# taz.de -- Umgang mit Kindern in der Coronakrise: Fragt die Kleinen!
       
       > Viele Eltern wollen ihre nervigen Rotznasen schnell wieder abgeben. Aber
       > vermissen die Kinder die Kita überhaupt?
       
 (IMG) Bild: Es muss nicht immer die Kita sein
       
       Alle Coronamaßnahmen sind aus Erwachsenensicht gedacht. Darauf hat zuletzt
       der [1][Dachverband der kinder- und jugendmedizinischen Gesellschaften
       hingewiesen.] „Kinder werden nicht als Personen mit ebenbürtigen Rechten
       gesehen, sondern als potenzielle Virusträger“, schreibt der Verband. Wegen
       ihrer vermeintlichen Gefährlichkeit müssen sie zu Hause bleiben, wo sie die
       Eltern im Homeoffice nerven.
       
       Wenn man die kleinen Virenschleudern wieder in Schule und Kindergarten
       schickt, dann zu deren Entlastung – und zur Freude der Wirtschaft. Der
       Verband hat recht, denkt aber Kinder nicht konsequent als handelnde
       Subjekte, wenn er die Öffnung von Schulen und Kitas zum Wohl der Kinder
       fordert. Ja, sie vermissen ihre Freund*innen, und das Lernen ist für die
       meisten zu Hause schwer bis unmöglich.
       
       Und ja, es gibt Kinder, denen die festen Strukturen und regelmäßigen
       Mahlzeiten gut tun, die mit Pädagog*innen Bindungserfahrungen machen, die
       ihre eigenen Eltern ihnen nicht geben können. Aber wie viele vermissen die
       Institution Schule oder Kita?! [2][In Deutschland hält sich hartnäckig das
       Gerücht], es sei der Entwicklung dienlich, am besten ab dem Alter von einem
       Jahr den halben bis Dreivierteltag in lärmigen Masseneinrichtungen ohne
       Rückzugsmöglichkeiten eingesperrt zu sein.
       
       Zwar werden immer wieder Studien publiziert, nach denen eine [3][qualitativ
       schlechte Betreuung vor allem Kleinkindern schaden kann]. Aber darüber
       wollen nur die sprechen, die finden, dass Frauen an den Herd gehören.
       Bekannt ist auch, dass Kinder [4][erst mit durchschnittlich drei Jahren vom
       Zusammensein mit Gleichaltrigen profitieren]. Aber das volle Elterngeld
       wird eben nur im ersten Lebensjahr gezahlt. Oder dass Lärm
       gesundheitsschädlich ist und auch das kindliche Gehirn Pausen braucht.
       
       Und jetzt ist Corona, und viele Eltern erleben ihre Kinder als entspannter
       als sonst. Vorausgesetzt, sie sind selbst halbwegs entspannt, haben keine
       Geldsorgen oder stehen nicht als alleinerziehende Verkäuferin ohne
       Betreuung da. Mitarbeiter*innen aus der Familienhilfe wundern sich
       darüber, dass sogar die schon in normalen Zeiten schwer belasteten Familien
       nicht so schlecht (miteinander) klarkommen, wie sie befürchtet hatten –
       auch wenn sie es erst sicher wissen, wenn sie sie wieder regelmäßig sehen.
       
       ## Vielleicht genießen die Kinder die Zeit zu Hause
       
       Aber vielleicht genießen Kinder die Zeit mit ihren Eltern? Ich behaupte
       nicht, dass es überall optimal läuft und Kindergärten und Schulen bis in
       alle Ewigkeit dicht bleiben können. Aber wenn man darüber redet, was „nach
       Corona“ besser werden soll, könnte man auch Kinder fragen. Vielleicht wären
       sie froh, Gleichaltrige nicht nur in Ghettos wie Spielplatz und
       Kindergarten zu treffen.
       
       In einer kindgerechten Welt müsste die Grünen-Vorsitzende [5][Annalena
       Baerbock nicht wie jüngst im taz-Interview beklagen,] dass ihre Töchter
       niemanden zum Spielen hätten, weil der Kindergarten zu ist. Dann könnten
       sie einfach vor die Tür treten, und da wären andere Kinder. Keine 100, mit
       denen sie Viren austauschen, sondern ein, zwei, drei.
       
       Kein Spielplatz müsste geschlossen werden, wo Kinder auf begrenztem Raum
       hinter Zäunen zu Dutzenden spielen – weil sie auf der Straße unterwegs
       wären, mit großem Abstand zueinander. Weil niemand mehr als 20 Stunden in
       der Woche arbeiten müsste, würden Eltern nicht mehr nach der Arbeit zum
       Kindergarten hetzen, um ihre nach acht Stunden Halligalli ebenfalls
       gestressten Kinder abzuholen. Statt Geschrei gäbe es, frei nach Grönemeyer,
       Erdbeereis.
       
       In der Pandemie gibt es solche Ausblicke auf schönere Zeiten. Und wie wäre
       es, wenn Kindergärten und Schule nicht mehr Feuerwehr wären für die Kinder
       der Übriggebliebenen dieser Gesellschaft? Wenn es denen so gut ginge, dass
       sie keine Drogen mehr nehmen müssten, keine Schulden hätten und ihren
       Kindern gute Eltern sein können? Zu utopisch?
       
       Dann könnte man damit beginnen, die Größen von Kitagruppen an den
       Bedürfnissen von Kindern auszurichten – und nicht an dem, was eine
       Gesellschaft für die Betreuung auszugeben bereit ist. Nach einer aktuellen
       Erhebung der Bertelsmann-Stiftung liegt die durchschnittliche Gruppengröße
       in Deutschland bei 21 Kindern. Kindgerecht wären acht bis zehn Kinder, sagt
       die [6][Entwicklungspsychologin Fabienne Becker-Stoll], Direktorin des
       bayrischen Staatsinstituts für Frühpädagogik. Sie hat zig
       Kindertagesstätten von innen gesehen.
       
       ## Oft viel zu große Kindergruppen
       
       „Da war alles dabei, von sehr guter Qualität bis sehr schlecht“, sagt
       Becker-Stoll, „manche kindeswohlgefährdend.“ Nicht wegen baulicher Mängel
       oder veralteter Materialien. Ob Kinder sich wohlfühlen, stehe und falle mit
       den Erzieher*innen und deren Fähigkeiten, auf die Kinder feinfühlig
       einzugehen, sagt sie. Die gute Nachricht: „Das kann man lernen.“
       
       Natürlich müssten so viele Erzieher*innen in den Gruppen eingesetzt sein,
       dass diese auch die Zeit hätten, sich mit den individuellen Interessen der
       Kinder zu beschäftigen. Eine Fachkraft für fünf bis sechs Drei- bis
       Sechsjährige wäre gut, sagt Becker-Stoll. Die beste Kind-Fachkraft-Relation
       hat nach [7][Auswertungen der Bertelsmann-Stiftung] Baden-Württemberg mit
       einer Fachkraft für 9,4 Kinder, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 17,6.
       
       Das Verhältnis liegt auch daran, dass es, wenn es um Kinder geht, meistens
       nur Kann-Bestimmungen gibt, die so angepasst werden können, wie es den
       Kommunen passt. Es gibt in Deutschland eine Verordnung, die [8][die
       Auslauffläche für ein Huhn] festschreibt. Nicht aber, wie viel Platz ein
       Kindergarten- oder Schulkind braucht, um sich entfalten zu können. [9][Vor
       Lärm sollen DIN-Normen schützen] – aber ob die Grenzwerte eingehalten
       werden, ist dem Zufall überlassen.
       
       Kinder nehmen die Dinge so, wie Erwachsene sie ihnen vorsetzen, weil sie
       von ihnen abhängig sind. Umso wichtiger ist es, sie zu fragen, was sie
       eigentlich wollen. In der Krise und danach.
       
       27 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.dakj.de/stellungnahmen/stellungnahme-der-deutschen-akademie-fuer-kinder-und-jugendmedizin-e-v-zu-weiteren-einschraenkungen-der-lebensbedingungen-von-kindern-und-jugendlichen-in-der-pandemie-mit-dem-neuen-coronavirus-sar/
 (DIR) [2] /Debatte-um-Kinderaufbewahrung/!5374736
 (DIR) [3] https://kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildung-erziehung-betreuung/361
 (DIR) [4] https://www.kindergesundheit-info.de/themen/entwicklung/entwicklungsschritte/soziale-entwicklung/
 (DIR) [5] /Gruenen-Chefin-ueber-Corona-und-Familien/!5676885&s=kinderschutz*/
 (DIR) [6] https://www.zeit.de/2016/28/kita-qualitaet-fabienne-becker-stoll
 (DIR) [7] https://www.laendermonitor.de/de/vergleich-bundeslaender-daten/personal-und-einrichtungen/personalschluessel/szenarien-zur-fachkraft-kind-relation?tx_itaohyperion_pluginview%5Baction%5D=chart&tx_itaohyperion_pluginview%5Bcontroller%5D=PluginView&cHash=d8a9223a95fac237e3298bef8139e2ab
 (DIR) [8] http://www.gesetze-im-internet.de/tierschnutztv/
 (DIR) [9] https://www.isf-bremen.de/publikationen/publikationen-i/l%C3%A4rm-zus/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eiken Bruhn
       
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