# taz.de -- taz🐾thema: Ein erster Hefe-Kurs
       
       > Noch ist Zeit. Doch wer diesen Text gelesen hat, muss sich an die Arbeit
       > machen, wenn Weihnachten ein selbst gebackener Christstollen
       > angeschnitten werden soll
       
 (IMG) Bild: Das mit Puderzucker bestäubte Gebildgebäck soll an das in ein Tuch gewickelte Christkind erinnern
       
       Von Carola Rönneburg
       
       Viele Menschen fürchten den Hefeteig. Er scheint ihnen zu kompliziert, zu
       arbeitsaufwendig und vor allem nachtragend zu sein. Obwohl Letzteres
       stimmt, ist der Hefeteig keine Diva. Man muss ihn nur verstehen lernen, und
       dabei hilft es, sich mit dem wunderbaren Hefepilz, Saccharomyces
       cerevisiae, zu beschäftigen. Er wird für die handelsübliche Bäckerhefe
       gezüchtet und kommt als gepresster Würfel oder als Trockenhefe in den
       Handel.
       
       Die Hefe führt ein erstaunliches Leben: Sie kann mit oder ohne Sauerstoff
       existieren. Damit unterscheidet sie sich von der Mehrheit aller Lebewesen.
       Die sind entweder auf Sauerstoff angewiesen oder vertragen ihn gar nicht;
       das gilt zum Beispiel für viele Bakterien. Die Hefe dagegen kommt mit jeder
       Situation zurecht. Von Sauerstoff umgeben, wandelt sie ihren Nährboden in
       Kohlendioxid und Wasser um und vermehrt sich. Ohne Sauerstoff bildet sie
       weniger neue Zellen und verlegt sich auf die Produktion von Kohlendioxid
       und Ethanol, also Alkohol – ein sehr nützlicher Prozess bei der Herstellung
       berauschender Getränke.
       
       In einem Kuchenteig findet die Hefe besonders gute Bedingungen: viel
       Zucker, ihre Lieblingsnahrung. Sie kann sich also fröhlich vermehren und
       den Teig mit viel Kohlendioxid auflockern. Am besten und schnellsten
       gelingt ihr das bei Temperaturen zwischen 28 und 32 Grad, sie arbeitet aber
       auch in kühlerem Klima, weshalb zum Beispiel ein Pizzateig über Nacht im
       Kühlschrank aufgeht. Zu große Hitze vernichtet die Zellen: Schon 45 Grad
       sind zu viel für die Hefe. Schwierigkeiten hat sie auch mit Fetten, doch
       die sind überwindbar.
       
       Und damit ans Werk: Wer den Hefeteig fürchtet, wiegt jetzt mutig Mehl ab,
       hält die restlichen Zutaten (siehe Kasten) bereit und stellt einen
       sogenannten Vorteig her. Dafür erhitzt er die Milch kurz und lässt sie
       wieder abkühlen, falls sie zu heiß geworden ist. An die 45 Grad denken! Die
       Hefe wird in die lauwarme Milch gebröselt, mit dem Zucker und fünf
       Esslöffeln von dem Mehl gut verrührt. 55 Gramm Hefe entsprechen übrigens
       einem Würfel plus einem Sechstel eines Würfels. Im Zweifel darf dieses
       Sechstel eher größer als kleiner ausfallen, denn die Hefe hat noch viel
       Arbeit vor sich. Mit einem Tuch abgedeckt, kommt der Vorteig an einen
       warmen Platz, zum Beispiel in die Nähe eines Heizkörpers.
       
       Lange Zeit war der Weihnachtsstollen übrigens ein scheußliches Gebäck. Die
       Fastenregeln für den Advent, die jahrhundertelang an insgesamt 40 Tagen
       galten, ließen nur Mehl, Hefe, Wasser und Öl als Zutaten zu. Den
       hartnäckigen Bemühungen des Fürstenhauses Wettin im Kurfürstentum Sachsen
       ist es zu verdanken, dass diese Verordnung aufgehoben wurde: Fünf
       Pontifikate lang bearbeiteten die Adligen den jeweiligen Papst, damit er
       Milch, Butter und Zucker von der Ausschlussliste nähme. Sie brachten
       gewichtige Argumente vor, etwa dass Zucker eine heilende Wirkung entfalte,
       wenn jemand auf einer Jagd von einem Wolf gebissen werde. Doch erst der
       sechste Papst, Innozenz XIII., schrieb 1491 mit einem sogenannten
       Butterbrief die Fastengebote um.
       
       Unser Vorteig benötigt weniger Zeit. Nach etwa 20 Minuten gärt es in ihm
       gewaltig. Zusammen mit dem Mehl, der sehr weichen Butter und den Eigelben
       knetet man ihn händisch oder in der Küchenmaschine glatt. Danach werden die
       restlichen Zutaten sorgfältig hineinmassiert. Untergebracht in einer großen
       Schüssel und abgedeckt, kommt der Teig zurück an seinen warmen Ort. Hier
       soll er nun in Ruhe aufgehen, und diese Ruhe ist auch erste
       Hefephobikerpflicht: Wer an einem Hefeteig scheitert, hat ihn meiste zu
       früh für fertig erklärt. Grundsätzlich gilt: Warten, bis sich der Teig
       verdoppelt hat. Besonders wegen der Butter dauert es hier eine Weile, bis
       die Hefe wieder Kohlendioxid im Teig verteilt hat.
       
       Sind Plan und Teig schön aufgegangen, war’s das aber noch nicht. Wieder
       steht Knetarbeit an, noch einmal muss der Teig kräftig durchgewalkt werden.
       Danach bekommt er seine charakteristische, etwas hügelige Form, die den
       Stollen als Gebildgebäck ausweist: Immerhin soll er später, mit Puderzucker
       bestäubt, an das in ein Tuch gewickelte Christkind erinnern. Es gibt
       Backformen für dieses Unterfangen, aber bei Bäckern ist das verpönt. Die
       Stollenprofis des Schutzverbandes Dresdner Stollen e. V. haben es sich
       sogar zum Gesetz gemacht, auf Backformen zu verzichten.
       
       Eine Anleitung findet sich in „Giacomo Perini’s Schweizerzuckerbäcker“
       (fünfte, gänzlich umgearbeitete, vermehrte und verbesserte Auflage) aus dem
       Jahr 1893: „Man macht wie gewöhnlich einen Vorteig und bearbeitet unter
       Vermengung aller übrigen Zuthaten den Teig recht zart, lasse wiederholt
       aufgehen und rollt den Teig auf dem Backtisch zu einer langen Walze
       ziemlich dick aus, in der Mitte wird diese Rolle, wenn man ihn auf ein
       Blech gesetzt hat, um den dritten Teil seiner ganzen Länge in der einen
       Seite glatt niedergedrückt und dieser niedergedrückte Teig auf die
       hochstehende Kante zurückgeschlagen, so daß dadurch eine Art Saum
       entsteht“, heißt es dort. Ist das geschafft, darf sich der Teig noch einmal
       eine halbe Stunde erholen, bevor er im vorgeheizten Ofen bei 170 Grad in
       etwa einer Dreiviertelstunde fertig backt und dabei seinen herrlichen
       Geruch verbreitet.
       
       Das fertige Produkt ist mächtiger als ein Dresdner Stollen, der ohne Eigelb
       auskommt. Aber dieses Gebäck gibt es auch nur einmal im Jahr, und das
       rechtfertigt den letzten Schritt: Sobald der Stollen den Ofen verlassen hat
       – und er sieht doch gut aus, oder? –, pinselt ihn der zufriedene Bäcker mit
       der flüssigen Butter ein, bis nichts mehr von ihr übrig ist. Er
       bepuderzuckert ihn, lässt ihn auskühlen und wickelt ihn fest in
       Klarsichtfolie ein, Mindestens zwei Wochen, besser vier, bleibt der Stollen
       nun in einem kühlen Raum und erhält vor dem Anschneiden eine frische
       Schicht Puderzucker. Hat noch jemand Angst vor Hefeteig?
       
       16 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carola Rönneburg
       
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