# taz.de -- Auf einem illegalen Rave in Berlin: DJ Superspreader
       
       > Ein bisschen Tanz auf dem Vulkan muss sein. Also nichts wie hin zu Partys
       > auf den Brachen, die es in Berlin überraschenderweise doch noch gibt.
       
 (IMG) Bild: Rave in der Hasenheide in Berlin
       
       Wie ist das nun mit großen Geburtstagen? Welche Wagnisse geht man ein, wozu
       wird man sich hinreißen lassen? Irgendwann werden wir es alle erfahren. So
       viel kann ich Ihnen verraten: Ein gewisser Flair von Love-Parade durchzieht
       gerade die Nischen aus Beton und Bäumen in Berlin.
       
       Irgendwo around Grenzallee gibt es noch diese Brachen, zwischen alten
       Lagerhallen, Fabriken und Autobahnbrücken, über die man in den 90ern im
       innerstädtischen Raum noch oft stolperte. Dass sie rar geworden sind, sieht
       man daran, dass der Weg dorthin bereits von Flaschen und Müll übersät ist.
       Das Gras ist schon platt und, da es nie gemäht wird, eher Heu.
       
       Ich werde mir diese Location merken, hier gibt es scheinbar jedes
       Wochenende was zum Tanzen. Ein immer offenstehender Club ohne Tür und ohne
       Bar, der Späti liegt 12 Minuten weg, wie mich ein junger Mann aufklärt. Ein
       Obdachloser hat hier wie der König von Deutschland sein Zelt aufgeschlagen,
       er sammelt das Pfand aller Partys bisher allein ein. Statt Rio Reiser gibt
       es Elektro, der Schutt, auf dem ich tanzen soll, harmoniert nur bedingt mit
       meinen neuen Barfußschuhen. Das ist jetzt der Nonplusultra-Test, ob ich bei
       dieser Innovation bleiben werde.
       
       Ein DJ-Pult unter einem Zelt mit Leuchtkette geschmückt, ein paar
       Diskolichter zeichnen schöne bunte Schatten an die Autobahnbrücke, die 50
       Meter weiter liegt. Süß unprätentiös.
       
       FKK-Dancing im doppelten Sinne 
       
       Letzten Sonntag war ich also auf meinem ersten illegalen Geburtstagsrave.
       
       Einen Grill mit verkohltem Gemüse und Burgern gibt es also auch. Lust auf
       Fast Food hat oft komische Ursachen. Sich angesichts der Apokalypse gehen
       lassen zu wollen zum Beispiel. Das hatte ich in meiner ersten Kolumne
       bereits erörtert. Nicht nur die Hüllen fallen, die Masken auch. FKK-Dancing
       im doppelten Sinne oben ohne, wir sind ja erstens in Ostberlin und zweitens
       nahe am Wasser.
       
       Alle sind hin- und hergerissen zwischen Sicherheit und Freiheit. Ich möchte
       den Menschen ein Gespür für Balance zutrauen. Ein bisschen Tanz auf dem
       Vulkan muss sein, um im Alltag kein Dauer-Maskenmuffel zu werden. Man muss
       mal mit 37 km/h auf dem Fahrrad versuchen in der 30-Zone geblitzt zu
       werden, um ansonsten eine anständige Verkehrsteilnehmerin sein zu können.
       Aber Kontrolle ist besser als Vertrauen, wo kämen wir denn sonst hin mit
       der Bürokratie, und ich gehe mit dem Zollstock herum und popopogoe die
       Leute in den ordentlichen Abstand, was wohl akzeptiert wird, weil es als
       Partyspiel betrachtet wird.
       
       Vielleicht auch als hinnehmbarer Handwerkerfetisch; ich bin mir nicht ganz
       sicher. Denn neben mir wird ein tanzender Typ in DHL-Uniform von mehreren
       Tänzern angebetet. Lieferboten haben in Shutdown-Zeiten einen gewissen
       Fetischcharakter bekommen, unser gespaltenes Verhältnis zu Uniformen kann
       man hier jetzt ausleben.
       
       Ein bisschen Sicherheit performen 
       
       Umso mehr, da plötzlich die Polizei erscheint, 12 Uniformierte. Die messen
       auch Abstand. Wir ahnen Böses, und manche TänzerInnen ziehen sich die
       Masken auf, weil 50 € blechen wär jetzt ja blöd. So viel Eintritt ist kein
       Club wert. Einige winken schon zum Abschied und sehen uns auf verlorenen
       Posten. „Let’s go to Disko Hasenheide!“ „Oder Görliclub!“
       
       Aber die Polizei schickt uns nach einiger knatschiger Reklamiererei nur
       wegen Lärmbelästigung vom Heu runter und unter die nahe Autobahnbrücke und
       zwinkert uns irgendwas von „Nur Haushalte dürfen zusammensitzen und
       miteinander tanzen“ zu. Der Polizei folgend pilgern wir also dem
       90er-Jahre-unter-der-Brücke-Rave noch näher entgegen und performen alle ein
       bisschen Sicherheit.
       
       Ich betrachte die Szenerie bis spät in die Nacht und frage mich, welcher
       Idiot und Musikunterhalter sich wohl demnächst als Erstes den Namen DJ
       Superspreader geben wird. Wahrscheinlich ich.
       
       24 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sarah Diehl
       
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