# taz.de -- Twitter ohne politische Werbung: Netter Versuch
       
       > Twitter will keine bezahlten politischen Anzeigen mehr annehmen. Das ist
       > sicher nicht falsch, geht aber am Problem der Plattform vorbei.
       
 (IMG) Bild: Politische Beeinflussung funktioniert auch ohne Werbung
       
       Es brauchte nur ein paar Tweets, um Mark Zuckerberg in der öffentlichen
       Wahrnehmung an die Wand zu spielen. [1][Jack Dorsey, CEO des
       Kurznachrichtendienstes Twitter, verkündete am Mittwoch auf der eigenen
       Plattform], dass diese in Zukunft keine bezahlten politischen Anzeigen mehr
       annehmen würde. Das soll sowohl unmittelbare Wahlwerbung, als auch
       sogenannte issue ads betreffen, Anzeigen also, die eine bestimmte
       Sichtweise auf umstrittene gesellschaftliche Themen wie
       Schwangerschaftsabbrüche und Immigration, bewerben. Die genaueren Details
       der neuen Regelung werden in den kommenden zwei Wochen bekanntgegeben, in
       Kraft treten wird sie noch im November.
       
       In direktem Widerspruch zu Facebook-Chef Mark Zuckerberg, [2][der gerade
       heftiger Kritik für seinen Umgang mit politischen Werbeanzeigen ausgesetzt
       ist], erklärte Dorsey, dass es sich dabei nicht um eine Frage der
       Meinungsfreiheit, sondern schlicht um bezahlte Reichweite handele. Geschäft
       ist also Geschäft. Wie viel Umsatz Twitter durch die Maßnahme verlorengehen
       wird, legte Dorsey nicht offen. Schätzungen gehen davon aus, dass der
       Anteil politischer Anzeigen auf Facebook etwa 0,5 Prozent (etwa 250
       Millionen Dollar) des Umsatzes ausmacht, bei Twitter dürften die Zahlen
       weitaus niedriger sein.
       
       Der Streit um politische Werbung auf Sozialen Medien berührt einen
       wichtigen Punkt politischer Meinungsbildung. Wie auch bei Plakatwerbung,
       Anzeigen in Printmedien oder Clips im Fernsehen, können für Positionen mit
       starkem finanziellen Rückhalt größere Reichweiten gekauft werden. Das gilt
       in besonderem Maße für die USA, wo für fast jeden politischen Streitpunkt
       und die Kandidat*innen aller politischen Lager Einfluss und Macht gerne
       daran gemessen werden, wie viel Geld die jeweiligen Kampagnen mobilisieren
       können. Anders als auf den klassischen Wegen jedoch haben durch Effekte wie
       virale Reichweiten auf Sozialen Medien auch Positionen von Minderheiten
       oder solche ohne große Kriegskasse eine Chance auf großflächige
       Wahrnehmung.
       
       Die Qualität der politischen Debatte wird sich durch die Abschaffung
       politischer Anzeigen auf Twitter derweil nicht ändern. Das Unvermögen oder
       der Unwille der Plattform, zivile Umgangsformen durchzusetzen und der
       rasanten Verbreitung von Hassrede, Rassismus und Sexismus vorzubeugen,
       bleibt von der Maßnahme unberührt. Die großen Reichweiten eines bestimmten
       Politikertypus' (man denke nur an Donald Trump) werden ebenfalls nicht
       angefasst.
       
       Vordringlicher als das relativ kleine Problem mit politischen Anzeigen auf
       Twitter wäre die energische Umsetzung transparenter Richtlinien zum Schutz
       der Nutzer*innen vor Bedrohung und Hass auf Twitter. Solange organisierte
       Trolle dort Stimmen aus dem linkeren Spektrum [3][regelmäßig mit
       konzertierten Meldeaktionen zum Schweigen bringen], ihr Menschenhass aber
       keinerlei Sanktion erfährt, ist der Applaus für Jack Dorsey wohl etwas
       voreilig. Denn nicht jeder Schritt in die richtige Richtung markiert eine
       echte Bewegung dorthin. Manchmal wird diese so nur simuliert, um nicht
       wirklich an die Wurzel des Übels gehen zu müssen.
       
       31 Oct 2019
       
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