# taz.de -- Ungleichheit bei Vermögen in Deutschland: Der Selbstbetrug der Mittelschicht
       
       > Die meisten Deutschen haben keinerlei Vermögen. Nur ist es zu einfach,
       > die Unter- und Mittelschichten allein als Opfer zu sehen.
       
 (IMG) Bild: Es geht immer noch eine Nummer größer
       
       Deutschland ist eine Klassengesellschaft. [1][Der Reichtum ballt sich bei
       wenigen Familien, während die meisten Deutschen fast gar kein Vermögen
       haben]. Die Zahlen sind erschreckend, die das Deutsche Institut für
       Wirtschaftsforschung (DIW) jetzt publiziert hat: Das reichste Zehntel
       verfügt über 67,3 Prozent des gesamten Nettovermögens. Für den großen Rest
       der Bevölkerung bleibt also wenig übrig, und die ärmere Hälfte besitzt fast
       nichts.
       
       Für eine Demokratie ist es extrem gefährlich, wenn Arm und Reich
       auseinanderdriften. Denn die Demokratie lebt von dem politischen
       Versprechen, dass alle Menschen gleich seien – weswegen ja jeder Erwachsene
       genau eine Stimme hat.
       
       Doch das Parlament wirkt machtlos, wenn sich das Vermögen in wenigen Händen
       konzentriert. Alle arbeiten – aber auf wundersame Weise werden nur die
       Kapitalbesitzer reicher. Die Demokratie erscheint wie ein Anhängsel der
       Millionäre, weswegen nicht wenige Menschen zu dem fatalen Fehlschluss
       gelangen, dass es sich gar nicht lohne, zur Wahl zu gehen.
       
       Allerdings wäre es zu einfach, die Unter- und Mittelschichten nur als Opfer
       zu sehen. Sie wirken an ihrem eigenen Abstieg mit. Die Mehrheit der
       Deutschen wählt konsequent Parteien, die mit dem Versprechen antreten, auf
       gar keinen Fall die Steuern auf Vermögen oder Spitzeneinkommen zu erhöhen.
       
       So erstaunlich es ist: Die meisten Deutschen sind dagegen, eine vernünftige
       Erbschaftsteuer einzuführen – [2][obwohl nur Millionäre zahlen müssten und
       obwohl es sich bei Erbschaften um leistungsloses Einkommen handelt].
       Bekanntlich kann man sich seine Eltern nicht aussuchen.
       
       Doch der Selbstbetrug ist stärker: Nicht wenige Bundesbürger scheinen zu
       hoffen, dass auch sie dereinst zu den Reichen zählen könnten – und
       fürchten, dann ebenfalls Erbschaftsteuer berappen zu müssen. Also schonen
       sie die Millionäre lieber.
       
       Viele glauben zudem, sie würden in einer „nivellierten
       Mittelstandsgesellschaft“ leben. Nach dem Motto: [3][Man muss nur Abitur
       machen und studieren, dann stehen alle Türen offen]. Kein Irrtum könnte
       größer sein. Nie war eine deutsche Erwerbsgeneration so gut ausgebildet wie
       heute, doch die Vermögen bleiben ungleich verteilt.
       
       Aber vielleicht könnte Corona eine Wende bewirken. Plötzlich fällt nämlich
       auf, dass nicht die Kapitaleigner „systemrelevant“ sind – sondern die
       Pflegekräfte und Supermarktangestellten. Man kann die Pflegekräfte aber nur
       besser bezahlen, wenn der Staat neue Geldquellen auftut. Eine
       Vermögensteuer würde sich da doch anbieten.
       
       16 Jul 2020
       
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 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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