# taz.de -- Aus der Pionierzeit der Videokunst
       
       > Die besondere Stimmung der majestätischen Hängebrücke von 1883: Der Neue
       > Berliner Kunstverein zeigt eine kleine Retrospektive zum Frühwerk von
       > Joan Jonas, die nur vier Arbeiten umfasst, aber sehr sehenswert ist
       
 (IMG) Bild: Die Spannung liegt darin, dass meist nichts zu erkennen ist: Joan Jonas vor einem ihrer Videos
       
       Von Julia Gwendolyn Schneider 
       
       Das Meer glitzert in der Sonne, Schiffsglocken und Möwengeschrei erklingen,
       der Kamerablick schwenkt auf die Brooklyn Bridge, eines der Wahrzeichen von
       New York. Joan Jonas Video „Brooklyn Bridge“ (1988) fängt die besondere
       Stimmung dieser majestätischen Hängebrücke von 1883 ein, lässt Passanten
       vorbeiziehen, Fahrradfahrer, Hunde und überlagert das gefilmte Bild mit
       Elementen, die per Quantel Paintbox entstanden sind, einer TV-Technologie,
       die in den 80er Jahren entwickelt wurde, mit der sich in das Videobild wie
       von Hand malen ließ.
       
       So ziehen sich etwa flüchtig gesetzte rote Linien wie eine leuchtende
       Schraffur über die dunklen Stahlseile, aus dem Nichts tauchen spiralförmige
       Gebilde auf, Umrisse der Brücke werden aufs Wasser gezeichnet und wieder
       ausradiert. Die zeichnerischen Eingriffe machen aus dem Geschehen eine
       Collage und lassen ein visuelles Gedicht entstehen. Daneben erscheint immer
       wieder eine weiße Maske im funkelnde Blau des East River. Die Maske hat
       etwas Mystisches, tritt wie ein Gesicht zum Vorschein, das aussieht, als
       würde es zu sprechen beginnen, während es doch stumm bleibt.
       
       Jonas begann in ihren Performances eine Maske zu benutzen, seit sie 1970
       nach Japan gereist war und dort das Nō-Theater zu schätzen gelernt hatte,
       eine traditionelle Theaterform aus dem 14. Jahrhundert, die bis heute
       Bestand hat. Die 1936 in New York geborene Künstlerin zählt zu den Ersten,
       die mit dem Medium Video experimentierten. Auf der bereits erwähnten
       Japanreise kaufte Jonas ihre erste Videokamera. Seit den späten 60er Jahren
       ist für sie eine medienübergreifende Kunstpraxis prägend, die sich einer
       strengen Kategorisierung widersetzt. Jonas gilt als Pionierin der
       Videoperformance, aber einem breiteren Publikum wurde sie erst 2015 mit
       ihrer Multimedia-Installation im US-Pavillon der Venedig Biennale bekannt.
       Der Neue Berliner Kunstverein zeigt nun eine kleine Retrospektive zu ihrem
       Frühwerk, die nur vier Arbeiten umfasst, aber sehr sehenswert ist.
       
       Ähnlich wie „Brooklyn Bridge“ ist auch „Vertical Roll“ (1972) von
       technischen Erkundungen geprägt, aber Jonas geht medienreflexiver vor. In
       der schwarzweißen Videoarbeit findet vor allem eine Auseinandersetzung
       zwischen Kamera, Bildschirm und dem Subjekt statt. Dabei kommt es zu einer
       überaus gelungen Verzahnung von Körper- und Mediendiskurs. Das Video
       anzusehen erfordert allerdings etwas Durchhaltevermögen. Jonas arbeitet mit
       extremen Close-ups, sodass sich das Gezeigte immer wieder durch die starke
       Nahsicht dem Blick entzieht. Zugleich unterliegt die Bildfolge dem
       mechanischen Rhythmus einer Bildstörung, der sogenannten Vertical Roll, die
       sich als schnell aufeinanderfolgender schwarzer Balken durch die Bildfläche
       zieht, ein häufig vorkommender technischer Fehler in frühen Fernsehgeräten.
       
       Langsam tritt der Kopf der Künstlerin zum Vorschein. Dann schlägt sie mit
       einem Löffel auf einen Spiegel vor ihrem Gesicht, wodurch ein schallender
       Sound erzeugt wird, sodass man fast erschrickt. Der schlagende Ton ist im
       Rhythmus der Bildstörung den ganzen Film über ununterbrochen zu hören,
       treibt einerseits das Geschehen an, stört durch seine Penetranz aber auch
       das Sehvergnügen, des ohnehin schwer auszumachenden Geschehens. Der Film
       zeigt sich langsam bewegende weibliche Körperteile in extremen
       Nahaufnahmen, mal fast nackt, oder in einem Bauchtanzkostüm bekleidet,
       immer nur fragmentarisch. Die meiste Zeit liegt die Spannung darin, dass so
       gut wie nichts zu erkennen ist, aber die Vorstellung da ist, dass doch bald
       wieder das nächste Stück Haut oder vielleicht doch der ganze Körper zu
       sehen sein wird. Dabei spielt Jonas ganz bewusst mit der Schaulust, lässt
       sie sich selbst erkennen, in ihrem Begehren, die Bilder zu kitten und
       vollständig zu bekommen. So wie das Videobild gestört ist, spielt auch das
       Bild der Frau nicht mit, sondern legt das Begehren bloß.
       
       Bei Jonas darf es aber auch unterhaltsamer zugehen, das zeigt das intensive
       Farbvideo „Double Lunar Dogs“ (1984). Angeregt durch den
       Science-Fiction-Roman „Das Universum“ (1941) von Robert A. Heinlein wird
       mit analogen Spezialeffekten eine postapokalyptische Weltraumreise kreiert
       bei der die Besatzung unter Gedächtnisschwund leidet und ziellos durchs All
       irrt.
       
       Es macht Spaß, in Jonas’ Arbeiten einer vergangenen Ära einzutauchen, in
       denen das elektronische Bild als technische Neuartigkeit benutzt und
       reflektiert wird, aber irgendwie auch fast beruhigend altmodisch wirkt.
       Zumindest wenn man bedenkt, wo wir heute stehen. Das wiederum kann man sich
       in den unteren Räumen der n.b.k. anschauen, wo aktuell Hito Steyerl
       ausstellt: Den Großteil ihrer bewegten Bilder ließ sie per künstliche
       Intelligenz erzeugen.
       
       Joan Jonas: Vertical Roll, Left Side Right Side, Double Lunar Dogs,
       Brooklyn Bridge, n.b.k. Showroom, bis 24. Januar 2020
       
       23 Dec 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Gwendolyn Schneider
       
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