# taz.de -- Campact-Aktivist über Hygienedemos: „Wir predigen das Vorsorgeprinzip“
       
       > Campact hat mit der Warnung vor den Coronaprotesten einige
       > Unterstützer*innen verprellt. Vorstand Felix Kolb erklärt, warum das
       > trotzdem richtig war.
       
 (IMG) Bild: „Wir kritisieren das Verleugnen der Gefährlichkeit der Pandemie“, sagt Felix Kolb von Campact
       
       taz: Herr Kolb, ist es richtig, wenn Menschen gegen Regierungshandeln
       protestieren? 
       
       Felix Kolb: Grundsätzlich ja. Dass Menschen ihr Recht auf
       Demonstrationsfreiheit wahrnehmen, ist ja auch die Mission von Campact.
       
       Aber das gilt nicht für Proteste gegen [1][Coronamaßnahmen]? 
       
       Doch. Ich finde, dass die Bundesregierung im Großen und Ganzen richtig
       gehandelt hat – aber diese Meinung muss man nicht teilen und kann dafür auf
       die Straße gehen. Wir haben ja auch Solidaritätsproteste mit Pflegepersonal
       organisiert. Aber es ist falsch, mit Leuten zu demonstrieren, die den
       demokratischen Grundkonsens verletzen.
       
       Viele dieser Proteste werden von Personen und Gruppierungen organisiert,
       die rechtsextreme oder antisemitische Ansichten vertreten. Und wir
       kritisieren das Verleugnen der Gefährlichkeit der Pandemie. Leider glauben
       auch etliche unserer Unterstützer*innen an Verschwörungstheorien und
       behaupten, Corona sei nicht gefährlicher als eine normale Grippe. Das war
       der Anlass, [2][vor der Teilnahme an diesen Protesten zu warnen]. Als eine
       Organisation, die ständig Protest organisiert.
       
       Wie haben Ihre Unterstützer*innen auf dieses vor zwei Wochen per Mail an
       sie verschickte Statement reagiert? 
       
       Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mailing solche Emotionen und so viele
       Reaktionen hervorgerufen hat wie dieses. Viele haben gesagt, dass sie es
       gut finden, wenn wir, die die Regierungen sonst immer kritisieren, sagen
       können, „das war jetzt im Kern in Ordnung“. Aber es gab auch sehr viele
       Zuschriften von Leuten, die uns zum Teil seit Jahren unterstützen, die
       enttäuscht von uns waren. Viele haben gesagt, sie seien keine
       Verschwörungstheoretiker, sie hätten das alles nachgelesen – mit dem
       Verweis auf dubiose einschlägige Webseiten.
       
       Aber der Gipfel war für mich eine immer wieder kehrende Schlussformel, sie
       könnten sich das nicht anders erklären, als dass ich bedroht oder Campact
       dafür jetzt Regierungsgelder erwarten würde. Das hat mich schon sehr
       bestürzt, diese Unfähigkeit, uns eine andere Meinung zuzugestehen, ohne
       dahinter eine Verschwörung zu wittern.
       
       Können Sie sich das erklären? 
       
       Das hat damit zu tun, dass wir Missstände thematisieren, von denen gibt es
       ja genug, Stichwort Klima- und Sozialpolitik. Damit bieten wir wie die taz
       eine Heimat für Menschen, die unzufrieden sind. Aber viele haben offenbar
       eine so negative und vereinfachte Sicht auf die Realität, dass sie die
       Nuancen nicht sehen können. Da passt es nicht ins Weltbild, dass eine
       Regierung auch etwas richtig oder nicht komplett falsch machen kann. Wobei
       es auch Praktiken der Politik gibt, die es leicht machen, an
       Verschwörungstheorien zu glauben. Zum Beispiel ist die Lobbypolitik auf
       nationaler und internationaler Ebene viel zu intransparent.
       
       Haben Sie Ihre Unterstützer*innen damit ganz neu kennengelernt? 
       
       Nein. Nach dem Aufkommen der AfD haben wir zu unserem Entsetzen
       festgestellt, dass sich ein kleiner Prozentsatz unserer Unterstützer*innen
       der AfD nahe fühlt. Das haben wir gemerkt, als wir anfingen, uns kritisch
       zur AfD zu positionieren. Die Schnittmenge zwischen Campact und der AfD ist
       die Unzufriedenheit mit der Politik.
       
       Wir haben daraus gelernt, dass wir würdigen müssen, wenn Regierungen und
       Parteien auf gute Argumente aus der Öffentlichkeit reagieren. Seitdem geben
       wir systematisch Rückmeldung zu den Wirkungen unserer Proteste. Zum
       Fracking-Kompromiss haben wir etwa gesagt, es ist nicht, was wir uns
       gewünscht haben, aber die SPD hat alles rausgeholt. Das hat uns auch schon
       empörte Zuschriften eingebracht.
       
       Am Wochenende hat der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow
       weitreichende Lockerungen angekündigt – und dies mit den Protesten
       begründet. Ist es nicht in Ihrem Sinne, wenn Politik so direkt reagiert? 
       
       Nur weil eine Regierung auf Proteste reagiert, heißt das ja nicht, dass das
       inhaltlich richtig ist. Ich habe 1993 in Bonn gegen die Abschaffung des
       Asylrechts demonstriert. Damals hatte die Politik auch auf die öffentliche
       Meinung, auf Brandanschläge und Rassismus reagiert. Zumal diese
       Corona-Demos gemessen an der Teilnehmerzahl überproportional viel
       Aufmerksamkeit bekommen. Da wären wir glücklich, wenn wir das mit jeder
       noch so kleinen Demo erreichen würden.
       
       Was war falsch an Ramelows Vorstoß? 
       
       Ich fand zunächst das Vorgehen hochgradig problematisch, weil er isoliert
       vorgeprescht ist. Vermutlich auch, um sich für die anstehende Landtagswahl
       zu profilieren.
       
       Da war er ja nun nicht der Erste. 
       
       Nein, aber ich war sehr enttäuscht. Und die Message, die er gesendet hat,
       finde ich verheerend. Er wollte ja erst keinen Mundschutz im ÖPNV mehr
       vorschreiben und auch bei Abstandsgeboten auf Freiwilligkeit setzen. Dass
       das nicht funktioniert, haben wir gesehen, als der Mundschutz in Geschäften
       nur eine Empfehlung war. Da hat so gut wie niemand einen getragen. Das ist
       vergleichbar mit der Einführung von Sicherheitsgurten. Das war auch
       umstritten, hat sich aber durchgesetzt. Trotzdem sagt jetzt niemand, das
       ist nicht mehr vorgeschrieben, sondern nur noch ein Gebot. Recht hat
       Ramelow hingegen, wenn er sagt, man brauche nicht mehr Tag und Nacht einen
       Krisenstab.
       
       Vielleicht waren auch nicht alle Maßnahmen sinnvoll? 
       
       Nach dem, was man zu Beginn wusste, waren Kontaktbeschränkungen und andere
       Schutzmaßnahmen folgerichtig. Als Campact predigen wir immer das
       Vorsorgeprinzip, wenn es um Risiken geht. Es war richtig, dieses Prinzip
       anzuwenden. Diese Konsequenz wünsche ich mir beim Thema Klimaschutz oder
       bei Risikotechnologien.
       
       Hat die Bundesregierung nichts falsch gemacht? 
       
       Einer der großen Fehler war, dass die Debatte über die Frage, wie wir
       wieder rauskommen aus den Schutzmaßnahmen, versemmelt wurde. Da gab es
       diese Aussage, „darüber dürfen wir nicht reden“. Politik hat versäumt, ein
       klares Szenario zu kommunizieren. Die Leute wurden alleine gelassen mit der
       Frage, wo stehen wir in ein paar Monaten, auf welches Ziel steuern wir zu.
       Und dass es so lange gedauert hat, Schutzausrüstung zur Verfügung zu
       stellen: Da muss einiges aufgearbeitet werden. In manchen Punkten hätte man
       früher reagieren müssen. Da sind noch wochenlang Flugzeuge aus
       Risikoländern gelandet, ohne dass die Passagiere irgendwo registriert
       wurden.
       
       Ich meinte so etwas wie überzogene Beschränkungen. 
       
       Dass man in manchen Bundesländern nicht alleine auf der Parkbank sitzen
       durfte, fand ich völlig übertrieben. Und man hätte die ganze Zeit kleine
       Kundgebungen mit Auflagen erlauben können. Da hätten wir uns als Campact
       auch zu verhalten müssen. Wir hätten darauf klagen können, dass kleine
       symbolische Proteste möglich sein müssen. Richtig war dagegen, dass wir
       Anfang März die Schülerinnen von Fridays for Future dabei unterstützt
       haben, den geplanten Schulstreik abzusagen. Wenn man jetzt sieht, welche
       Auswirkungen die Frauentags-Kundgebungen in Spanien auf das
       Infektionsgeschehen hatten, bin ich froh, dass wir das so gemacht haben und
       uns nicht jetzt fragen müssen, wie viele Kranke und Tote wir hätten
       verhindern können.
       
       Sie schreiben in Ihrem Statement, wir könnten stolz sein. 
       
       Mir war wichtig, den Fokus darauf zu legen, was gut gelaufen ist in
       Deutschland. Eine solche Formulierung kommt mir selten über die Lippen,
       aber in diesem Fall fand ich wirklich, dass man stolz darauf sein kann,
       Tausende von Menschenleben gerettet zu haben durch eine gute Politik.
       
       Daran schließt sich ein Satz an, unsere Wirtschaft werde nicht so sehr
       leiden wie die in anderen Ländern – das hat etwas Chauvinistisches. 
       
       Nein, finde ich nicht. Mir ging es darum, einen angeblichen Widerspruch
       aufzulösen. Es wird oft behauptet, die Wirtschaft würde so leiden, weil wir
       Abstandsregeln einhalten müssen und nicht ins Kino oder Restaurant dürfen.
       Das ist ein Trugschluss, weil nicht wahrgenommen wurde, was noch die
       Wirtschaftstätigkeit beeinflusste. Viel relevanter war, dass die
       Lieferketten der Industrie unterbrochen waren und auch die Nachfrage
       geringer war. Deshalb hat Schweden genauso ökonomische Probleme – obwohl
       die Kinos und Restaurants auf waren.
       
       Was, glauben Sie, bleibt Positives aus dieser Zeit? 
       
       Ich hoffe, dass Leuten bewusst geworden ist, wie fragil unser Lebensstil
       ist – dass wir in einem Kartenhaus leben, das jetzt ein Virus zum Einsturz
       gebracht hat. Das ist aber durch andere Ereignisse genau so möglich, wie
       die Klimakrise. Wir wären extrem gut beraten, unsere Ökonomien und
       Gesellschaften massiv zu verändern, um von einem Kartenhaus zu einem
       stabilen Gebäude zu kommen. Ich hoffe, dass dieses Erleben hängen bleibt,
       wie schnell sich Dinge verändern können, die als sicher galten. Wenn wir
       jetzt wieder auf einen neuen Hitzesommer zusteuern, hoffe ich, dass der
       öffentliche Rückhalt für einen Umbau nicht durch die kommende ökonomische
       Krise ab-, sondern zunehmen wird.
       
       Woraus schöpfen Sie die Hoffnung? 
       
       Vielleicht ist es ein bisschen zu früh, diesen Prozess schon beobachten zu
       können. Und Abwrackprämie und Lufthansa-Rettung geben eher keinen Anlass
       zur Hoffnung. Zentral wird sein, welche Themen die nächste Bundestagswahl
       dominieren und wie die Parteien abschneiden werden. Solange die Union auf
       diesem Corona-Höhenflug bleibt, ist ihre Bereitschaft, ökologischen
       Wahrheiten ins Gesicht zu sehen, geringer, als wenn sie in Umfragen wieder
       Prozente an die Grünen abgeben muss.
       
       29 May 2020
       
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