# taz.de -- Immer auf die Kleinen: Gerechtigkeit für den Hamster
       
       > Der Prepper unter den Tieren hat derzeit einen schlechten Ruf. Dabei ist
       > er ein Vorbild-Öko. Das Problem ist der Mensch mit seinen Sündenböcken.
       
 (IMG) Bild: Denn Cricetus cricetus hat derzeit ganz schlechte Presse und einen fürchterlichen Ruf
       
       Berlin taz | Als unsere Kinder klein waren, hatten sie es gut: Warme
       Kleidung, immer genug Nudeln mit Tomatensoße, Kika im Fernsehen, und
       geschlagen haben wir sie nicht mal aus Notwehr.
       
       Eine seelische Grausamkeit haben wir trotzdem an ihnen begangen: Mit zwölf
       Jahren wollte unser Sohn ein Haustier. Er hatte sich sogar schon einen
       Käfig besorgt. Aber wir kamen nie dazu, einen Hamster zu besorgen.
       
       Heute studiert er Biologie. Also der Sohn. Und ich fordere Gerechtigkeit
       für den flauschigen Nager. Denn Cricetus cricetus, der europäische
       Feldhamster, hat derzeit ganz schlechte Presse und einen fürchterlichen
       Ruf.
       
       „Die Hamster sind unterwegs!“, schrieb eine Freundin alarmiert aus dem
       Supermarkt. Hamstern ist gefühlt noch asozialer, als Steuern zu
       hinterziehen, es wird sicher Wort oder Unwort des Jahres. Und selbst der
       Staatssekretär aus dem eigentlich für Naturschutz zuständigen Ministerium
       twittert ein Bild von Toilettenpapier im Regal und schreibt: „Kein
       Hamstern!“
       
       Immer auf die Kleinen. Dabei ist der Hamster der Katastrophenschützer im
       Tierreich, ein Profiprepper. Hunde vergraben Knochen und finden sie nie
       wieder. Katzen bringen ermordete Singvögel vor die Terrassentür. Hamster
       legen in weiser Voraussicht einen Wintervorrat an, zu dem nicht mal
       Klopapier gehört.
       
       ## Vegan, schäft lange und verhindert Straßen: Ein Held!
       
       Im Gegenteil: Der mäuseartige Wühler aus der Familie der Nagetiere ist ein
       großer Ökoheld: Er lebt fast vegetarisch aus lokaler Produktion. Er
       verschläft die Hälfte des Jahres, statt in einer überheizten Wohnung
       Netflix zu streamen. Er benutzt fürs Shopping keine Plastiktüten, sondern
       seine Backentaschen. Er liefert uns sein Fell, testet unsere Medikamente
       und bremst unseren Siedlungswahn: ein neues Wohngebiet, ein Baumarkt, eine
       Umgehungsstraße? Auf den Feldhamster ist Verlass, um das Vorhaben zu
       stoppen.
       
       Wir schieben ja gern unsere schlechten Angewohnheiten den Tieren in die
       Pfoten: Wenn wir mausen, drosseln, nachäffen oder rumtigern, können die
       Viecher aber nichts dafür. Wenn wir dumm wie ein Huhn sind, eine
       Schweinerei anrichten oder jemanden eine blöde Kuh nennen, wenn wir
       Krokodilstränen vergießen, falsch wie eine Schlange oder hinterlistig wie
       eine Ratte handeln, dann wissen wir: Das sind alles nur Sündenböcke.
       
       Das Problem ist nicht das Hamstern, sondern das Menscheln. Das fiel mir wie
       Fischschuppen von den Adleraugen, als ich vor drei Tagen vollgepackt wie
       ein Lastesel aus dem Supermarkt kam. Ich verstehe jetzt auch, warum wir vor
       zehn Jahren unserem Sohn kein Nagetier gekauft haben.
       
       Wir brauchten keinen Hamster. Wir hatten ja uns.
       
       27 Mar 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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