# taz.de -- Die Wahrheit: Der dunkle Lord der Schleiereulen
       
       > Von Fledermäusen, Schlangenlinien und anderem Getier: Am Ende warten
       > wieder nur paar Bier in der Stammkneipe. Auch gut.
       
 (IMG) Bild: Bier ist herrlich. Besonders mit Freunden. Gerade zum Fußball. Vor allem zum Abendbrot
       
       Die Kerzen flackerten, und Toni saß im Schatten der Thuja, sodass wir sein
       Gesicht nicht sehen konnten. Nur der Rand der Kapuze, die er sich über den
       Kopf gezogen hatte, zeichnete sich in der Dunkelheit ab.
       
       „Wo bleibt nur der Fuchs?“, murmelte er. „Sein Bellen hört man eigentlich
       als erstes.“ Raimund und ich blickten uns ratlos an. „Apropos Fuchs“, sagte
       Raimund: „Hast du ’n Bier?“ Ich lachte laut los, doch Toni wies nur auf
       einen Steingutkrug. „Wasser aus meinem Brunnen“, sagte er, „du wirst es
       lieben.“ Wir schnupperten an dem Krug und ließen ihn stehen, denn der
       Geruch nach modrigem Keller deutete darauf hin, dass in den Tiefen des
       Brunnens teuflische kleine Wesen lebten, die nur darauf warteten, im
       Inneren eines menschlichen Körpers eine wüste Party zu feiern.
       
       Wir hatten Toni vor Kurzem bei einem Spaziergang im Klosterwald getroffen.
       Er stand zwischen einigen Buchen, und Raimund rief: „Mensch, Toni, du bist
       es ja wirklich! Sieht aus, als ob du mit den Eichhörnchen sprichst!“ Toni
       stapfte zu uns herüber. „Ich will dir was sagen“, raunte er ihm zu,
       „genauso ist es. Besucht mich doch mal, dann kann ich euch das erklären.“
       
       Er hatte sich in den späten achtziger Jahren einen legendären Ruf erworben,
       als er kurz vor der Volkszählung alle Straßenschilder und Hausnummern rund
       um den Goetheplatz abgeschraubt und vertauscht hatte. Danach hatte er
       jahrelang einen Stammplatz an der Theke des Café Gum gehabt und seinen Ruhm
       genossen. Irgendwann aber wussten die meisten nicht mehr, was die
       Volkszählung war, und Toni verschwand. Manche sprachen davon, dass er sich
       ein Abbruchhaus am Stadtrand gekauft habe, wo er eine Truppe von
       Fledermäusen und Wildschweinen um sich sammle, um die Stadt zu erobern und
       von der Menschenplage zu befreien. Wir hatten das immer für meschugge
       gehalten. Jetzt, da wir in Tonis Garten saßen und die Nacht hereinbrach,
       wussten wir, es war die Wahrheit.
       
       ## Von Schleiereulen und Schlangenlinien
       
       „Da!“, rief Toni plötzlich. „Hört ihr das? Die Schleiereule!“ Wir hörten
       ein heiseres Kreischen, und Raimund meinte: „Also für mich klingt das wie
       Kalle Köttenkamps altes Mofa. Wahrscheinlich war er in der Kneipe und gurkt
       jetzt in Schlangenlinien nach Hause … Apropos: Hast du eigentlich ’n Bier?“
       
       „Nein, verdammt, ich hab kein Bier! Was ist bloß aus dir geworden? Ich
       bereite hier etwas Großes vor, und ihr könntet daran teilhaben – aber du
       denkst nur an Bier! Warte nur, bis der Fuchs da ist: Ihr werdet
       hinweggefegt werden – genauso wie die anderen, und ihr werdet keine Zeit
       haben, euer Glas leer zu trinken!“
       
       Wir trafen den Fuchs kurz darauf, als wir zurück in die Stadt radelten. Die
       Spur eines Autoreifens zog sich eindrucksvoll über seinen Rücken, und
       Raimund tastete nach seinem Mundschutz und sagte: „Anscheinend muss die
       Revolution vertagt werden. Also auf ins Gum, wir haben noch Zeit für ein
       paar große, kalte Bier, bevor wir hinweggefegt werden!“
       
       30 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Joachim Schulz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Tiere
 (DIR) Kneipe
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Mauer
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Liebe
 (DIR) Bier
 (DIR) Mieten
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Die Mauer muss weg
       
       Was tun, wenn man ein atemberaubend schönes Haus erbt, das allerdings von
       einem Monstrum von niederschmetternder Hässlichkeit umstellt ist?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Erde retten mit Europaletten
       
       Neues aus dem Gum: Um im Trend zu bleiben, kann man sich auch als
       Alte-Männer-Lokal hippe Dinge einfallen lassen. Bloß legal muss es sein.
       
 (DIR) Die Wahrheit: König der Würstchen
       
       Das Glück der Liebe kann auch spät um die Ecke biegen. Aber dann sollte man
       es nicht allzu genau unter die Lupe nehmen – sonst …
       
 (DIR) Verteidigung des Industriebiers: Ein Bier für dich und mich
       
       Bei Bier sind die Umstände wichtiger als der gute Geschmack. Über
       metallische Spitzen und muffige Grundtöne muss man manchmal hinwegsehen.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Piranhas gegen Spekulanten
       
       Der Immobilienboom boomt weiter, nicht erst seit Deutsche Wohnen neu im Dax
       baut. Auch die kleine Kneipe in unserer Straße ist bedroht.
       
 (DIR) Die Wahrheit: 100 Punkte für Corona
       
       Der unfassbar wahre Wahrheit-Fragebogen für alle Überlebenskünstler und
       Davongekommenen nach der großen Virenkrise.