# taz.de -- Neue Regierung in der Ukraine: „Neue Hirne, neue Herzen“
       
       > Präsident Selenski bildet das Kabinett um und markiert einen Neuanfang.
       > Sogar in der eigenen Partei steht er unter Druck.
       
 (IMG) Bild: Hilfe von oben? Präsident Wolodimir Selenski bei der Parlamentssitzung am Mittwoch
       
       Kiew taz | Ohne lange Parlamentsdebatten und mit einer En-Bloc-Abstimmung
       hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski eine der größten
       Regierungsumbildungen der vergangenen Jahre innerhalb weniger Stunden
       durchgezogen. Am frühen Mittwoch Abend stimmte das ukrainische Parlament
       dem Rücktrittsgesuch von [1][Noch-Regierungschef Oleksiy Honcharuk] zu,
       eine Stunde später war der bisherige stellvertretende Premier Denis
       Schmygal neuer Premier.
       
       Und kurz vor 20 Uhr stimmte eine Mehrheit von 277 Abgeordneten für das neue
       Kabinett. Von 17 Mitgliedern der bisherigen Regierung von Honcharuk sind
       nur noch sechs im Kabinett Schmygals vertreten. Zuvor hatte Präsident
       Wolodimir Selenski die Notwendigkeit der Regierungsumbildung begründet.
       Zwar habe man nun eine Regierung, die weitgehend von Korruption frei sei.
       „Doch nicht zu stehlen, reicht nicht“. Neue Gesichter allein machten noch
       keine Regierung. „Wir brauchen neue Hirne und neue Herzen“ so Selenski.
       
       Immer wieder sei ihm von einem entschlossenen Kampf gegen den Schmuggel
       berichtet worden, so Selenski. Doch derzeit sehe es so aus, als habe der
       Schmuggel in diesem Kampf den Zoll k.o. geschlagen.
       
       Gleichzeitig bedankte er sich bei seiner Gesundheitsministerin Sorjana
       Skalezkaja für ihren Mut. Diese hatte sich aus Solidarität mit
       China-Rückkehrern, bei denen der Verdacht auf eine Infektion mit dem
       Corona-Virus bestand, zusammen mit diesen in Quarantäne begeben. „Doch in
       unserer Medizin darf Mut keine Einmalaktion sein.“ Zwar habe diese
       Regierung mehr getan als alle anderen Regierungen vor ihr. „Doch das
       spricht eher gegen die früheren Regierungen als für diese Regierung“, sagte
       Selenski.
       
       ## Emotionale Rede
       
       In einer sehr emotionalen Rede kritisierte der Oppositionsabgeordnete
       Oleksiy Honcharenko von der Poroschenko-Partei „Europäische Solidarität“
       Präsident Selenski. Schließlich seien diese Leute von Selenski zu Ministern
       gemacht worden.
       
       Der Präsident, so Gontscharenko, hätte seine Rede mit den Worten beenden
       müssen: „Ich bin vor dem Volk der Ukraine schuldig. Ich trete zurück.“
       Wütend ging Selenski auf Honcharenko zu, schlug dessen zum Gruß angebotene
       Hand aus und sprach erregt auf ihn ein.
       
       Die Abgeordnete Julia Klimenko von der Partei „Golos“ holte aus einem Sack
       mit dem Konterfei von Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch eine Stoffkatze mit
       dem Konterfei des neuen Premiers Schmygal heraus, um sie diesem zu
       übergeben. Vor sechs Monaten, so Klimenko, habe man schon einmal eine Katze
       im Sack angeboten bekommen. Nun werde sich dieses Spiel wiederholen. Unter
       Anspielung auf die Zusammenarbeit einiger neuer Kabinettsmitglieder mit
       Ex-Präsident Janukowitsch bezeichnete sie die neue Regierung als ein
       „Mini-Kabinett Janukowitsch“.
       
       An der Person des neuen Premiers Schmygal zeigt sich, worauf der Präsident
       jetzt Wert legt. Der aus der Westukraine stammende Schmygal gilt als
       glänzender Fachmann für Wirtschaft. Er sei immer gut vorbereitet zu
       Sitzungen erschienen, handle berechenbar und zuverlässig, habe sich nie mit
       skandalösen Äußerungen aus dem Fenster gehängt und meistens die zweite
       Geige gespielt, so das Internetportal Obozrevatel.
       
       ## Fähiger Unterhändler
       
       Ins Auge fällt auch die Person des neuen Verteidigungsministers. Der in der
       DDR in einer Offiziersfamilie geborene Generalleutnant der Reserve Andrej
       Taran gilt als fähiger Unterhändler, hatte das ukrainische
       Verteidigungsministerium bei der UNO vertreten und war Chef des
       militärischen Kontroll- und Koordinierungszentrums an der Front im Donbass.
       Das Internetportal Obozrevatel sagt ihm gute Kontakte zu Russland nach und
       geht davon aus, dass von ihm eine friedliche Rhetorik gegenüber Moskau zu
       erwarten ist.
       
       Vor dem Hintergrund sinkender Zustimmungswerte und nicht erfüllter
       Wahlversprechen wie „dem [2][Ende der Armut]“ steht Präsident Selenski
       zunehmend unter Druck. Wie sehr er auch in seinem eigenen Umfeld an
       Unterstützung verliert, zeigt seine dünne Personaldecke. Drei Minister der
       bisherigen Regierung wollten nach der Regierungsumbildung nicht mehr an der
       Regierung beteiligt sein. Die Posten des Vize-Premiers für Verteidigung,
       des Kulturministers und des Ministers für Energie und Umwelt bleiben
       vorerst vakant.
       
       Die nächste Sondersitzung des Parlaments ist für den 5. März angesetzt.
       Allem Anschein geht es dabei um die Entlassung von Generalstaatsanwalt
       Ruslan Rjaboschapka.
       
       5 Mar 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Regierungskrise-in-der-Ukraine/!5657542
 (DIR) [2] /Armut-in-der-Ukraine/!5660308
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wolodymyr Selenskij
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Generalstaatsanwalt
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Alexej Gontscharuk
 (DIR) Wolodymyr Selenskij
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kommunalwahl in der Ukraine: Schlappe für Selenski
       
       Die Partei des Präsidenten, „Diener des Volkes“, ist bei der Kommunalwahl
       in der Ukraine eingebrochen. Grund könnte zu wenig Professionalität sein.
       
 (DIR) Generalabrechnung in der Ukraine: Rache an Poroschenko
       
       Derzeit häufen sich Ermittlungsverfahren gegen das Umfeld des ehemaligen
       Präsidenten. Dessen Nachfolger Selenski begleicht offene Rechnungen.
       
 (DIR) Kiew beschliesst Bodenreform: Schlupflöcher für Nichtukrainer
       
       Das Parlament hat das Verbot des Verkaufs von Agrarflächen aufgehoben.
       Kritiker fürchten eine Konzentration von Land in den Händen weniger.
       
 (DIR) Kaderkarussell in der Ukraine: Der Generalstaatsanwalt ist weg
       
       Das Parlament spricht Ruslan Rjaboschapka das Misstrauen aus: Zu wenig
       Ergebnisse, heißt es offiziell. Doch es geht wohl um mangelnde Loyalität.
       
 (DIR) Armut in der Ukraine: Hund oder Heizung
       
       Ein Abgeordneter schlägt einer Rentnerin den Verkauf ihres Hundes vor, um
       die Heizkosten zahlen zu können. Das entfacht einen Shitstorm.
       
 (DIR) Chef der Präsidialverwaltung in Ukraine: Der harte Verhandler
       
       Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ernennt Andrei Jermak zum
       neuen Chef der Präsidialverwaltung. Zuvor war er sein Berater.
       
 (DIR) Regierungskrise in der Ukraine: Premier schmeißt hin
       
       Alexej Gontscharuk reicht sein Rücktrittsgesuch ein – beim Präsidenten.
       Über den soll er in einem vertraulichen Gespräch hergezogen sein.
       
 (DIR) Kolumne Geht’s noch?: Nicht mehr komisch
       
       Wolodimir Selenski, Präsident der Ukraine, meint, die schönen Ukrainerinnen
       seien ein Markenzeichen seines Landes. Die finden das gar nicht witzig.