# taz.de -- Risiken für Umwelt unterbewertet: EU-Pestizidprüfer wollen Reform
       
       > Bei der Zulassung würden Risiken für die Umwelt unterschätzt, kritisieren
       > Behördenberater. Sie verlangen, auch Pestizid-Kombinationen zu
       > untersuchen.
       
 (IMG) Bild: Wieviel Gift kommt auf den Acker? Ein Gerstenfeld in Rheinland-Pfalz
       
       Berlin taz | Mehrere Wissenschaftler der EU-Behörde für
       Lebensmittelsicherheit (Efsa) fordern, die Prüfung von Umweltrisiken durch
       Pflanzenschutzmittel zu reformieren. „Die Bewertung [1][von Pestiziden]
       berücksichtigt viele Belastungsfaktoren nicht, die in den vergangenen
       Jahren stärker geworden sind – wie der Klimawandel, Zerstörung von
       Lebensräumen und die zunehmende Gleichförmigkeit der Landschaft“, schreiben
       Christopher John Topping und zwei weitere Experten in einem Beitrag für die
       renommierte Fachzeitschrift Science. Die Kombination dieser Faktoren könne
       die Effekte von Ackergiften verschärfen. Deshalb müsse die EU die
       Chemikalien „ganzheitlicher“ beurteilen.
       
       Konventionelle Landwirte spritzen Pflanzenschutzmittel, um mehr zu ernten
       und Arbeit etwa für mechanische Unkrautbekämpfung einzusparen. „Pestizide
       sind jedoch in Verbindung gebracht worden mit dem Rückgang von Insekten,
       Vögeln und der Artenvielfalt in Gewässern“, zitieren die Wissenschaftler
       mehrere Studien. Wenn die Chemikalien dafür auch nur teilweise
       verantwortlich sind, werfe das Fragen zum Zulassungsverfahren auf, das die
       Umwelt schützen müsse. Die Regeln seien hinter dem Stand der Forschung und
       Forderungen der Gesellschaft nach einer nachhaltigen
       Lebensmittel-Produktion zurückgeblieben.
       
       Für veraltet halten die Autoren vor allem, dass die Behörden die
       Umweltfolgen für jedes Pestizid einzeln betrachten. Dabei sei es normal,
       dass in einer Region mehrere Mittel gleichzeitig oder hintereinander
       gespritzt werden. Derzeit ignorierten die Behörden auch, auf wie viel
       Fläche ein Pestizid angewendet wird. Sie würden die langfristigen Risiken
       etwa für diejenigen Insekten unterschätzen, die das Mittel nicht töten soll
       („Nicht-Ziel-Organismen“). Denn bei den Berechnungen nähmen die Ämter an,
       dass die Tiere in größere Gebiete als realistisch ausweichen könnten. Arten
       mit einer großen Reichweite, zum Beispiel Bienen, „sind einem
       Pestizid-Cocktail ausgesetzt, der sogar noch vielfältiger ist als der, der
       auf einem einzelnen Feld eingesetzt wird“, heißt es [2][in dem Artikel].
       
       Die Experten kritisieren außerdem, dass die Behörden die Auswirkungen auf
       nur wenige Arten untersuchten. „Im Lauf der Zeit ist offensichtlich
       geworden, dass bestimmte Aspekte übersehen wurden oder einfach unbekannt
       waren“, so die Wissenschaftler.
       
       ## Experten wollen Auftrag der EU
       
       Sie empfehlen deshalb, die Effekte von Pestiziden mithilfe von Modellen in
       ganzen Landschaften zu analysieren. Pestizide sollten nicht mehr einzeln,
       sondern gruppenweise betrachtet werden. Zuerst müssten so die Wirkungen auf
       Gliederfüßer und Bienen untersucht werden, bei denen es besonders dringend
       sei. „Das kann einigermaßen schnell im Rahmen des geltenden Rechtsrahmens
       geschehen, wenn ein Mandat der EU-Kommission oder des -Parlaments kommt“,
       so die Autoren.
       
       Die drei Wissenschaftler sind Mitglieder des Efsa-Gremiums für
       Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände. Diese Kommission prüft für die EU
       die Risiken von Pestiziden und schlägt zum Beispiel Grenzwerte vor.
       
       Der Verband der europäischen Pestizidhersteller Ecpa zeigte sich auf
       taz-Anfrage offen dafür, Landschaftsmodelle bei der Prüfung der Chemikalien
       zu nutzen.
       
       ## Kritik von Umweltschützern
       
       Die Umweltorganisation Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) kritisierte, es
       würde viele Jahre dauern, so ein System zu entwickeln. „Angesichts des
       derzeitigen Zusammenbruchs der Artenvielfalt haben wir nicht die Zeit,
       etwas völlig Neues zu entwerfen“, sagte Hans Muilerman, Chemie-Koordinator
       des Verbands mit Sitz in Brüssel. „Unsere Lösung ist, das derzeitige System
       zu aktualisieren und empfindliche Arten zu testen“. Die Mittel müssten
       unter realistischen Bedingungen in kontaminierten Agrar-Landschaften
       getestet werden.
       
       Toppings antwortete darauf, dass der PAN-Vorschlag nur weniger
       Pestizidzulassungen zur Folge haben werde. „Das ignoriert, dass die
       Landwirtschaft Alternativen braucht, die nicht vorankommen“, schrieb der
       Däne der taz. Wenn weniger Pestizidarten zur Verfügung stehen, steige die
       Gefahr, dass zum Beispiel Unkräuter resistent werden.
       
       19 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schwerpunkt-Pestizide/!t5008935/
 (DIR) [2] https://science.sciencemag.org/content/367/6476/360.abstract
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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