# taz.de -- Kritik am Bremer Politik-Unterricht: Ahnungslos an der Urne
       
       > Rot-grün-rot findet den Politik-Unterricht an Bremer Schulen super.
       > „Katastrophal“ nennt ihn dagegen ein resignierter Politiklehrer.
       
 (IMG) Bild: Guter Politik-Unterricht beginnt auf Augenhöhe und mit kompetentem Personal
       
       BREMEN taz | Der Politik-Unterricht an Bremer Schulen sei „qualitativ
       hochwertig“ und nehme „einen weiten Raum ein“. Das schreibt der
       rot-grün-rote Senat in einer [1][Antwort auf eine Große Anfrage] der drei
       Koalitionsparteien, die jüngst das Parlament beschäftigte. „Der Senat ist
       der Auffassung, dass im Land Bremen eine sehr gute Basis für die
       Demokratiebildung gegeben ist“, heißt es in dem 26-seitigen Papier.
       
       Der ehemalige Politiklehrer Mizgin Ciftci hat das als Referendar an der
       Schule an der Lerchenstraße in Vegesack anders erlebt. Er findet die Lage
       des Politik-Unterrichtes in Bremen „katastrophal“: der sei „strukturell
       total unterfinanziert und unterrepräsentiert“, sagt er der taz. Das ist ein
       echtes Problem – denn in Bremen darf man [2][mit 16] schon die
       Stadtbürgerschaft und [3][den Landtag wählen], mit 14 Jahren Beiräte.
       
       Zwei Jahre arbeitete Ciftci hier als Lehrer, auch im Ausbildungspersonalrat
       war er aktiv. Angesichts seiner negativen Erfahrungen habe er sich gegen
       den Beruf entschieden – obwohl er seine Ausbildung mit „sehr gut“ beendete.
       
       Mittlerweile ist er Gewerkschaftssekretär bei Ver.di. Zudem engagiert er
       sich für die Linkspartei im Osterholzer Kreistag. „Einigen Eltern, aber
       auch Kolleg*innen hat mein Anspruch an politische Bildung nicht gefallen“,
       erzählte er jüngst in einem [4][Interview mit der Gewerkschaft GEW].
       
       „Mir wurde mehrfach vorgeworfen, die Schüler*innen zu linken Querdenkern zu
       erziehen, die alles und jeden hinterfragen würden.“ Als er, noch als
       Referendar, mit seiner 8. Klasse am Klimastreik teilgenommen habe und dabei
       eine Weste mit Gewerkschaftslogo trug, sei ihm daraus ein Strick gedreht
       worden, sagt er – als Lehrer sei er zur Neutralität verpflichtet.
       
       Auch von seinem Schuldirektor sei er nicht unterstützt worden: „Als es
       vonseiten einiger Eltern, von denen einige – wie sich später herausstellte
       – offen mit AfD und Bürger in Wut sympathisieren, Kritik an meiner Person
       gab, wurde ich immer wieder zu disziplinarischen Gesprächen ins Büro der
       Schulleitung eingeladen. Ich wurde aufgefordert, mich zu zügeln und ‚nicht
       mit dem Feuer zu spielen‘.“ Ein Einzellfall? Nein, sagt Ciftci: „Das hat
       System.“ Allein an seiner Schule sei er der zweite Politiklehrer gewesen,
       der diese nach Angriffen von rechts verlassen hat.
       
       Dabei haben die Schüler*innen selbst schon „eine bessere politische
       Bildung“ an Schulen gefordert, „die Gefahren von Radikalismus aufzeigt“. So
       steht es in einer Resolution, die bei der letzten Sitzung von [5][„Jugend
       im Parlament“] beschlossen wurde. 2018 war das – das Gremium tagt
       normalerweise alle zwei Jahre. Weil die Bremische Bürgerschaft gerade
       umgebaut wird, findet das Planspiel erst 2021 statt.
       
       „Jugend im Parlament verlangt die Förderung eines nachhaltigen politischen
       Interesses bei jungen Menschen durch die Schule, um eine freie
       Meinungsbildung zu gewährleisten“, heißt es in einer von [6][acht
       Resolutionen]. Dazu solle es einmal pro Halbjahr an allen Schulen einen
       verpflichtenden Workshop-Tag geben, von Beginn der Sekundarstufe 1 bis Ende
       der Schullaufbahn.
       
       Eingeführt wurde der nicht. Zwar wurden die Resolutionen vom Landtag
       debattiert. „Wir haben allen Grund, die Beschlüsse der Schülerinnen und
       Schüler ernst zu nehmen“, sagte CDU-Politiker Thomas von Bruch damals. Bei
       der SPD stießen die Forderungen aber nicht auf Gegenliebe: So ein
       Workshop-Tag wäre „eine Form von elaboriertem Politik-Unterricht“, führte
       der damalige SPD-Fraktionschef Björn Tschöpe seinerzeit aus – „ob wir so
       etwas wirklich brauchen, weiß ich nicht“. Tschöpe fand, dass die
       Politisierung der Schüler*innen nicht Aufgabe der Schule sei, sondern
       entlang gesellschaftlicher Konflikte stattfinde. Am Ende lehnte der Senat
       den Workshop-Tag als zu großen „Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der
       Schulen“ ab. Politik-Unterricht in Bremen solle nur eine „entpolitisierte
       Institutionenkunde sein“, kritisiert Ciftci.
       
       Dabei bemängelt eine neue Studie die Qualität des Politik-Unterrichts an
       deutschen Schulen, wie die [7][Süddeutsche Zeitung] am Montag berichtete:
       „Mancherorts macht das Fach mehr als vier Prozent der Unterrichtszeit an
       den weiterführenden Schulen aus, in anderen Ländern nicht einmal ein
       Prozent.“ In Thüringen, dem Saarland, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und
       Niedersachsen bekommen Schüler*innen am Gymnasium demzufolge frühestens in
       Klasse 8 Politik-Unterricht, in Bayern sogar erst in Klasse 10. Nur in
       Bremen, Hessen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen könne er schon
       in Klasse 5 beginnen.
       
       ## Im ganzen Land „miserabel“
       
       Entsprechend vorbildlich findet sich der Senat: Die Stundentafel für den
       gesellschaftswissenschaftlichen Bereich der Oberschule sei „im bundesweiten
       Vergleich bereits jetzt überdurchschnittlich ausgestattet“. Darüber hinaus
       gebe es „deutlich mehr Unterrichtsstunden“ für politische Bildung als in
       den Mindestvorgaben der Kultusminister vorgesehen.
       
       Laut Bildungsressort stehen für den Lernbereich „Gesellschaft und Politik“,
       zu dem Geografie, Geschichte und Politik gehören, sowohl in fünften bis
       zehnten Klassen der Oberschulen als auch in den fünften bis neunten Klassen
       der Gymnasien „im Schnitt circa drei Unterrichtsstunden pro Woche“ zur
       Verfügung.
       
       Die Praxis sehe ganz anders aus, sagt Ciftci: „Viele Schüler*innen hatten
       bis zur Zehnten nie Politik-Unterricht“ – gerade wegen der Konkurrenz zu
       Geografie und Geschichte. Es gebe viel zu wenig Politiklehrer:innen in
       Bremen – und jene, die das Fach lehrten, seien oft schlecht ausgebildet.
       Schon 2016 bemängelte [8][eine Studie der Uni Bremen], dass Politik an
       Bremer Schulen häufig fachfremd unterrichtet wird. Ciftcis Bilanz: Die
       Situation des Faches sei im ganzen Land „miserabel“ – und in Bremen „nicht
       viel besser“.
       
       21 May 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bremische-buergerschaft.de/dokumente/wp20/land/drucksache/D20L0299.pdf
 (DIR) [2] https://www.wahlrecht.de/landtage/bremen.htm
 (DIR) [3] https://landesportal.bremen.de/die-wahl-der-buergerschaft
 (DIR) [4] https://www.gew-hb.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/spiel-nicht-mit-dem-feuer/?fbclid=IwAR1auBbTQZ5cLZqcAIKf6ItuxbYTGEIr4ha956yGaheO-3DeZCXsthCuwAM
 (DIR) [5] https://www.bremische-buergerschaft.de/index.php?id=jip2016
 (DIR) [6] https://www.bremische-buergerschaft.de/dokumente/wp19/land/drucksache/d19l1984.pdf
 (DIR) [7] https://www.sueddeutsche.de/bildung/politik-unterricht-schule-studie-1.4910939
 (DIR) [8] https://www.uni-bremen.de/zedis
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Zier
       
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