# taz.de -- Die Wahrheit: Heimreise unter die Brücke
       
       > Der heiß umkämpfte Wohnungsmarkt der Großstädte hält für Mieter allerlei
       > Unbill bereit. Auf ihrer Suche müssen sie mit Entbehrungen rechnen.
       
 (IMG) Bild: Selbst in der kleinsten Hütte lässt es sich herrlich wohnen
       
       Kein Lufthauch dringt in den Hinterhof, der in einer deutschen Großstadt
       liegt, die Köln, München oder Hamburg heißen könnte. Seit zwei Stunden
       stehen wir Vorder- an Hinterteil gequetscht mit anderen Wohnungssuchenden.
       So viel Körperkontakt mit Fremden hat man sonst nur in angesagten
       Szeneclubs. Schließlich öffnet sich eine Kellertür zum Hinterhaus. Der Damm
       bricht, die Meute stürzt los. Wer Schwäche zeigt, wird von anderen
       Wohnungsinteressenten mit beindicken Selbstauskunfts-Ordnern
       niedergeschlagen.
       
       Ein Heim im städtischen Raum zu finden, birgt – vorsichtig ausgedrückt –
       Schwierigkeiten. Nur wer bereit ist, auf fundamentale Rechte zu verzichten,
       hat auf dem harten Wohnungsmarkt überhaupt eine Chance. Wir haben uns
       trotzdem auf die Suche begeben.
       
       Der Makler dirigiert die designierten Mieter mit den erfahrenen Bewegungen
       eines Raubtierdompteurs. Er entstammt einem alten Raubrittergeschlecht und
       ist Besitzer eines schwarzen Gürtels im Schönreden und einer aufwendigen
       Frisur. Sein maßgeschneiderter Anzug scheint trotz allem günstiger als die
       monatliche Kaltmiete für die Klause im Souterrain.
       
       ## Das Alter wird zum Problem
       
       Sein Motto? Jedem das Seine. Mir das Meiste! Und genau wie das Motto ist
       auch sein Humor: Kürzlich hat der Makler in einer Sektlaune einen gesamten
       Wohnblock zwangsräumen lassen. Zahlungskräftigeres Publikum soll seine
       Kassen und Häuser füllen. Auf dem langen Gang reihen sich die Zimmer wie in
       einer Legebatterie. Während wir uns in das erste Appartement quetschen –
       acht Quadratmeter, Toilette in der Küche, keine Tür – kommen wir mit einem
       Ehepaar ins Gespräch, das schon sehr lange auf Wohnungssuche ist.
       
       Wegen ihres Neugeborenen suchten Ilka und Horst ursprünglich eine
       Dreizimmerwohnung. „Inzwischen ist unser Sohn aber volljährig. Der ist
       schon vor Monaten ausgezogen“, sagt Ilka. Ihr Junge hatte echtes Glück: Er
       lebt heute in einem Studi-Appartement, nur zwei Tagesreisen von der
       Universität oder der Zivilisation entfernt. Die neu gewonnene
       Kinderlosigkeit erleichtert zwar den Eltern die Wohnungssuche, das Alter
       wird allerdings zum Problem, wenn es zu Entscheiden per Faustrecht kommt.
       Außerdem geht ihr Einkommen fast komplett für die bescheidene Butze des
       Sohnes drauf.
       
       ## Zurück ins Hotel Mama
       
       Der Makler führt uns flötespielend durch weitere Liegenschaften und alles
       tanzt nach seiner Pfeife – Wohnungssuchende wie Ratten. Als Virtuose der
       Euphemismen findet er eine passende Erklärung für jeden kleinen
       Schönheitsfehler. Die winzige Bruchbude am Autobahnzubringer? „Ein Tiny
       House für überzeugte Antimaterialisten.“ Eine löchrige Decke im Altbau,
       durch die das Wasser tropft? „Modernes Wohnen im Einklang mit der Natur.“
       Schimmel an den Wänden? „Edle Designertapete mit Mut zur Avantgarde.“ Doch
       gerade den jungen Menschen mangelt es beim Besichtigungs-Marathon an
       Ausdauer. Die meisten von ihnen machen nach vier Tagen schlapp und wünschen
       sich zurück in jenen Wohnraum, der für sie bezahlbar war – ins Hotel Mama
       oder gleich in ihren Uterus.
       
       Hart im Nehmen ist dagegen der 91-jährige Veteran Rüdiger, seit 25 Jahren
       auf Wohnungssuche: „Inzwischen schaue ich aber bloß noch auf Friedhöfen.“
       Doch auch dort ist kaum etwas zu finden, seit clevere Immobilienverwalter
       frisch ausgehobene Gräber – nach Wahl mit Sarg möbliert – als
       Mikroappartements vermieten.
       
       Nach einer Woche ist die Besichtigungstour endlich vorbei. Die wenigen, die
       durchgehalten haben, müssen vor dem Makler sämtliche Hüllen fallen lassen.
       Außerdem müssen sie alles offen legen: die Finanzen ihres Haustiers, die
       Hobbys der Großmutter, körperliche Makel und Trinkgewohnheiten.
       
       ## Paradiesische Pacht
       
       Als wir die letzte unbezahlbare Wohnbaracke verlassen, haben sich religiöse
       Fanatiker davor versammelt. Sie zitieren aus der Bibel und behaupten, im
       Haus ihres Vaters gebe es viele Wohnungen – und die Pacht liege bloß
       paradiesische 17 Euro über dem Mietspiegel. Fremde schnorren uns an: „Habt
       ihr mal ’n paar Quadratmeter?“
       
       Konsterniert treten wir die Heimreise an. Zu Hause unter der Brücke blasen
       wir unsere Luftmatratzen auf und verkriechen uns in die Schlafsäcke. In
       unseren Albträumen sucht uns der Makler heim. „Wer eine Wohnung will, darf
       niemals schlafen“, wispert er und lacht diabolisch. Seine Frisur sitzt
       trotz nachtschlafender Zeit perfekt.
       
       18 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Bartsch
       
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