diese analogen Methoden zur Grundausstattung eines
       [1][funktionierenden Unterdrückersystems] gehören. Routine sozusagen. Also
       zielten seine Schergen auf die drei Frauen im Rampenlicht der Bewegung:
       Swetlana Tichanowskaja, Veronika Zepkalo und [2][Maria Kolesnikowa], von
       der wir derzeit nicht wissen, was ihr genau widerfahren ist.
       
       Natürlich hilft es, wenn Führungspersönlichkeiten regimekritischen
       Demonstranten wie in Belarus ein Gesicht geben. Doch die jüngsten
       Erfahrungen in vielen Ländern mit langanhaltenden Protesten zeigen sehr
       deutlich, dass die Digitalisierung solche Bewegungen zu einem bedeutenden
       Teil von Leitfiguren an der Spitze entkoppelt hat. Die Unzufriedenen
       organisieren sich überall dezentraler und basisorientierter als in früheren
       Zeiten. Es braucht nicht mehr den großen Organisator, das nationale
       Koordinierungsbüro oder die zentrale politische Botschaft einer Führung.
       
       Dieser Trend ist nicht nur bei den politischen Demokratiebewegungen in
       Hongkong, Iran, Libanon oder Irak sichtbar. Auch die Gelbwestenproteste in
       Frankreich oder der Aufstand gegen Rassismus in den USA zeigen, dass
       gewaltige Protestwellen sich weitestgehend führungslos entwickeln können
       und keineswegs Strohfeuer sind.
       
       ## Oppositionelle aus Belarus schauen nach Hongkong
       
       Die moderne Technik ermöglicht politische Bewegungen, wie sie zuvor so nie
       möglich waren. Von den Oppositionellen in Belarus weiß man, dass sie sich
       so einiges aus Hongkong abgeschaut haben. Bei den Aufständischen dort gilt
       die Taktik von Bruce Lee: sei formlos wie Wasser. Mächtig, aber nicht zu
       greifen.
       
       Die Stärke der modernen Protestbewegung ist deshalb gerade ihre
       „Kopflosigkeit“, sie ist schwerer auszuschalten, zu verhaften und
       einzuschüchtern als einzelne Oppositionelle. Der Werkzeugkasten der
       Diktatoren alter Schule ist nicht für spontane und dezentral per
       Messengerdienst organisierte Demonstrationen gemacht.
       
       Lukaschenko gibt sich deshalb Illusionen hin, wenn er glaubt, dass er
       [3][die Protestwelle in Belarus] brechen kann, indem er sich der drei
       Frauen entledigt, die im Wahlkampf gegen ihn angetreten sind. Es wird die
       Menschen auf der Straße höchstens noch wütender machen.
       
       8 Sep 2020
       
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