# taz.de -- Nazis in der Höllenglut
       
       > Ihr letztes, sperriges Drama hat Else Lasker-Schüler 1940/41 in Jerusalem
       > geschrieben. „IchundIch“ ist eine Art Selbstporträt der geflohenen Jüdin
       > – und eine Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Wie aktuell das Stück
       > ist, zeigt Johannes Harneits Opernadaption in Hamburg
       
 (IMG) Bild: Ist das nicht der Golem aus dem 1920er-Film? Immer wieder spielt „Ichundich“ mit expressionistischer Stummfilmästhetik
       
       Von Dagmar Penzlin
       
       Wenn die Dichterin „Nazi“ singt, klingt es wie „Hatschi“ – nur eben mit N
       als erstem Buchstaben. So wie es jetzt auf der Probebühne der Staatsoper
       Hamburg klingt, so hätte es sicherlich auch Else Lasker-Schüler gefallen:
       In ihrem Drama „IchundIch“ schreibt die Expressionistin die verhassten
       Nationalsozialisten stets verfremdet „Nacis“. Else Lasker-Schüler
       höchstselbst kommt in „IchundIch“ aus dem Jenseits, um die Generalprobe
       ihres Stücks zu erleben. Nichts weniger als einen „Faust III“ hat sie
       verfasst. Faust, insbesondere der von Goethe mit den zwei Seelen in seiner
       Brust, stand Pate für „IchundIch“.
       
       Die Rahmenhandlung dieses Spiels mit dem Stück im Stück hat der Komponist
       Johannes Harneit aus dem Konzept von Lasker-Schülers Originaltext
       übernommen. „Der Titel ‚IchundIch‘ meint das innere und äußere Ich“, sagt
       Harneit. Der eigentliche Sinn des Titels sei, „dass die Innen- und die
       Außenwelt übereinander kommen“. „IchundIch“ sei „sozusagen das innere Ich,
       das wir alle als sehr vielfältig empfinden, das viele Anteile hat. Und das
       äußere Ich, das mit der Welt fertig werden muss. Um das zusammenzubringen,
       deswegen musste sie das Werk noch mal schreiben.“
       
       Das „äußere Ich“ von Else Lasker-Schüler war konfrontiert mit der Hetze und
       der Gewalt des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland. Die
       deutsch-jüdische Autorin wurde mehrfach auf offener Straße verprügelt,
       ebenso verunglimpften Teile der Presse ihr Werk. Nach der „Machtergreifung“
       Adolf Hitlers 1933 floh sie über die Schweiz nach Jerusalem. Erschöpft vom
       Leben als Migrantin, schrieb die über 70-Jährige „IchundIch“ im Winter
       1940/41 – wenige Jahre später starb sie.
       
       Johannes Harneit kennt das Stück schon vier Jahrzehnte: Als Jugendlicher
       entdeckte der gebürtige Hamburger es im Bücherregal seiner Eltern. Zunächst
       als Fragment, dann erschien vor einigen Jahren eine Neuausgabe des
       Exilstücks. „Dieses Drama war so trocken und auch lustig und so bösartig“,
       sagt Harneit, „dass ich dachte, das ist eine ganz andere Seite von ihr. Das
       war ein ganz anderer Zugang, der gut zu ihrer Bekanntschaft mit Brecht und
       dem verfremdenden Theater passte.“
       
       Tatsächlich vermischt Else Lasker-Schüler hier die Grundkonstellation von
       Faust versus Mephisto, von Gut versus Böse, mit vielen biblischen,
       literarischen und religiösen Anspielungen. Auch zeitgeschichtliche Figuren
       wie Joseph Goebbels und Adolf Hitler treten auf. Johannes Harneit und seine
       Librettistin Lis Arends haben den Originaltext um gut 40 Prozent gekürzt,
       ohne die Dialoge und Reime anzutasten. Die ohnehin rhythmisierte Sprache
       lade zum Komponieren geradezu ein, sagt Harneit.
       
       Als „eine Art surrealistischen Offenbach“ bezeichnete Lasker-Schülers
       Zeitgenosse Franz Goldstein „IchundIch“ nach einer ersten Lesung. Und genau
       hier knüpft Johannes Harneit an. Das in weiten Teilen bissige, um nicht zu
       sagen grimmig satirische Stück, das den auftretenden Reigen von
       Nationalsozialisten als dumm und grausam entlarvt, um schließlich alle in
       der Höllenglut schmoren zu lassen, dieses Stück hat der Komponist in ein
       schillerndes Klanggewand gekleidet.
       
       Polystilistisch geht Harneit zu Werke: Volksmusik-Zitate stehen neben
       Kunstlied-Illusionen, Dissonantes kommentiert vermeintlich Vertrautes. Der
       Schüler von György Ligeti zitiert etwa Trauermarschrhythmen von Felix
       Mendelssohn, Richard Wagners Wotan-Motiv und auch all das, was an
       Musik-Zitaten im Originaltext zu finden ist, mit dem Ziel, wie er sagt,
       eine Art „Dokumentaroper“ zu schaffen, die die nicht-nationalsozialistische
       Kultur aus der Zeit um 1940 einfängt.
       
       „Ich hab gedacht: Wenn sie schon selbst ein Schauspiel schreibt und du
       nimmst das als Oper, dann tust du ihr den Gefallen und nimmst all ihre
       Musikbeispiele, die sie im Schauspiel haben möchte, und baust die da ein“,
       sagt Harneit. „Zum Beispiel ‚Muss i denn zum Städele hinaus‘, was sie ja
       pfeift und singt, das steht genau so im Stück. Oder ‚Freut Euch des
       Lebens‘, das die am Ende singen, gerade im schlimmsten Moment, das ist auch
       im Stück drin. Oder das schöne Lied von Grieg ‚Ich liebe Dich‘, das ist
       auch von ihr ausgesucht. Ihr Werk ist im Grunde eine Rettung der deutschen
       Kultur.“
       
       So sperrig das Drama von Else Lasker-Schüler zugleich ist, in der Vertonung
       von Johannes Harneit bekommt das vielschichtige Geschehen eine
       Sinnlichkeit, eine Eindringlichkeit, die fesselt und auch bedrückt. Etwa
       wenn Lasker-Schülers Mephisto – der alte Mephisto wurde früh ausgemustert –
       sich den Nationalsozialisten entgegenstellt. Als Dokumentaroper ohne
       Aktualisierungszwang gelingt hier eine Schlüsselszene. „Das Stück erinnert
       uns auch daran, dass wir so lange uns diesem Werk nicht gestellt haben“,
       sagt Harneit. „Und dass ihre Fragen von 1940, dass die 2019 leider wieder
       topaktuell sind.“ Es sind Fragen wie: Warum kann Menschenverachtung
       politisch verfangen und bei Wahlen Stimmen bekommen?
       
       Die Uraufführung auf der Probebühne 1 der Staatsoper Hamburg hat Christian
       von Treskow stimmig inszeniert: Das Publikum sitzt um das Geschehen herum
       beziehungsweise mittendrin. Von Treskow konzentriert sich darauf, dem
       ohnehin komplexen Werk eine klar strukturierte Aufführung zu ermöglichen.
       Ohne aktuelle Anspielungen.
       
       Die Kraft dieses Musiktheaters unter der musikalischen Leitung von Johannes
       Harneit zeigt sich auch dank eines fein aufspielenden Kammerorchesters und
       eines stimmig besetzten Sängerensembles. Sopranistin Gabriele Rossmanith
       als Dichterin und Bariton Jóhann Kristinsson als „neuer“ Mephisto
       überzeugten bei der Uraufführung besonders.
       
       Alles in allem eine denkwürdige Gratulation zum 150. Geburtstag von Else
       Lasker-Schüler in diesem Jahr. „IchundIch“ von Johannes Harneit verdient
       weitere Aufführungen, auch an anderen Theatern.
       
       „IchundIch“: So, 10. 11, 17 Uhr, + Di, 12. 11., 19.30 Uhr, Hamburg,
       Staatsoper, Probebühne 1
       
       9 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dagmar Penzlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA