# taz.de -- Prekärer Kinderschutz in Hamburg: Jugendamt ist selbst in Not
       
       > Mitarbeitende des Jugendamts Mitte prangern in einem offenen Brief ihre
       > Überlastung an. Im Bezirksamt winkt man ab: Hilfe sei schon auf dem Weg.
       
 (IMG) Bild: Kinderschutz wollen alle – aber die Bedingungen dafür zu schaffen, ist eine Herausforderung
       
       Hamburg taz | Das Szenario, das die Mitarbeitenden des Jugendamts Mitte
       entwerfen, ist drastisch: „Wir weisen Sie alle darauf hin, dass es nur eine
       Frage der Zeit ist, bis wann ein weiterer Jugendamts-Fall mediale
       Aufmerksamkeit bekommt“ – der Verweis auf den Tod von Kindern wie
       [1][Yagmur] oder [2][Chantal], die unter der Obhut des Jugendamtes standen,
       ist offenkundig.
       
       Rechtzeitig zur Wahl hatten sich MitarbeiterInnen des [3][Allgemeinen
       Sozialen Dienstes] (ASD) in Mitte mit einem offenen Brief an die
       Bürgerschaftsfraktionen und das Hamburger Abendblatt gewandt. Die hohe
       Fluktuation, eine schlechte Leitung und zu hohe Fallbelastungen führten
       dazu, dass „der Kinderschutz unter diesen prekären Arbeitsbedingungen der
       Fachkräfte nicht gewährleistet werden kann“.
       
       Glaubt man dem Bezirksamt Mitte, so ist dieser Brief „nicht hilfreich“. So
       formuliert es Sprecherin Sorina Weiland. Denn die Unterbesetzung vor Ort
       sei nicht nur bekannt – man versuche seit Ende letzten Jahres,
       gegenzusteuern und die MitarbeiterInnen zu entlasten. Zudem seien es
       „einzelne Stimmen“, die sich hier äußerten. Der Brief ist anonym gehalten,
       laut VerfasserInnen, weil sie „weitreichendere Repressalien durch die
       Leitungskräfte befürchten“.
       
       Deren Mangel an Kompetenz, Rücksicht auf Überlastung und familiäre
       Belastungen nimmt weiten Raum in dem offenen Brief ein. Daneben geht es vor
       allem um die hohe Fluktuation und die Arbeitsbelastung. In den vergangenen
       vier Jahren hätten rund 45 KollegInnen die Abteilung verlassen, die Leitung
       habe sechsmal gewechselt. Neue KollegInnen könnten nicht ausreichend
       eingearbeitet werden und würden bereits in der Probezeit mit Fällen von
       Kindeswohlgefährdung beschäftigt. Vollzeitfachkräfte seien angesichts von
       „weit über 100“ Fallzuständigkeiten überlastet. Hinweise darauf würden
       lediglich mit dem Verweis, Fälle zu priorisieren beantwortet.
       
       ## Die Unterbesetzung ist grundsätzlich unbestritten
       
       Es gibt in diesem Konflikt einen kleinteiligen Anteil, der sich um Fragen
       wie beispielsweise die Führung eines digitalen Kalenders dreht, der zeigt,
       bei welchem Einsatz die MitarbeiterInnen gerade sind. Ist das Gängelung
       oder ein Instrument, um die knappen Ressourcen sinnvoll einzusetzen?
       Daneben aber gibt es eine von beiden Seiten benannte Unterbesetzung. Zwar
       will Bezirksamtssprecherin Weiland die im offenen Brief genannten Zahlen
       zur Fluktuation nicht bestätigen, aber auch sie sagt: „Es ist richtig, dass
       dort mehr Fachkräfte hin sollen“.
       
       Derzeit sind zwölf von insgesamt rund 100 Stellen im Jugendamt nicht
       besetzt. Das teilt sich in zwei Regionen, wovon Region 2 mit
       Mümmelmannsberg und Billstedt mit hoher materieller und Bildungsarmut
       kämpft und somit mit hohen Fallzahlen, wie es im offenen Brief heißt.
       
       Laut Sabine Kümmerle, Geschäftsführerin des Alternativen Wohlfahrtsverbands
       [4][SOAL], ist das Problem, Fachkräfte zu finden, ein allgemeines. Und
       diejenigen, die sich die Stellen aussuchen können, wählten möglicherweise
       nicht Hamburg-Mitte als Arbeitsplatz.
       
       „Die besonderen Strukturherausforderungen für das Jugendamt in Hamburg
       Mitte sind schon länger bekannt“, sagt Florian Wesselkamp,
       Fachbereichsleiter Kinder- und Jugendhilfe der Hamburger [5][Diakonie].
       Soweit es ihm bekannt sei, versuche die Jugendamtsleitung intensiv die
       Strukturen insbesondere in bestimmten Regionen zu stärken.
       
       Sorina Weiland nennt da etwa das gerade angelaufene Projekt „Willkommen und
       bleiben“, das der hohen Fluktuation entgegenwirken soll. Oder den
       überdurchschnittlichen Stellenschnitt von 115 Prozent. Was angesichts der
       unbesetzten Stellen Theorie bleibt. Da kommt der für nächste Woche
       angesetzte Besuch des Bezirksamtsleiters im Jugendamt nicht von ungefähr.
       
       5 Mar 2020
       
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