# taz.de -- Historischer Prozessauftakt in Israel: Der Staat Israel gegen Netanjahu
       
       > Zigarren, Schmuck und krumme Deals mit Medien: Erstmals in der Geschichte
       > Israels wird einem amtierenden Regierungschef der Prozess gemacht.
       
 (IMG) Bild: Korruptions- und Netanjahu-Gegner: Protestierende am Sonntag in Jerusalem
       
       Tel Aviv taz | Mit einer Tirade gegen Justiz und Medien ist Israels
       [1][frisch vereidigter Regierungschef] in den Korruptionsprozess gegen ihn
       gestartet. Polizei und Staatsanwalt wollten ihn stürzen, sagte Benjamin
       Netanjahu am Sonntagnachmittag vor dem Bezirksgericht in Jerusalem. Er sei
       das Opfer einer Verschwörung, die den Willen des Volkes eliminieren solle
       und an der auch Medien und Richter beteiligt seien. „Ich stehe vor Ihnen
       mit geradem Rücken und erhobenem Haupt.“
       
       Zum ersten Mal in der Geschichte Israels wird einem amtierenden
       Regierungschef der Prozess gemacht. Es geht um Betrug, Untreue und
       Bestechlichkeit in insgesamt drei Fällen. Mehr als dreihundert Zeug*innen
       sollen angehört werden.
       
       Während Netanjahu am Sonntag im Gerichtssaal mit der Anklageschrift
       konfrontiert werden sollte, demonstrierten vor der Tür Hunderte seiner
       Anhänger. „Bibi, König von Israel“, hörte man sie singen, und „Messias“.
       Vor Netanjahus Residenz protestierten derweil seine Gegner*innen. Viele
       trugen Masken mit der Aufschrift „Crime Minister“.
       
       Als im Jahr 2008 gegen den damaligen Ministerpräsidenten Ehud Olmert,
       ebenfalls wegen Korruption, ermittelt wurde, war die Sache für Netanjahu
       klar: „Ein Ministerpräsident, der bis zum Hals in Ermittlungen verstrickt
       ist, hat weder ein moralisches noch ein öffentliches Mandat, solch
       verhängnisvolle Entscheidungen bezüglich des Staates Israel zu treffen“,
       sagte er damals.
       
       Olmert trat zurück, noch bevor er angeklagt wurde, und saß später 16 Monate
       hinter Gittern. Verurteilt wurde er unter anderem von Rivka
       Feldman-Friedman, einer der drei Richter*innen im Netanjahu-Prozess.
       Netanjahu dagegen denkt nicht daran zurückzutreten. Seitdem die Vorwürfe
       gegen ihn laut geworden sind, spricht er von einem Putschversuch und einer
       Hexenjagd – vonseiten der Linken, der Polizei und auch der Justiz.
       
       Das Gericht kann entscheiden, dass Netanjahu für den größten Teil der
       restlichen Verhandlungstage nicht anwesend sein muss. Doch für eine gute
       Verteidigung wird sich der 70-Jährige, der erst am vergangenen Sonntag
       [2][erneut als Ministerpräsident vereidigt] wurde, in den nächsten Jahren
       regelmäßig mit seinen Anwälten beraten müssen.
       
       ## Titel und Fotos nach Netanjahus Willen
       
       Der Fall, der Netanjahu am schwersten belastet, ist bekannt geworden unter
       dem Namen „Akte 4.000“. Die Vorwurf lautet unter anderem Bestechlichkeit.
       Eine Verurteilung in diesem Fall könnte ihm bis zu zehn Jahre Haft
       einbringen.
       
       Netanjahu soll dem Unternehmen Bezeq durch begünstigende politische
       Ausnahmeregelungen mehrere Milliarden Schekel zugeschustert haben. Im
       Gegenzug soll Netanjahu positive Berichterstattung des einflussreichen
       Nachrichtenportals Walla erhalten haben, das der Bezeq-Gruppe gehört.
       
       Besonders gefährlich für den Angeklagten dürften in diesem Fall zwei
       Kronzeugen werden, die einst enge Vertraute Netanjahus waren: Shlomo
       Filber, Generaldirektor im Kommunikationsministerium, als Netanjahu nicht
       nur Regierungschef, sondern auch Kommunikationsminister war, und Nir
       Hefetz, sein einstiger Medienberater. Beide sollen im Auftrag Netanjahus
       Teile der Deals durchgeführt haben.
       
       Hefetz etwa soll mit dem Nachrichtenportal Walla die Inhalte der
       Berichterstattung ausgehandelt haben – bis hin zur Einflussaufnahme auf die
       Überschriften bestimmter Artikel und die Fotoauswahl sowie auf
       Personalentscheidungen innerhalb der Redaktion.
       
       Als Zeuge für möglicherweise illegale Medienmachenschaften Netanjahus
       [3][steht übrigens auch ein Deutscher auf der Liste: Mathias Döpfner], der
       Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlags, der 2014 die Anzeigen-Website
       Yad2 von Bezeq kaufte.
       
       ## Gespräche auf Band
       
       In den anderen beiden Fällen lautet der Vorwurf unter anderem Untreue. In
       „Akte 2.000“ geht es um einen letztendlich missglückten Deal Netanjahus mit
       Arnon Moses, dem Herausgeber der Tageszeitung Jedi’ot Acharonot. Laut
       Anklage hat Netanjahu Moses versprochen, der Konkurrenzzeitung Israel Hayom
       zu schaden. Auch hier soll die Gegenleistung positive Berichterstattung in
       Jedi’ot Acharonot gewesen sein.
       
       Die Gespräche zwischen Moses und Netanjahu gibt es sogar auf Band: Der
       Kronzeuge Ari Haro, damals Netanjahus Stabschef, war der einzige, der bei
       den Treffen dabei war. Er nahm die Verhandlungen auf Anweisung Netanjahus,
       aber ohne das Wissen von Moses, auf.
       
       In „Akte 1.000“ schließlich geht es um Gefälligkeiten Netanjahus gegenüber
       dem Geschäftsmann und Filmproduzenten Arnon Milchan. Netanjahu soll
       Zigarren, Schmuck und Champagner, auch nach expliziten Bestellungen seiner
       Frau Sara Netanjahu, entgegengenommen haben. Im Gegenzug soll er Milchan
       Gefälligkeiten erwiesen haben. So soll Netanjahu etwa für die Verlängerung
       von Milchans US-Visum gesorgt haben.
       
       Die Untersuchungen in diesen drei Fällen haben die Ermittler außerdem auf
       weitere Spuren geführt. So stehen beispielsweise mehrere enge
       Mitarbeiter*innen Netanjahus im Verdacht, beim staatlichen Kauf von
       U-Booten illegale Gelder vom deutschen Schiffbauer Thyssenkrupp erhalten zu
       haben.
       
       Bisher wurde diesen Affären wegen der wiederholten Neuwahlen nicht
       nachgegangen, denn zu Zeiten des Wahlkampfes werden keine Untersuchungen
       geführt. Nun, da Israel wieder eine Regierung hat, könnte jedoch Bewegung
       in die Fälle kommen. Auf Netanjahu, einige seiner Familienmitglieder und
       Mitarbeiter*innen könnte also noch mehr zukommen.
       
       ## Netanjahu als Staatspräsident?
       
       Dass Netanjahu am Ende freigesprochen wird, gilt als unwahrscheinlich. Die
       drei Richter des Jerusalemer Bezirksgerichts sind für Strenge bei
       Korruptionsvorwürfen bekannt. Sollten Netanjahus Anwälte eine Verständigung
       vereinbaren, müsste der Premier zumindest eine Teilschuld eingestehen. In
       diesem Fall aber müsste er wie auch im Falle einer rechtskräftigen
       Verurteilung als Ministerpräsident zurücktreten.
       
       Netanjahu könnte aber versuchen, ein Gesetz im Parlament durchzubringen,
       das ihm als Ministerpräsident Immunität gewährt. Dafür bräuchte er eine
       einfache Mehrheit der Abgeordneten. Ob er 61 Abgeordnete findet, die ihn
       darin unterstützen, ist fraglich.
       
       Doch wahrscheinlich braucht Netanjahu all dies gar nicht. Es könnte reichen
       auf Zeit zu spielen. Bis zum endgültigem Urteil könnten vier bis fünf Jahre
       vergehen, schätzen Expert*innen. Damit würde das Urteil nach Ende der
       aktuellen Legislaturperiode fallen. Wenn es nach ihm geht – das ist in
       Israel ein offenes Geheimnis –, ist Netanjahu bis dahin längst
       Staatspräsident. Dieses Amt hat einen unschlagbaren Vorteil: Es gewährt
       Immunität.
       
       24 May 2020
       
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       ## AUTOREN
       
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