# taz.de -- Die Wahrheit: Verpasse keine Sekunde
       
       > Ein bislang noch recht unterbelichteter Aspekt in Sachen Corona: die Lage
       > der öffentlichen Klos. Die ist im Lockdown nämlich schwierig.
       
       Meine Stammkneipe in dem Dorf an der irischen Westküste hat Toiletten für
       die Gäste. Das ist nur scheinbar eine überflüssige Information, denn es ist
       nicht selbstverständlich. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Klos
       im Zuge der Modernisierung des Wirtshauses eingebaut wurden.
       
       Zuvor mussten die Männer auf die gegenüberliegende Wiese, wo ein großer
       Baum stand. Für Frauen war es Glückssache: Mochte der alte Wirt sie,
       durften sie das Badezimmer in der Wohnung über dem Pub benutzen. Mochte er
       sie nicht, waren sie angeschmiert.
       
       Die Kneipe ist – wie alle anderen – zurzeit natürlich geschlossen. Das ist
       ein Nachteil, wenn man unterwegs ist. Ich darf trotz allgemeinen
       Stubenarrests nach Herzenslust herumfahren, weil ich zur systemrelevanten
       Berufsgruppe gehöre. Aber ich bleibe lieber zu Hause, weil ich Angst habe,
       dass ich unterwegs auf die Toilette muss.
       
       Es gibt ohnehin kaum noch öffentliche Toiletten auf den britischen Inseln.
       In Großbritannien ist ihre Zahl in den vergangenen zehn Jahren um die
       Hälfte gesunken, in Irland gab es von vornherein weniger öffentliche Klos.
       Aber das nächste Wirtshaus ist ja nie weit, und im Gegensatz zu meiner
       Stammkneipe verfügen die meisten Pubs schon lange über
       Sanitäreinrichtungen, auch wenn deren Zustand das Wort oft ad absurdum
       führt.
       
       ## Klo mit Ausblick
       
       In England findet man bisweilen öffentliche Designerklos. Eins steht in der
       Nähe der Tate-Galerie. Entworfen hat es die Künstlerin Monica Bonvicini. Es
       funktioniert im Prinzip wie ein Verhörraum der Stasi, in dem an der Wand
       vermeintlich ein Spiegel hängt, der aber von der Rückseite im Nebenraum
       durchsichtig ist. Bei der Toilette ist es umgekehrt. Von außen sind es
       Spiegelwände; sitzt man aber auf dem Klo, kann man beobachten, was draußen
       vor sich geht.
       
       Das Klo, das „Verpasse keine Sekunde“ heißt, ist von Toiletten in
       Gefängniszellen inspiriert, wo es keine Privatsphäre gibt. Früher stand an
       diesem Ort das Millbank-Gefängnis, wo Häftlinge untergebracht waren, bis
       sie nach Australien deportiert wurden. Auf dem Bonvicini-Klo leidet so
       mancher spontan an Verstopfung, weil es einem vorkommt, als ob man auf die
       Straße kackt.
       
       Im westirischen Galway gibt es in der Nähe der Kathedrale eine supermoderne
       öffentliche Toilette. Sie ist sehr sauber, denn nach jeder Benutzung wird
       sie automatisch gereinigt. Sie hat aber einen gewaltigen Nachteil: Die
       Aufenthaltsdauer ist begrenzt. Bei Zeitüberschreitung öffnet sich die
       Schiebetür, und man sitzt in Freien. Um schnell Geld nachzuwerfen, muss man
       mit heruntergelassener Hose zur Tür hoppeln.
       
       Die moderne neue Männertoilette in meiner Stammkneipe hat ebenfalls einen
       Nachteil: Steht man etwas zu weit links an der Pinkelrinne, wird einem aus
       dem Kästchen an der Wand eine Duftwolke ins Gesicht geblasen. Dann
       vielleicht doch lieber der Baum auf der gegenüberliegenden Wiese.
       
       4 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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