# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Polen: Demokratie oder Diktatur
       
       > Bei der polnischen Präsidentschaftswahl geht es um eine
       > Grundsatzentscheidung, auch für Europa: liberale Demokratie oder
       > autoritäres Regime?
       
 (IMG) Bild: LGBT-Anhänger protestieren gegen Präsident Duda auf einer Wahlkampfveranstaltung im Juni 2020
       
       Aus politikwissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei der [1][polnischen
       Präsidentschaftswahl] um keinen gewöhnlichen politischen Entscheid zwischen
       zwei Kandidaten. In der Stichwahl am 12. Juli konkurrieren nicht einfach
       nur ein konservativer und ein liberaler Bewerber mit ihren jeweiligen
       politischen Programmen gegeneinander. Auf der Basis von Gewaltenteilung und
       garantierten politischen Rechten wäre das ein normaler Vorgang. So
       funktioniert Demokratie. Im vorliegenden Fall geht es aber um mehr, nämlich
       um eine systemische Grundsatzentscheidung: liberale Demokratie oder
       autoritäre Diktatur?
       
       Wenn sich mit [2][Andrzej Duda] der Kandidat der PiS-Partei durchsetzt,
       wäre neben Ungarn auch das polnische Staatswesen weiterhin jenem
       diktatorischen Umbau ausgeliefert, der die Wertegemeinschaft der
       Europäischen Union schon seit Langem unterminiert. Ausgestattet mit den
       Vetomöglichkeiten des polnischen Präsidenten könnte die Opposition die
       Abschaffung der Demokratie zwar nicht gänzlich zurückschrauben, aber
       immerhin behindern. Auf die EU sollte man indes nicht allzu sehr hoffen, zu
       groß war der ostmitteleuropäische Jubel für die wirtschaftsliberale
       Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen.
       
       In den letzten Monaten hat vor allem die Hetze der PiS gegen Minderheiten
       für Aufsehen gesorgt. Zahlreiche polnische Gemeinden hatten sich zu
       „LGBT-freien Zonen“ erklärt, was der polnische Botschafter in Deutschland
       als symbolischen „Widerspruch gegen eine Ideologie, die manchmal brutal
       durchgesetzt wird“, rechtfertigte. Das dürfte die Rechtsauffassung der
       regierenden PiS und ihrer grauen Eminenz Jarosław Kaczyński treffend
       wiedergeben, immerhin steht die Frau von Botschafter Andrzej Przyłębski dem
       Verfassungsgerichtshof vor und auch Präsident Duda bekräftigte im
       Wahlkampf, [3][LGBT] seien keine Menschen, es handle sich um eine
       Ideologie. Ob das noch niederträchtiger ist als Kaczyńskis 2015 getätigte
       Aussage, Muslime brächten „alle Arten von Parasiten und Bakterien“, die „in
       den Organismen dieser Menschen harmlos“ sind, aber „hier gefährlich werden“
       könnten, ist Geschmackssache.
       
       In jedem Fall wird deutlich, wie sehr der Rechtspopulismus, auch wenn er an
       der Macht ist, angebliche Feinde des reinen Volkes beschwört. Es geht mit
       Carl Schmitt, dem ideengeschichtlichen Urvater des völkisch-diktatorischen
       Antipluralismus, um die „Ausscheidung und Vernichtung des Heterogenen“.
       Kritiker bezeichnete Kaczyński 2015 als „Polen der schlechteren Sorte“.
       Darunter fallen heute neben der Opposition auch aufmüpfige RichterInnen
       oder HistorikerInnen, die sich mit polnischem Antisemitismus beschäftigen.
       Eine Pariser Tagung zum Thema wurde 2019 im Staatsfernsehen als „Festival
       der antipolnischen Lügen“ bezeichnet.
       
       Die von der PiS ernannte Verfassungsrichterin Krystyna Pawłowicz stimmte am
       1. Juni auf Twitter explizit Donald Trumps Aussage zu, die etablierte
       Medienlandschaft sei „Fake News“ von „wirklich bösen Menschen“ mit einer
       „kranken Agenda“. Leicht ausrechenbar, auf welcher Seite sie bei möglichen
       Unregelmäßigkeiten, etwa bei der kommenden Wahl, stehen würde. Für diese
       Wahl verspricht die Regierung Kleinstädten mit hoher Wahlbeteiligung neue
       Feuerwehrautos, damit in den Hochburgen nichts anbrennt.
       
       Eingebürgert haben sich im Falle Polens und Ungarns die Bezeichnungen
       „defekte“ oder – Orbán hat das mittlerweile positiv umgedeutet, –
       „illiberale Demokratie“. Ähnliches wurde zuvor schon von Russland
       behauptet. Auch in Polen handelt es sich aber nicht nur um bloße Defizite
       in Form minderheitenfeindlicher Politiken. Die Maßnahmen sind viel
       grundsätzlicherer Natur. [4][Der staatliche Rundfunk] sendet vornehmlich
       Parteiwerbung, und die Justiz steht bis auf kleine gallische Bastionen
       unter Kontrolle der Exekutive. Als Zaubertrankersatz setzt man in Europa
       auf den EuGH, obwohl politisches Handeln gefordert und möglich ist. Ein
       demokratisches Gemeinwesen, das autoritär-diktatorische Strukturen
       finanziell unterstützt, führt sich schließlich ad absurdum.
       
       In welcher ideologischen Tradition die PiS steht, zeigt eine zentrale
       Veröffentlichung ihres Vordenkers Ryszard Legutko. Der Philosophieprofessor
       und heutige EKR-Fraktionsvorsitzende im Europäischen Parlament hat mit der
       2016 auf Englisch erschienenen Schrift „Der Dämon der Demokratie“ eine
       Liberalismus- und Demokratieschelte vorgelegt, die den von Carl Schmitt
       postulierten Gegensatz zwischen „liberalem Einzelmensch-Bewusstsein“ und
       angestrebter „Homogenität“ neu auflegt. Legutko wendet sich gegen einen
       angeblichen liberalen Totalitarismus, der Menschenrechte und Gleichheit
       postuliere und dabei einen „liberalen Blitzkrieg“ gegen das „christliche
       Erbe“ betreibe. Liberalismus und Demokratie hält Legutko, wie er 2018 in
       der Zeitschrift American Affairs ausführt, für „alliierte“ Konzepte. Man
       dürfe davor nicht kapitulieren, sondern müsse alte Traditionen
       wiederbeleben.
       
       Dieser neue Nationalkonservatismus findet seine Entsprechung im
       Antipluralismus der PiS und der Fidesz. Unterschiede zur Agenda von AfD und
       Neuer Rechter sind kaum identifizierbar. Es geht um die Identität zwischen
       Regierung und imaginierter Volksgemeinschaft, um die Agitation gegen
       individuelle Menschen- und Gruppenrechte, um die Perpetuierung einer
       kulturalistisch verstandenen Herkunftsgemeinschaft, um die metapolitische
       Veränderung des Sprach- und Diskursraums sowie um die Macht. Man trifft
       sich, wie zuletzt im Februar in Rom, auf der internationalen „National
       Conservatism Conference“. Dort spricht die polnische Botschafterin ein
       Grußwort und findet nichts dabei, dass der Hauptorganisator den
       „Nationalismus“ verteidigt und auch die italienische Neofaschistin Giorgia
       Meloni geladen ist.
       
       Kurzum: Der Überwindung der liberal-gewaltenteiligen Demokratie innerhalb
       der EU wird mit diplomatischen Bedenknoten allein nicht beizukommen sein.
       
       11 Jul 2020
       
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