# taz.de -- Debatte über Nikab-Verbot in Hamburg: Unterricht ohne Gesicht
       
       > Für das Nikab-Verbot argumentieren Politiker:innen oft mit der
       > unsichtbaren Mimik. Aber ist die ein Problem? Die Antwort fällt schwerer
       > als gedacht.
       
 (IMG) Bild: Immer wieder umstritten: das Tragen eines Nikab während des Schulunterrichts oder des Uni-Seminars
       
       Hamburg taz | Dani Pendorf hat sich jahrelang gegen ein Kopftuchverbot
       engagiert, jederzeit würde sie eine Frau mit Nikab beraten. Aber sie
       unterrichten? Das würde sie nicht. „Auch die Lehrenden haben das Recht zu
       erkennen, wie sie ankommen“, sagt die pädagogische Leiterin von Migration
       e. V., einem Verein zur Förderung des interkulturellen Lebens in Kiel. Zu
       Bildung gehöre Beziehung und die funktioniere über offene Kommunikation,
       über Blicke in Gesichter.
       
       Kann eine Studentin oder Schülerin gut lernen, wenn ihr Gesicht nicht zu
       erkennen ist? Und kann eine Lehrkraft lehren, wenn sie nur die Augen der
       Schüler:innen sieht?
       
       Pendorf sagt Nein, und das leuchtet intuitiv ein. Es ist das Argument, mit
       dem für ein [1][Nikab-Verbot an Schulen und Hochschulen] geworben wird.
       Jüngst auch vom Hamburger Schulsenator Ties Rabe: „Lernen braucht die
       offene Kommunikation zwischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen
       und Lehrern. Für eine gute und gelingende Kommunikation ist es unabdingbar,
       dass sich die Beteiligten dabei ins Gesicht blicken können.“
       
       Nicolle Pfaff, Bildungswissenschaftlerin an der Universität Duisburg-Essen,
       hält das Argument für vorgeschoben. In anderen Fällen, zum Beispiel bei
       Menschen mit Sehbehinderung, würde man die offene Kommunikation ja auch
       nicht gefährdet sehen: „Wenn wir sagen, Mimik und Gestik sind entscheidend,
       würden wir viele Menschen ausschließen.“ Hochschulen bemühten sich seit
       Jahren um Inklusion und Pluralität, gleichzeitig würden Präsenz-Seminare
       immer weniger, Online-Vorlesungen nähmen zu. Auch die Bereitschaft, für
       Einzelfälle Lösungen zu finden, werde größer.
       
       ## Zu wenig Forschung
       
       Pfaff meint, hinter der Argumentation stecke die Angst vor unbequemen
       Auseinandersetzungen. „Mit Verboten erreichen wir nur Trennung, Pädagogik
       ist dann nicht mehr möglich.“ Es gehe am Ende um die Frage, was wir als
       Unterdrückung wahrnehmen und was als normal.
       
       Die Frage über den pädagogischen Wert der Mimik in der Bildung ist
       schwierig zu beantworten, weil es zu wenig Forschung gibt. Aber eben auch
       deshalb, weil sie in einem politischen Kontext gestellt wird. Fragen der
       Diskriminierung, der Religionsfreiheit, der weiblichen Selbstbestimmung und
       Unterdrückung schwingen bei jedem Versuch eine Beantwortung mit. Sowohl bei
       denen, die für ein Verbot argumentieren, als auch bei denen, die dagegen
       sind.
       
       Neben der Mimik gibt es noch eine weitere pädagogische Frage, die eine
       Rolle spielt bei der Bewertung eines Verbots: Führt es zu mehr Abgrenzung,
       zu Radikalisierung? Kurt Edler war lange Lehrer in Hamburg, er beschäftigte
       sich mit Demokratievermittlung und auch mit Islamismus für Schulen. „Dass
       ein junger Mensch durch Ausschluss unter Druck gerät, stimmt“, sagt er.
       „Aber das ist Pädagogik, so funktioniert die Gesellschaft.“ Man würde auch
       keine rechtsextremen Parolen zulassen, nur damit sich die Person nicht
       weiter radikalisiere.
       
       Dabei gebe es einen Unterschied zwischen der Schule und der Universität.
       Man müsse einem jungen Mädchen [2][nicht unterstellen, dass es den Nikab
       aus politischen Gründen trage] – anders als womöglich bei einer Studentin
       –, aber man müsse ihr die Öffentlichkeitswirkung verdeutlichen. „Als Lehrer
       muss ich ihr klarmachen: Du verdeckt deine Individualität, das ist die
       größte Form der Selbststigmatisierung.“
       
       Die Unterscheidung zwischen Schule und Hochschule taucht immer wieder auf.
       Viele, die zu dem einen eine klare Meinung haben, sind sich beim anderen
       unsicher. Auch weil in der Schule neben dem Bildungsauftrag ein
       Erziehungsauftrag besteht – es geht auch um Demokratie.
       
       Der Nikab hat wahrscheinlich Auswirkung auf die Kommunikation im
       Unterricht. Aber es bleibt eine Abwägung, denn Pädagogik ist mehr als
       lernen. Die Frage sei: „Wie weit geht unser pädagogisches Interesse?“, sagt
       Nicole Pfaff. So weit, dass wir die Kommunikationseinschränkung in Kauf
       nehmen, damit auch Frauen mit Gesichtsverschleierung zusammen mit den
       anderen lernen können?
       
       10 Feb 2020
       
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