# taz.de -- Ramadan und Corona in der Türkei: Bitter statt süß
       
       > Während des diesjährigen Zuckerfestes gilt eine komplette Ausgangssperre.
       > Nur Senioren dürfen in Dörfer reisen – mit Sondergenehmigung.
       
 (IMG) Bild: Auch Moscheen werden desinfiziert. Erst nach den Feiertagen dürfen die Menschen wieder raus
       
       Istanbul taz | Wenn am Sonntagmorgen das Zuckerfest zum Ende des
       Fastenmonats Ramadan beginnt, werden die TürkInnen ein „Eid-al-Fitr“, wie
       es neuerdings auf Arabisch in der Türkei heißt, erleben wie noch nie zuvor.
       Keine großen Festessen mit der gesamten Verwandtschaft, keine Besuche im
       Freundeskreis. Und niemand, der in der Straße wie sonst üblich Süßigkeiten
       an die Kinder verteilt.
       
       Nichts davon, was sonst das zweit wichtigste Fest im Leben der Muslime
       ausmacht, findet in diesem Jahr statt. Gerade um die großen Treffen nach
       dem langen Fasten zu unterbinden, hat die Regierung erstmals seit Ausbruch
       der Corona-Pandemie eine komplette Ausgangssperre im ganzen Land verhängt.
       Vier Tage, so lange wie die Feierlichkeiten andauern, muss jeder in der
       Türkei zu Hause bleiben.
       
       Auch bislang gab es immer wieder [1][mehrtägige Ausgangssperren],
       allerdings waren diese auf die größten Städte des Landes beschränkt, wo das
       Virus besonders grassiert. Jetzt ist auch jedes Dorf von der Ausgangssperre
       betroffen.
       
       Für Leute über 65 gilt die komplette Ausgangssperre schon seit sechs
       Wochen. Diese besonders gefährdete Personengruppe durfte in den vergangenen
       Wochen nur jeweils am Sonntag für fünf Stunden auf die Straße. In dieser
       Zeit galt dann für alle anderen eine Ausgangssperre. Von dieser Regel hat
       die Regierung jetzt in den letzten drei Tagen vor Beginn der Ausgangssperre
       eine Ausnahme gemacht.
       
       ## Sonderflug in die Provinz
       
       Senioren, die für das Fest in ihr Herkunftsdorf reisen wollen, können das
       mit einer Sondergenehmigung und in Begleitung einer anderen Person tun. Sie
       dürfen dafür auch Städte wie Istanbul, Ankara oder Izmir verlassen, die
       ansonsten für Ein- und Ausreisen geschlossen sind.
       
       So kommt es, dass plötzlich im Fernsehen Bilder von bislang geschlossenen
       Flughäfen und Busbahnhöfen auftauchen, wo mit Mundschutz und weiteren
       Masken vermummte Senioren zu sehen sind, die auf einen Sonderflug in die
       Provinz warten.
       
       Präsident Recep Tayyip Erdogan kommt damit der Tradition entgegen, dass
       gerade die Älteren diese Zeit in dem Dorf verbringen wollen, aus dem sie
       ursprünglich stammen. In Istanbul sind von der Generation 65 plus die
       meisten gar nicht in der Metropole geboren worden, sondern vom Land in die
       Großstadt migriert. Erdogan kennt das aus der eigenen Familie. Auch sein
       Vater war vom Schwarzen Meer nahe der georgischen Grenze nach Istanbul
       gekommen.
       
       Besonders schmerzlich für Erdogan und seine religiöse AK-Partei dürfte
       dagegen sein, dass die Moscheen auch über das Fest hinaus noch geschlossen
       bleiben müssen. Das ist ungefähr so, als wären in Deutschland die Kirchen
       über Weihnachten zu, denn zum Ende des Ramadan gehen auch diejenigen in die
       Moschee, die ansonsten lieber zu Hause bleiben.
       
       ## Letzte Kraftanstregung
       
       Erst Ende des Monats, am 29. Mai, sollen die Moscheen wieder geöffnet
       werden. Nach dieser letzten Kraftanstrengung gegen die Pandemie soll es
       dann aber bald in eine neue Normalität, „eine neue Ordnung des
       kontrollierten sozialen Lebens gehen“, wie Erdogan sagt.
       
       Die türkische Regierung hat es nach anfänglichen Irritationen durch die
       selektiven Ausgangssperren, strengen Kontaktverboten und Maskenpflicht,
       einer intensiven Nachverfolgung von Infektionsketten und einem relativ gut
       ausgebauten Krankenhaussystem mit vielen Intensivbetten geschafft, dass
       Coronavirus erst einmal einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen.
       
       Nach offiziellen Angaben sind die Covid-19-Todesfälle stark zurückgegangen
       und liegen jetzt landesweit bei 30 pro Tag. Auch die Zahl der
       Neuinfektionen ist stark rückläufig. Selbst wenn diese Zahlen geschönt
       sind, erfährt doch jeder über Freunde und Bekannte, dass die Situation in
       den Krankenhäusern nach einem massiven Ansturm Ende März und Anfang April
       mittlerweile wieder ganz entspannt ist.
       
       Jeder, der will, kann sich problemlos gratis testen lassen. Einige große
       Krankenhäuser in Istanbul teilten über die sozialen Medien bereits mit,
       dass sie gar keine Patienten mit Covid-19 mehr haben. Ab Ende Mai sollen
       deshalb auch alle Beschränkungen Schritt für Schritt aufgehoben werden. Nur
       die SchülerInnen können zu Hause bleiben. Die Schulen werden erst zum neuen
       Schuljahr im September wieder öffnen.
       
       23 May 2020
       
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 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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