# taz.de -- Die Wahrheit: 30 Silberlinge unterm Wahlkreuz
       
       > Donald Trump wird im November 2020 als Präsident der der Vereinigten
       > Staaten von Amerika wiedergewählt – hundertprozentig. Es sei denn …
       
       Nichts, niemand, nobody kann den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten
       von Amerika stoppen. Donald Trump wird im November dieses Jahres
       wiedergewählt und seine zweite Amtszeit antreten. Das ist so sicher wie das
       Ammenmärchen in der Kirche.
       
       Nicht die derzeit gegen Rassismus weltweit protestierenden Demonstranten,
       die in ihrer fast schon rührenden Naivität glauben, die Protestwelle würde
       den immer noch mächtigsten Mann der Erde aus dem Weißen Haus spülen.
       
       Nicht der echsenalte demokratische Gegenspieler Joe Biden, der die globale
       Corona-Pandemie in seiner Kellerhölle verschlafen hat und als Erstes,
       nachdem er endlich erwacht war, den ehemaligen Plantagenarbeitern zu
       erklären versuchte, wo ihr Platz am Tisch des Massas ist.
       
       Nicht der wie alle Asiaten enorm verschlagene Panda Xi Jinping, der einen
       von ihm persönlich entwickelten winzigen Feind gen Amerika geschickt hatte,
       um die Weltherrschaft Pekings und das neue chinesische Jahrhundert zu
       besiegeln.
       
       ## Internationaler Tobetag der Antifa
       
       Und erst recht nicht die bekennende Antifa-Kämpferin Saskia Esken, die sich
       als SPD-Vorsitzende jedes Jahr vor dem 1. Mai schicke neue Sneakers kauft,
       um am Internationalen Tobetag der Antifa im brennenden Kreuzberg genauso
       schnell wie ihre Mitstreiter den Berliner Bereitschaftspolizisten
       davonlaufen zu können.
       
       Nein, geballte sozialdemokratische Antifa-Power reicht dafür nicht. Donald
       Trump kann nur einer stoppen, er selbst – oder vielmehr einer, der ihn zu
       dem macht, was er eigentlich immer schon sein wollte: Gott.
       
       Alles fing damit an, dass der Präsident seine legendäre blondierte
       Biberschwanztolle nicht mehr von vorne nach hinten kämmte, sondern einfach
       wachsen ließ, sodass ihm bald die Haare lang über die Schultern fielen.
       Unterm Mittelscheitel wirkten seine krampfhaft festgezurrten Gesichtszüge,
       hinter denen sich bislang ein unsicheres Kind im Manne verbarg, mit einem
       Mal sehr viel entspannter. Ein Raffael hätte sein Antlitz nicht sanfter
       pinseln können.
       
       Doch die Weltöffentlichkeit nahm den stillen Wandel erst wahr, als Trump
       bei einer Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses von seiner Frau
       sprach und Melania plötzlich „Maria Magdalena“ nannte. Als dann auch noch
       CNN heimlich aufgenommene Bilder einer vor dem Nordportal installierten
       Fernsehkamera ausstrahlte, auf denen der 120-Kilo-Mann Trump nachts
       versuchte, in einem Brunnen über Wasser zu wandeln, da wurde selbst dem
       letzten Beobachter klar: Irgendetwas stimmte mit Trump nicht. Der Präsident
       hatte sich verändert.
       
       Donald Trump war nie religiös. Schließlich kommt er aus Brooklyn. Wo es
       Kirchen und Gläubische wie Sand am Meer gibt. Wir müssen zeitlebens
       pragmatisch bleiben, hatte ihm sein Vater Fred Trump früh eingeprügelt.
       Daddy Fred war schon ein besonderer Fredel, eine Art Zimmermann für
       Wolkenkratzer, auf den allerdings die Gilde der New Yorker Häuslebauer
       stets geringschätzig herabschaute. Er war eben kein Manhattonian, sondern
       stammte nur von der anderen Seite des East Rivers. Was die Trumps tief im
       Innersten arg verwundete und alle Mittel wählen ließ, um einen Zipfel der
       Macht zu erlangen.
       
       Trump Junior nutzte Religionen stets wie andere Leute Toilettenpapier.
       Wisch und weg. Hauptsache, er war sauber an der empfindlichen Stelle
       zwischen Bibelgürtel und „Be bop a lula“. Ja, Elvis war schon auch ein
       höheres Wesen für ihn, aber letztlich nur der King. Elvis lebte zwar, aber
       da gab es diesen Kerl, von dem es immer und überall hieß, dass er ebenfalls
       unsterblich war …
       
       Als erster amerikanischer Präsident hatte Donald Trump im Jahr 2017 Israel
       als Ziel für seine erste Auslandsreise gewählt und in Jerusalem die
       Klagemauer besucht. Auf der Via Dolorosa lief er verblüffend schweigsam den
       Leidensweg des Schmerzensreichen nach, lobte lediglich den „großartigen
       Zustand der Straße“. Als er schließlich vor der zehnten Station stand,
       dort, wo Jesus die Kleider geraubt wurden, da durchfuhr ihn insgeheim ein
       himmlischer Blitz. Im Kopf stand auch er nackt und bloß da, und flugs
       wusste er, was er wollte. Er hatte eine „großartige Idee“.
       
       Jedes Jahr widerfährt es Hunderten im Gelobten Land. Die Krankenhäuser
       Jerusalems sind voll mit Pilgern, die sich für Jesus oder ähnliche Figuren
       aus der Bibel halten. Sie verfallen dem sogenannten Jerusalem-Syndrom. Bei
       Trump jedoch sollte die rätselhafte Reisekrankheit nicht verfangen, er war
       stärker als gewöhnliche Individuen. Trump würde sich nicht wie sie
       einbilden, Jesus zu sein, er würde Jesus sein! Aber nicht sofort. Und nicht
       an diesem „großartigen Platz“, sondern daheim in Amerika. Dafür brauchte es
       Zeit. Denn Trumps Gehirn arbeitet bekanntlich sehr viel langsamer als das
       eines Normalsterblichen.
       
       ## Jede erdenkliche Geschmacklosigkeit
       
       Zum Glück war keiner seiner Gefolgsleute in den Plan eingeweiht, sonst
       wären die abenteuerlichsten Fantasien ins Kraut der Medien geschossen. Jede
       nur erdenkliche Geschmacklosigkeit wäre aufs Tapet gebracht worden. War
       Trump doch amtierender Weltmeister in der Sportart „Schlag unter die
       Gürtellinie“.
       
       Wenn Trump schon der neue Jesus war, dann würde der alte Fernsehshowhase
       vor seiner Heiligwerdung vermutlich einen monströsen irdischen Abgang
       hinlegen. Wollte er etwa vor laufenden Kameras sein Pupsloch mit dreißig
       Silberlingen verkorken, um explosionsartig zu platzen? Oder würde er sich
       am Wahltag selbst mit glühenden Nägeln ans Wahlkreuz schlagen, damit seine
       Asche in der Urne landete? Oder würde er im Bunker des Weißen Hauses Gift
       schlucken und sich eine Kugel durch den Schädel jagen? Armageddon! Alles
       war möglich!
       
       Aber es sollte anders kommen, ganz anders. Der langhaarige, sanfte Donald
       Trump war zu einem neuen Wesen geworden, er wollte vollenden, was der
       Nazarener nie geschafft hatte. Zur besten Fernsehzeit, live übertragen von
       sämtlichen Sendern des Universums, bat Trump, gekleidet in eine unschuldig
       weiße Tunika, die Menschheit um Verzeihung: „Ecce homo. Und siehe, ich bin
       ein Mensch.“ Er werde jetzt dieses „großartige Land“ reich an Erfahrung,
       arm an Gütern verlassen und nach Indien wandern, „weiter als jeder große
       Amerikaner je gekommen ist“. Nicht einmal Christoph Kolumbus.
       
       Mit den warmen Strahlen der untergehenden Sonne im Rücken umarmte er innig
       seinen ewigen Erzfeind Bernie Sanders, lieh sich dessen ausgelatschte
       Sandalen, streifte sie über die milchigen Füße und ging mit wenigen letzten
       an das atemlos staunende Publikum gerichteten Worten ab ins Abendrot: „Make
       Jesus great again.“
       
       6 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Donald Trump
 (DIR) Jesus
 (DIR) Weißes Haus
 (DIR) US-Wahl 2024
 (DIR) Rübenkraut
 (DIR) Prince Philip
 (DIR) Veganismus
 (DIR) Influencer
 (DIR) Downton Abbey
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Die Familienjuwelen des Präsidenten
       
       Alle Welt erwartet vor der US-Wahl im November die legendäre
       Oktober-Überraschung. Und Donald Trump bietet eine ganz besondere.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Im Goldrausch der Coronanacht
       
       Fieberhaft wird nach einem Heilmittel gegen das heimtückische Virus
       gesucht. Dabei gibt es den Zauberstoff doch längst: Goldsaft.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Schmähgesänge eines Söldners
       
       Prinz Philip, Gemahl der Queen, wird heute 999 Jahre alt. Die wahre
       Würdigung eines uralten Knochens aus dem Mittelalter.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Archipel Gulasch
       
       Insgeheim hat das Regime auf der Insel Helgoland ein Umerziehungslager für
       widerständige Veganer wie Xavier Naidoo errichtet.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Die Influencer-Influenza
       
       Ein neuartiger Erreger bedroht die Welt der Netzstars. Erstmals geht ein
       Virus viral und springt vom Bildschirm auf Menschen über.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Up, Upperclass, and away …
       
       Eine Revolution des Tourismus: „Downton Abbey“-Erfinder Julian Alexander
       Kitchener-Fellowes kauft das insolvente Reiseunternehmen Thomas Cook.