# taz.de -- Neue Hierarchie bei der Tour de France: Verschiebung der Kräfte
       
       > Primoz Roglic und sein Team Jumbo Visma demonstrieren früh und
       > eindrucksvoll ihre Stärke. Neigt sich die Ära der Dominanz von Team Ineos
       > dem Ende zu?
       
 (IMG) Bild: Früh in Form: Roglic feiert schon beim vierten Versuch einen Etappensieg
       
       Die Wachablösung bei der Tour de France ist in vollem Gange. Der Rennstall
       Jumbo Visma, dessen Fahrer bereits viel Gelb im Trikot tragen, hat aktuell
       die Oberherrschaft von dem bisherigen Branchenführer Ineos übernommen.
       Jumbo-Kapitän Primoz Roglic trumpfte gleich bei der ersten Bergankunft der
       Tour auf der Skistation Orcieres-Merlette so auf, wie es in den früheren
       Jahren die Spezialität von Chris Froome war. Nach beeindruckender Vorarbeit
       seiner Teamkollegen gewann Roglic den Bergsprint und konnte sich über zehn
       Sekunden Zeitgutschrift freuen. „Ich wollte vor allem sicher hochkommen und
       auch die Etappe gewinnen“, sagte er wenig emotional nach seinem Erfolg.
       
       Egan Bernal, der Titelverteidiger der Tour, verlor außer der Zeitgutschrift
       zwar keine weiteren Sekunden und wurde zeitgleich mit seinem Rivalen
       gewertet. Dem Sprint seines slowenischen Herausforderers war er aber nicht
       gewachsen. Nicht einmal der explosive Julian Alaphilippe, der am Berg Gelb
       verteidigte, konnte Roglic folgen. Das ist die erste und durchaus
       überraschende Erkenntnis dieser ersten Bergankunft. Der ehemalige
       Skispringer hat in Sachen Schnellkraft auf dem Rad zugelegt.
       
       Die zweite Erkenntnis konnte man ein paar Kilometer vor dem Zielstrich
       gewinnen. Da spannte sich erst der bullige Klassikerspezialist Wout van
       Aert von Roglic’ Rennstall Jumbo Visma so vor das Favoritenfeld, dass den
       anderen Fahrern gar nicht in den Sinn kommen konnte, eine Attacke zu wagen.
       Als der Belgier dann ausscherte und Michal Kwiatkowski vom Ineos-Team
       übernahm, war aber Atemholen für alle angesagt. Der Helfer von Bernal
       konnte entweder nicht oder er sollte nicht das höllische Tempo von Jumbo
       fortsetzen. Man kann vermuten, dass Ineos nicht so stark ist wie in den
       früheren Jahren und deshalb der einstige Bergzug nur als angekoppelter
       Waggon hinter dem Jumbo-Mann auf den Gipfel fuhr.
       
       Ein weiteres Indiz für diese Vermutung stellt der Rückstand von 28 Sekunden
       auf Roglic und Bernal vom designierten Co-Kapitän Richard Carapaz dar.
       Völlig abgeschrieben als B-Lösung, sollte Bernal schwächeln, ist der
       frühere Giro-Sieger zwar noch nicht. Aber topfit scheint er auch nicht zu
       sein.
       
       ## Hoffnung auf die letzte Woche
       
       Andererseits könnte Ineos einen Strategiewechsel vornehmen. Wollte der
       Rennstall mit Froome die Konkurrenz schon früh im Rennen in Schockstarre
       versetzen, so liegt die Stärke des Titelverteidigers aus Kolumbien in
       seiner Widerstandskraft in der dritten Woche. So sagte auch Bernal: „Das
       beste Szenario für mich ist, die dritte Woche in einer möglichst guten
       Position im Klassement zu erreichen und auf den langen Anstiegen dort zu
       versuchen, das aufzuholen, was ich vorher verloren habe.“
       
       Möglicherweise versucht Bernal auch nur zu verschleiern, dass er ebenso
       wenig topfit wie Carapaz ist. Vielleicht plagt ihn die Rückenverletzung,
       die ihn beim Vorbereitungsrennen Dauphiné zum Rückzug zwang, stärker als
       erwartet. Vielleicht hat der Rennstall zudem die Vorbereitung während des
       Lockdowns in den Sand gesetzt. Die [1][Nichtberücksichtigung der früheren
       Toursieger Froome] und Geraint Thomas deuten zumindest darauf hin.
       
       Roglic den Toursieg zuzusprechen und seinen Rennstall in der kompletten
       Ineos-Rolle zu sehen, wäre allerdings verfrüht. Viel Führunsgarbeit nahm
       den Männern in Gelb-Schwarz bei der Jagd hinauf zur Skistation das Team des
       Gesamtführenden Julian Alaphilippe ab. Nur ein paar Motoren des
       Jumbo-Triebwerks standen daher unter Vollast. Und es ist nicht
       ausgeschlossen, dass Roglic zu früh sein Formhoch erreicht hat.
       
       Das nächste Kräftemessen folgt heute beim insgesamt 34 Kilometer langen
       Dreifachanstieg über den Col des Mourezes und den Col de la Lusette
       hinauf zum Mont Aigoual. Dann wird sich zeigen, ob Jumbo Visma tatsächlich
       das neue Ineos ist.
       
       2 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Tour-de-France-Fahrer-Chris-Froome/!5684501
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Tour de France
 (DIR) Taktik
 (DIR) Hierarchie
 (DIR) Fahrrad
 (DIR) Radsport
 (DIR) Vuelta
 (DIR) Radsport
 (DIR) Tour de France
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Tour de France
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Spanien-Rundfahrt als Therapie: Rache auf dem Rad
       
       Der slowenische Radprofi Primoz Roglic, gezeichnet bei der Tour de France,
       rehabilitiert sich regelmäßig bei der Spanien-Rundfahrt. So auch jetzt.
       
 (DIR) Neue Radsport-Helden: Epochale Allrounder
       
       Wout van Aert und Mathieu van der Poel haben sich in der Cross-Saison harte
       Duelle geliefert. Jetzt setzen sie ihren Zweikampf auf der Straße fort.
       
 (DIR) Radrennen Spanienrundfahrt: Furioses Finale am letzten Berg
       
       Bei der Spanienrundfahrt kann Gesamtsieger Primož Roglič die Attacken
       seiner Rivalen abwehren – und ein erneutes Trauma verhindern.
       
 (DIR) Teamwork bei der Tour de France: Alle für jeden
       
       Im Radsport gibt es Chefs und Wasserträger. Nur bei einem Team ist das
       anders. Sunweb hat das Fahren ohne Chef bei der Rundfahrt perfektioniert.
       
 (DIR) Bergetappen bei der Tour de France: Schüchterner Bergfex
       
       Trotz Sturzblessuren möchte ein gereifter Emanuel Buchmann die besten
       Radprofis bei der Tour de France herausfordern. In guter Form ist er.
       
 (DIR) Doping während Corona: Prima Zeit zum Körper-Tuning
       
       Die Anti-Doping-Agenturen haben während der Pandemie deutlich weniger
       getestet als sonst. Das öffnet Türen für Betrug.
       
 (DIR) Unfälle in Serie bei der Tour de France: Hoffnung nach dem Fall
       
       Vor der vierten Etappe schlagen sich etliche Fahrer der Tour de France mit
       den Folgen ihrer Stürze herum. Darunter sind auch einige Mitfavoriten.
       
 (DIR) Tour de France und Doping: Menschliche Maschinen
       
       Leistungssteigernde Substanzen gehörten von Anfang an zur Tour de France,
       verboten wurden sie erst später. Vielen Fahrern fehlt dafür das
       Verständnis.