# taz.de -- Drafts im American Football: Mister Irrelevant
       
       > Solange Live-Spiele fehlen, werden die NFL-Drafts zum Sport-Event. Auch
       > wenn die größte Überraschung der letzte gezogene Spieler ist.
       
 (IMG) Bild: Ungewöhnliche Platzierung: Football-Profis um Justin Jefferson (r.) verfolgen den NFL-Draft
       
       Dieser Draft brach alle Rekorde. Nun, da es keinen echten Sport gibt,
       wollten am vergangenen Wochenende so viele wie noch nie dabei sein, als die
       Football-Talente unter den NFL-Klubs verteilt wurden. Die Einschaltquoten
       waren exorbitant, obwohl die Veranstaltung entschieden weniger Glamour als
       früher aufzuweisen hatte: Statt [1][wie gewohnt] in einem großen Theater
       vor johlendem Publikum wurden Trainer, Funktionäre, TV-Kommentatoren,
       Analysten und Neu-Profis natürlich nur per Video zugeschaltet.
       
       Das eröffnete einige ungewohnte, wenn auch nicht immer interessante
       Einblicke in fremde Privatsphären. NFL-Chef Roger Goodell verkündete,
       welches Team welchen Spieler ausgesucht hatte, aus seinem mit einer
       rustikalen Schrankwand ausgestatteten Keller. Jerry Jones, der als
       Kontrollfreak berüchtigte Eigentümer der Dallas Cowboys, hatte sein
       Homeoffice in seiner 250 Millionen Dollar teuren Yacht einrichten lassen.
       
       Kliffs Kingsbury, Chefcoach der Arizona Cardinals, lümmelte auf einer
       protzigen weißen Couchgarnitur in einem protzigen Wohnzimmer mit einer
       protzigen Fensterwand, die Ausblick auf einen, ja, extrem protzigen Garten
       gewährte. Die Bücherwand, die Bill Belichick von den New England Patriots,
       immerhin der erfolgreichste und grummeligste NFL-Cheftrainer aller Zeiten,
       zu Hause hat, war natürlich viel bescheidener. Und hinter Brian Flores, dem
       Trainer der Miami Dolphins, tanzten dessen Kinder.
       
       Viel aufregender wurde es nicht mehr in einem Draft, der kaum
       Überraschungen bereithielt. Die meisten Spieler wurden in der erwarteten
       Reihenfolge [2][ausgewählt], verwegene Tauschgeschäfte fanden nicht statt.
       
       Ausgewählt wurde unter anderem Tae Crowder. Die New York Giants holten den
       soliden, aber bislang nicht sehr auffälligen Verteidigungsspezialisten von
       der University of Georgia in die vom Coronavirus geschüttelte Metropole.
       Der 23-Jährige, dessen Name selbst die meisten Experten vorher noch nie
       gehört hatten, war nach drei langen Tagen der insgesamt 255. Pick. Vor
       allem aber war er: der allerletzte.
       
       Ähnlich dem Letzten des Gesamtklassements der Tour de France, ist auch der
       letzte Pick eines NFL-Drafts eine kleine Berühmtheit. Seit 1976 bekommt er
       den wenig schmeichelhaften Titel „Mr. Irrelevant“ verliehen – und eine
       Trophäe, die einen Footballspieler darstellt, dem gerade ein Ball durch die
       Finger flutscht. Die Idee hatte damals Paul Salata, ein Ex-Profi, der
       niemanden verspotten, sondern das große amerikanische Versprechen, dass es
       jeder schaffen kann, wenn er nur will, feiern wollte.
       
       Dieses Versprechen wurde seitdem allerdings nur selten eingehalten. Den
       bisherigen Mr. Irrelevants war nur in Ausnahmefällen eine lange und
       erfolgreiche Karriere im schnelllebigen Profi-Football vergönnt, die
       meisten schafften es noch nicht einmal in einen Profi-Kader.
       
       Das allerdings gilt für den Großteil der Nachwuchsspieler, die in den
       letzten Runden des Drafts ausgesucht werden. Längst sind die
       Evaluierungsmethoden der NFL-Klubs so avanciert, dass wirklich großes
       Potenzial nur noch selten übersehen wird. Dass ein [3][Tom Brady], der
       sechs Superbowls als Quarterback gewinnen sollte, im Jahr 2000 nur an
       Nummer 199 ausgewählt wurde, würde heutzutage wohl kaum noch vorkommen.
       
       ## Die Chance, Disneyland zu besichtigen
       
       So ist der Titel des Mr. Irrelevant nicht unbeliebt. Er garantiert zwar
       kein Millionensalär, aber immerhin einen Kurzurlaub im kalifornischen
       Küstenstädtchen Newport Beach, zu dem die Familie des mittlerweile
       93-jährigen Salata einlädt. Eine Woche lang steht allerlei auf dem
       Programm: ein Besuch im Disneyland, ein Golfturnier und vor allem
       ausgiebige Pressebeobachtung.
       
       Auf diese Sause muss Tae Crowder in diesem Jahr allerdings verzichten.
       Dafür hat er vielleicht mehr Zeit, sich auf das kommende Trainingslager der
       New York Giants vorzubereiten – und einer der wenigen Mr. Irrelevants zu
       werden, die es tatsächlich in die NFL schaffen. Vorausgesetzt, dieses
       Trainingslager und die kommende NFL-Saison finden überhaupt statt.
       
       28 Apr 2020
       
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