# taz.de -- Corona in Ägypten: Es geht ums nackte Überleben
       
       > Trotz Corona-Staatshilfe: Rikscha-Fahrer und andere informell
       > Beschäftigte in Ägypten können nicht zu Hause bleiben, wenn sie überleben
       > wollen.
       
 (IMG) Bild: Nicht alle haben eine Festanstellung: Viele ÄgypterInnen leben von der Hand in den Mund
       
       Kairo taz | Nachts legt sich eine gespenstische Stille über die
       Zwanzig-Millionen-Metropole Kairo. Wie in ganz Ägypten herrscht in der
       Hauptstadt eine nächtliche Corona-Ausgangssperre. Doch sobald die um sechs
       Uhr morgens vorüber ist, wacht die Stadt auf. Die meisten Menschen gehen
       ihrer Arbeit nach; es bilden sich Staus, wenngleich weniger als sonst, denn
       immerhin: Schulen, Universitäten und die meisten Amtsstuben sind
       geschlossen. Aber vor allem in den Armenvierteln, die weit über die Hälfte
       der Stadtfläche ausmachen und in denen die Menschen auf engstem Raum
       zusammenleben, ist soziale Distanz fast unmöglich.
       
       Doch mit einer wachsenden Zahl von Covid-19-Fällen und rund hundert
       offiziell registrierten Todesfällen stellt sich die Frage, warum die
       Behörden das Leben nicht auch tagsüber anhalten.
       
       Die Antwort liegt in den vielen Ägyptern, die als Tagelöhner im informellen
       Sektor arbeiten. Ahmad ist ein Tuktukfahrer, ein Motorrikscha-Fahrer, wie
       es sie in Kairo zu vielen Tausenden gibt. „Meine Einnahmen sind um die
       Hälfte eingebrochen. Die Menschen haben wegen Corona Angst, aus dem Haus zu
       gehen“, erzählt er. „Es gibt jeden Tag mehr Fälle, man sollte eigentlich
       zuhause bleiben, aber wie, wenn so viele Ägypter wie ich Tagelöhner sind?“
       
       Aufzuhören zu arbeiten, daran sei für ihn gar nicht zu denken. „Ich
       persönlich kann es mir nicht leisten, zwei oder drei Wochen zu Hause zu
       bleiben. Ich muss meine Familie ernähren. Ich habe einen schwerkranken
       Vater. Wie soll ich das hinkriegen?“, sagt Ahmad.
       
       ## Tagelöhner aus dem Umland
       
       Ahmad ist kein Einzelfall. „Ich habe viele Menschen interviewt, die
       sinngemäß sagen: Lieber sterben wir an Corona als an Hunger“, erzählt die
       ägyptische Wirtschaftsjournalistin Amira Gad. Sie selbst kenne eine
       Putzfrau, die am Anfang zu Hause geblieben sei, aber nach zwei Wochen sei
       ihr das Geld ausgegangen. Also gehe sie jetzt doch wieder arbeiten,
       schließlich müsse sie eine sechsköpfige Familie ernähren.
       
       Die Tagelöhner, die aus der Umgebung Kairos kommen, treffe es besonders
       hart, sagt die Wirtschaftsjournalistin. „Es gibt viele Arbeiter, die kommen
       jeden Tag vom Land in die Stadt und versammeln sich auf den größeren
       Plätzen. Ihr einziges Kapital sind Hammer und Meißel. Sie warten, dass
       jemand kommt und sie auf dem Bau oder für andere Arbeiten einspannt“,
       schildert Gad. In den letzten Wochen warteten sie immer öfter vergeblich.
       
       Keiner weiß genau, wie groß dieser informelle Sektor in Ägypten ist, in dem
       sich Menschen ohne Arbeitsverträge, Kranken- oder Pensionsversicherung mit
       unsicheren, pro Tag ausgezahlten Löhnen durchs Leben schlagen. „Das
       eigentliche Problem ist, dass diese Arbeiter in keiner Datenbank erfasst
       sind. Wir wissen nichts über sie, wo sie leben und unter welchen Umständen,
       sie existieren offiziell gar nicht“, erläutert Gad.
       
       Die Schätzungen gehen weit auseinander. Die Internationale
       Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, dass der informelle Sektor 63 Prozent
       der ägyptischen Arbeitskräfte beschäftigt. Das ägyptische Bundesamt für
       Statistik (Campas) geht davon aus, dass 20 Prozent der Arbeiterschaft im
       informellen Sektor tätig sind, wie das ägyptische Nachrichtenportal Youm
       Sabaa berichtet.
       
       Der Sprecher des Arbeitsministeriums, Haitham Saad Eddin, hatte bereits
       Ende März angekündigt, dass Arbeiter im informellen Sektor eine einmalige
       Bonuszahlung von umgerechnet 25 Euro über die ägyptischen Postämter
       erhalten könnten, um die Ausfälle in der Corona-Krise zu mildern. Dafür
       müssten sie sich – viele von ihnen Analphabeten – aber online registrieren,
       sagt Gad.
       
       Die ägyptische Regierung hofft, auf diese Weise auch erstmals eine
       Datenbank über die informellen Arbeiter zu erhalten. Laut der staatlichen
       Tageszeitung Al-Ahram haben sich bislang allerdings nur 1,5 Millionen
       Menschen für diese Zahlungen angemeldet – offensichtlich ein Bruchteil der
       Arbeitskräfte im informellen Sektor.
       
       ## Schärfere Maßnahmen kaum möglich
       
       Zusätzlich zu den einmaligen Bonuszahlungen seien die Kreditraten wegen der
       Corona-Krise vorläufig ausgesetzt worden, erzählt Gad. Das komme
       beispielsweise den Tuktuk-Fahrern zu Gute, die ihre Fahrzeuge meist auf
       Raten gekauft hätten, die sie dann mit ihren täglichen Einnahmen abstottern
       würden.
       
       Wegen der steigenden Covid-19-Fälle denken die Behörden in Ägypten
       inzwischen über schärfere Maßnahmen nach. Die Ausgangsperre könnte wie in
       Saudi-Arabien schon um drei Uhr nachtmittags beginnen. Noch strengere
       Maßnahmen – etwa die Vorschrift, den ganzen Tag zu Hause zu bleiben – sind
       aber wohl nur schwer durchsetzbar. Mit vielen Millionen Menschen, die
       buchstäblich von der Hand in den Mund leben, ginge es schnell ums nackte
       Überleben.
       
       11 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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