# taz.de -- Die Wahrheit: Panik am Sonntag
       
       > Wie eine Redakteurin einmal die Angst ihres Lebens bekam. Eine Schnurre
       > aus der guten alten Zeitungszeit, als die Deadline noch fast tödlich war.
       
 (IMG) Bild: Wenn der Wecker nicht klingelt, ratzt die Redakteurin bis in die Puppen
       
       Ich wachte auf und schaute auf die Uhr. Scheiße. 12.45 Uhr. Es war Sonntag,
       und ich hatte Sonntagsdienst in der Wahrheit-Redaktion, das bedeutete, ich
       war für zwei Montagsseiten verantwortlich, meine eigene und die
       Medienseite, die mitproduziert werden musste. Redaktionsschluss: 14 Uhr.
       
       Außer mir war keiner im Ressort, das erklärte auch, warum mich noch keiner
       telefonisch geweckt und herbeizitiert hatte. Eine Panikattacke selten
       erlebten Ausmaßes überfiel mich, ich sprang auf und versuchte, jemanden aus
       einem anderen Ressort anzurufen, damit er oder sie vielleicht noch etwas an
       den Seiten retten konnte, aber es nahm niemand ab!
       
       Ich stürzte mich ungewaschen in die nächstbesten Anziehsachen, selbst mit
       einem Taxi würde ich nicht vor 13.30 Uhr an meinem Arbeitsplatz sein, und
       ich hatte nicht die geringste Ahnung, was für die Montagsseiten geplant
       oder vorbereitet war. Denn am Freitag war ich auch nicht dort gewesen, und
       ich hatte es versäumt, mich telefonisch mit dem Kollegen Matthias T. über
       die Montagsplanung zu verständigen.
       
       Es war eine dieser schrecklichen Situationen, in denen man genau weiß, dass
       die Kacke voll am Dampfen ist und man nichts mehr durch Überlegung oder
       Strategie oder was auch immer retten kann, dass man auch keine Schuld
       umverteilen kann und dass eine Menge Ärger und ernsthafte Konsequenzen zu
       befürchten sind!
       
       ## Hektikflecken im Gesicht
       
       Mir wurde heiß, ich verlor wertvolle Zeit dadurch, dass ich panisch und
       unorganisiert hin und her lief und nicht wusste, was ich sinnvollerweise
       als Nächstes machen sollte. Ich malte mir die Gesichter der Kollegen von
       Repro und Layout aus, die spätestens in fünf Minuten meine Seiten vermissen
       würden, und wenn ich um 13.30 Uhr dort ankommen würde, wäre schon die halbe
       Zeitung auf der Suche nach mir. Ich roch ungewaschen und hatte
       Hektikflecken im Gesicht.
       
       Hinzu kam, dass ich nicht wusste, ob meine Barschaft noch für ein Taxi
       reichte. Ich schmiss mich in meine Jacke, war schon halb aus der Tür, da
       knackste irgendetwas in meinem Gehirn, ich lief zurück ins Wohnzimmer,
       machte den Fernseher an und verglich die laufenden Programme mit der
       Fernsehzeitung – dann die Bestätigung: Es war Samstag, der 23. März!
       
       Zur Sicherheit überlegte ich nochmal genau, was ich gestern gemacht hatte,
       alles deutete darauf hin, dass gestern Freitag gewesen war, also war heute
       Samstag und erst morgen Sonntag! Ich setzte mich hin und merkte, dass meine
       Beine nervös wibbelten, ich bekam einen grässlichen Schweißausbruch und
       begann zu zittern – die Erleichterung war beinahe nicht zu ertragen …
       
       Jetzt merkte ich auch, dass ich fast noch im Halbschlaf war, und langsam
       dämmerte mir, dass ich, bevor ich aufgewacht war, irgendwas vom
       Sonntagsdienst geträumt hatte, und ich verfluchte das Traumteufelchen und
       herrschte es an, dass es bitte in Zukunft solche Scherze mit mir
       unterlassen sollte. Nur ganz beschwerlich kam ich von diesem Horrortrip
       wieder runter.
       
       Drei Stunden später klingelte mein Telefon. Es war der Kollege Matthias T.
       Er wollte wissen, ob mit den Montagsseiten alles klar gegangen sei.
       
       Ich fragte: „Äh … Montagsseiten?“ Pause. Er: „Corinna, du warst doch heute
       in der Redaktion?“ Ich: „Nein, wieso?“ Er: „Du warst heute nicht in der
       Redaktion?“ Ich: „Äh … nein.“
       
       Ich spürte durch das Telefon, wie Matthias eine Krise bekam, und mich
       überkam auch wieder eine leichte Panikattacke.
       
       Er: „Corinna, du hast es vergessen? Das hatten wir abgesprochen: Ich mache
       den Freitag, und du machst den Sonntag, das hatten wir abgesprochen!!! Wenn
       du das vergessen hast …“ Ich: „Matthias …“ Er: „Dann war heute keiner von
       uns in der Redaktion … aber das ist ja …“ Ich: „MATTHIAS!!! Heute ist
       Samstag, nicht Sonntag!“ Pause. Er: „Äh … stimmt, hehe …“
       
       ## Telefonklingeln im Halbschlaf
       
       Dann begann Matthias, zu erklären, er habe halt geglaubt, heute sei
       Sonntag, er habe lange geschlafen, morgens habe er mal sein Telefon gehört,
       sei aber nicht drangegangen. Lange nachdem er dann wach war, sei ihm wieder
       eingefallen, dass er im Halbschlaf mal sein Telefon gehört habe und
       womöglich freitags versäumt habe, mich wegen der Montagsplanung zu
       kontaktieren, und da habe er gedacht, das Telefon könne vielleicht ich oder
       wer anders aus der Redaktion gewesen sein, wegen eventueller Unklarheiten,
       und da habe er sich schnell erkundigen wollen, ob mit den Montagsseiten …
       
       Ich erzählte ihm von meiner eigenen Verwirrung, und wir lachten herzlich,
       versicherten einander noch sehr lange, dass heute Samstag, der 23. März ist
       und nicht etwa Sonntag, der 24.
       
       Vor Kurzem ist Matthias Chefredakteur bei einer anderen Zeitung geworden.
       Mal sehen, ob er noch mit dem gleichen Verantwortungsbewusstsein seine
       Arbeit tut! Ich wünsche ihm jedenfalls ruhige Träume.
       
       3 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Corinna Stegemann
       
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