# taz.de -- Geburt mit Komplikationen: Verhandeln mit Gott
       
       > Das Neugeborene irgendwo zwischen Leben und Tod. Was soll Sicherheit
       > geben, was Hoffnung? Verzweifelt wird nach Irgendwas gegriffen.
       
 (IMG) Bild: Für das Beste beten – und manchmal ums Leben
       
       Die Kollegin Katja Demirci vom Tagesspiegel hat vor Kurzem einen Text
       veröffentlicht über die [1][Geburt und das Sterben] ihres ersten Kindes.
       Dazwischen lag eine Woche. Eine Woche, die mir erschreckend bekannt
       vorkommt. Das Auf-die-Welt-kommen ohne einen Schrei. Das Wegtragen des
       leblosen Mini-Körpers, der in den Händen des Arztes hängt wie ein nasser
       blauer Lappen. Das plötzliche Alleinsein nach der Geburt. Wie unsere
       Tochter irgendwann an uns vorbeigeschoben wird und wir sie alleine
       davonfahren lassen müssen. Das Gefühl, sie in diesem Moment, wenige Minuten
       nach ihrer Geburt, im Stich zu lassen. Die vielen Stunden des Nichtwissens.
       Tod? Lebendig? Irgendwas dazwischen?
       
       Die vielen Tage und Nächte auf der Kinderintensivstation. Die Kühlmatte,
       die die Körpertemperatur unserer Tochter auf gut 33 Grad senkt, um
       Hirnschäden zu minimieren. Die vielen Schläuche, das Piepen, das Morphium,
       das automatisch in ihren Körper gespritzt wird, das vorsichtige
       Auf-die-Brust-legen, das Erwärmen unserer Tochter.
       
       An all das muss ich denken, als ich Demircis Text vor mir habe. Ich bin bei
       der Arbeit. Ich kann den Artikel nicht am Schreibtisch zu Ende lesen. Was
       ich fühle, das zeige ich schon privat kaum – und auf der Arbeit, in der
       Öffentlichkeit schon gar nicht. Ich gehe raus.
       
       Und ich denke an die Verhandlungen mit Gott, die ich allabendlich geführt
       habe. Verhandlungen mit einer höheren Macht, an die ich in dieser Form –
       als in den Lauf der Welt eingreifende Instanz – doch eigentlich gar nicht
       glaube. Doch mit wem kann man denn sonst um Leben und Tod feilschen? Mit
       dem Teufel? An den glaube ich ja noch weniger. Es ist der verzweifelte
       Griff nach irgendwas.
       
       Und so verhandele ich: Meine Forderungen variieren, von „Lass meine Tochter
       ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen“ über „Lass sie laufen können“
       bis „Lass sie essen können“, je nachdem, wie es ihr gerade geht. Wenn ich
       beispielsweise mitansehen musste, wie meine wenige Tage alte Tochter
       flehentlich nach Luft ringt, schnappt und schnappt, immer blauer anläuft –
       und die Ärzt*innen ihren Versuch, die künstliche Beatmung zu beenden,
       schnell wieder abbrechen, dann sinken meine abendlichen Forderungen an
       Gott.
       
       Zu bieten habe ich die ganze Zeit das Gleiche, was nicht viel ist: fester
       Glaube, regelmäßiges Beten, Gottgefälligkeit. Obwohl ich genauso wenig wie
       irgendein anderer Mensch weiß, was Gott gefällt.
       
       Trotzdem hat Gott seinen Teil unserer Abmachung gehalten. Vor einer Woche
       war die Schuluntersuchung unserer Tochter. Keine Auffälligkeiten. Viel Spaß
       in der Schule.
       
       Und ich? Ich hab nicht mal weitergebetet. Das einzige, was geblieben ist,
       ist der naive Glaube daran, dass so etwas wie Wunder manchmal tatsächlich
       passieren.
       
       Ich wünsche Ihnen allen und besonders der Familie von Katja Demirci
       (unbekannterweise) frohe Weihnachten!
       
       25 Dec 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/unser-sohn-starb-als-er-eine-woche-alt-war-wie-eine-mutter-mit-der-trauer-um-ihr-kind-lebt/25305508.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürn Kruse
       
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