# taz.de -- Berlins Strategie in der Coronakrise: Profilierung first, Bedenken second
       
       > In der Lockerungsphase scheitert die Politik daran, ein Ziel vorzugeben.
       > Die Folge: Die neuen Vorgaben werden immer weniger als sinnvoll erachtet.
       
 (IMG) Bild: Die Corona-Lee(h)re: Nix los am Brandenburger Tor
       
       Man muss sich nichts vormachen: Einigkeit gab es in der Coronakrise unter
       den Ministerpräsidenten höchstens mal für ein paar Tage. Als es darum ging,
       das Land herunterzufahren – wie es so schön heißt -, preschte mal ein Land
       vor bei den Schulschließungen, ein anderes bei dem Verbot von
       Großveranstaltungen. Und meist war Bayern vorne dabei, Berlin nicht
       unbedingt.
       
       Aktuell läuft es umgekehrt. Da der [1][selbsternannte CSU-Coronaversteher
       Markus Söder] sich nicht als Speerspitze der Lockerungen präsentieren kann,
       bezeichnet er Länder, die diese vorantreiben, als unsolidarisch, weil es
       doch eine möglichst einheitliches Vorgehen der Länder geben müsse. Ein
       Argument freilich, das er mehrfach durch eigenes Handeln selbst widerlegt
       hat.
       
       Die Botschaft, die bei den Menschen ankommt: Es geht den PolitikerInnen um
       Profilierung. Vielen BürgerInnen fällt es deswegen schwer, die der
       Coronapolitik eigenen und tatsächlich nur teilweise aufzulösenden
       Widersprüche zu akzeptieren. Wenn in Niedersachsen und damit in einer
       Großstadt wie Hannover nun die Kneipen aufmachen werden, wie
       SPD-Ministerpräsident Stephan Weil bereits angekündigt hat, warum sollten
       sie dann in Berlin noch zu bleiben?
       
       Auch die Berliner Politik ist nicht frei von dieser Profilierungssucht,
       schon allein weil sich niemand nachsagen lassen will, sich allein von
       Bayern treiben zu lassen. Das gipfelt in absurden Diskussionen wie am
       Montag im Wirtschaftsausschuss. Dort mühten sich nicht nur Vertreter von
       CDU und FDP, die Biergärten in Bayern als Hort des hemmungslosen Saufens
       darzustellen, wo nach drei, vier Maß eine Einhaltung der Coronaregeln
       natürlich obsolet wären – wohingegen es in Berlin überwiegend „gepflegte
       Gastronomie“ gäbe, in denen Abstandhalten auch bei längerem Aufenthalt
       ebenso natürlich kein Problem darstellen würde.
       
       Auch hier ist die Taktik allzu offensichtlich: Es geht nicht um die
       überzeugendsten Argumente – man nimmt halt, was gerade passt, um das eigene
       Ziel zu untermauern, in diesem Fall die rund 14.000 Gastroniebetriebe in
       Berlin –, um die eigene Wählerschicht zu bedienen. In Abwandlung eines
       alten Sprichworts: Wes' Bier ich trink, des' Lied ich sing.
       
       ## Sonderlösungen für Berlin
       
       Das Beispiel zeigt, dass es jedoch zu kurz greift, den Schuldigen für die
       nun ganz offensichtlich klientelgetriebene Politik in der Pandemie allein
       in Süddeutschland zu suchen. Und auch der Regierende Bürgermeister und sein
       rot-rot-grüner Senat sind davon keineswegs frei. So hat Michael Müller
       wiederholt [2][Sonderlösungen für Berlin] umgesetzt, etwa was die
       Schulöffnung angeht und die Rückkehr zur umfassenden Kita-Betreuung.
       Begründet wurde dies in der Regel mit Besonderheiten Berlins als
       Stadtstaat.
       
       Ähnlich dürfte die Argumentation nun bei den Lockerungen für die
       Gastronomie laufen, die für Berlin als Metropole wirklich einen hohen
       Stellenwert und eine große wirtschaftliche Bedeutung hat. Andererseits ist
       genauso nachvollziehbar, wenn Bayern mit seiner Bierkultur oder reine
       Urlaubsregionen wie Mecklenburg-Vorpommern ebenso argumentieren werden.
       Auch hier überwiegt am Ende der Eindruck, dass es eher um die eigene
       politische Position (und die Wirtschaft) geht, als um die nachhaltige
       Eindämmung des Coronavirus.
       
       Was wiederum in Widerspruch steht zu den steten und strengen Mahnungen der
       Politik in Richtung der Bürger, Abstandsregeln genau einzuhalten. Wer will,
       kann das auch so verstehen, dass die Bürger für die Profilierung der
       Politik herhalten muss.
       
       ## Kein klar kommuniziertes Ziel
       
       Ein Grundproblem ist, dass es die Politik sowohl im Bund wie in den Ländern
       bisher nicht geschafft hat, ihre Strategie in der Coronakrise zu
       definieren: Soll jetzt die Zahl der Neuinfektionen möglichst schnell
       sinken? Geht es eher um die Kontrolle über alle Neuinfektionen? Oder nimmt
       man bewusst wieder welche in Kauf, um den Alltag und die Wirtschaft in
       Richtung eines Normalzustands zu führen? Klar ist nur: Herdenimmunität,
       also die möglichst umfassende Durcherkrankung der Bevölkerung, wird nicht
       mehr angestrebt. Derzeit.
       
       Da es weiterhin kein klar kommuniziertes Ziel gibt, fällt es zunehmend
       schwer, die Lockerungen vor diesem Hintergrund zu bewerten. So entwickelt
       sich die Coronakrise hin zum Laisser-Faire: Jeder Politiker macht so ein
       bisschen, was er will – und die Menschen tun es ihnen nach.
       
       Wenn der rot-rot-grüne Senat am Mittwoch seine Lehren aus der
       vorhergehenden Konferenz mit der Bundeskanzlerin zieht und weitere
       Lockerungen verkündet, muss das einhergehen mit einer deutlich erkennbaren
       Taktik, etwa welche Bedeutung die von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci
       angekündigte Ausweitung der Tests künftig haben soll. Zwei Monate nach
       Beginn der Coronapandemie sollte das möglich sein.
       
       5 May 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Schulz
       
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