# taz.de -- Maren Kroymann im Interview: „Rehe, Hasen und Wildschweine“
       
       > Maren Kroymann ist eine der großen Kabarettistinnen der Republik. Ab
       > Donnerstag ist sie in Berlin auf der Bühne und auch im TV zu sehen.
       
 (IMG) Bild: 70 Jahre alt und keine Angst vor Wildschweinen: Maren Kroymann
       
       taz: Frau Kroymann, wer ist Sylke von Nazareth? 
       
       Maren Kroymann: Sylke von Nazareth ist die erfundene Frau von Jesus, eine
       Figur aus meiner neuen Satire-Staffel. Sie vollbringt die Wunder, die er
       für sich reklamiert. Seine Jünger feiern ihn: „Hey, super, schon wieder aus
       Wasser Wein gemacht.“ Und sie sagt: „Moment, den Wein habe ich doch gerade
       an der Pferdetränke gekauft!“
       
       Und was sagt Jesus dazu? 
       
       Den Jesus spielt Kai Schumann, wir haben da immer eine sorgfältige
       Besetzung. Der windet sich und versucht sich durchzuschummeln bei seinen
       Kumpels, den Evangelisten Johannes und Matthäus. Das ist ja der Klassiker,
       die Frau hinter einem bedeutenden Mann wird gar nicht wahrgenommen.
       
       Sie wären fast Lehrerin geworden. Wären Sie eher die Komische, die Gerechte
       oder die geworden, die ihre Schüler:innen auch mal vor dem Läuten in die
       Pause schickt? 
       
       Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Ich hätte vermutlich eine
       Theatergruppe aufgebaut und meine Schülerinnen und Schüler mit Theater
       bespielt – wahrscheinlich eher komische Stoffe. Ich wäre aber auch pingelig
       gewesen, und zwar in dem Sinne, dass man Vokabeln wirklich auswendig lernen
       muss.
       
       Sie hätten Englisch und Französisch unterrichtet? 
       
       Ja, da geht es um Übersetzungen in beide Richtungen und da sieht man dann
       auch, wie jemand seine eigene Sprache beherrscht.
       
       Und die Literatur dazu hätten Sie aus Frankreich und den USA mitgebracht,
       wo Sie studiert haben? 
       
       Ja, ich war nach dem Abitur in den USA, gerade 18 geworden. Ich ging an ein
       Frauencollege im Mittleren Westen, das war eine richtige Befreiung für
       mich. Weil da nur Frauen waren, habe ich falsche Hemmungen abgelegt. Es hat
       zudem im Pionierland Amerika Tradition, andere Menschen zu ermutigen, etwas
       zu machen, das sie noch nicht können, und ihnen dafür den Raum und den
       Zuspruch zu geben. Ich wurde selbstbewusster. Der Vietnamkrieg spielte in
       der Situation in den USA noch keine größere Rolle, das kam erst später in
       Frankreich hinzu.
       
       Als Studentin in Paris? 
       
       Mein linkes Erweckungserlebnis war die Demonstration in Paris am 1. Mai
       1971. Da kamen eine Million Leute. Es wurden hundert Jahre Pariser Commune
       gefeiert. Dabei waren zum Beispiel auch Transvestiten. Und die Tänzerinnen
       des Variététheaters Folies Bergères, die von der Kommunistischen Partei
       kamen und voll aufgebrezelt zur Demo aufmarschierten. Das fand ich toll,
       ein solch sinnenfreudiges und auch sehr lustiges Image hatte ich bislang
       nicht mit Kommunismus in Verbindung gebracht. Während in Tübingen ein
       Haufen Studenten zusammenhockte, dem ich mich unterlegen gefühlt hatte, war
       mir das zugänglich. Und auch die Frauenbewegung fing dort gerade neu an.
       Das habe ich dort gesehen und erlebt und mir danach gedacht: Natürlich muss
       ich jetzt nach Berlin!
       
       Zwischenfrage, um Ihr Sprachstudium und Ihr Paris-Erlebnis
       zusammenzubringen: Was halten Sie es mit dem vieldiskutierten Gendern der
       Sprache etwa durch den Binnenasterisken? 
       
       Das Sternchen habe ich mir noch nicht angewöhnt. Ich habe aber viel mit dem
       Binnen-I gearbeitet. Ich finde es jedenfalls richtig, sich darum zu
       kümmern, weil die Schriftsprache auf unser Denken zurückwirkt. Nicht
       umsonst kommt diese grundsätzliche Genderfeindlichkeit von ganz rechts. Das
       sind die, die nichts verändern wollen an der untergeordneten Position der
       Frauen.
       
       Kern dieser Sprachspiele ist ja letztlich der Universalismus: Alle Menschen
       sind gleich! 
       
       Ja, und der ist eben auch Grundlage des Feminismus. Darum bin ich
       Feministin geworden, weil ich finde, dass wir gleich sind, aber ungleich
       behandelt werden. Es gab mal eine Professorin, die vorgeschlagen hatte,
       dass alle Professoren, gleich welchen Geschlechts, verallgemeinernd nur
       noch Professorinnen genannt werden. Der hätte ich am liebsten den ersten
       Preis für weltverändernde Satire verliehen – einfach, weil die Reaktionen
       auf ihren Vorschlag so aufschlussreich waren.
       
       Sie haben vier ältere Brüder. Mussten Sie sich gegen die durchsetzen? 
       
       Ein Durchsetzen war es eher nicht. Die waren älter, die gaben vor, was
       passierte. Mein ältester Bruder brachte die Dreigroschenoper mit Lotte
       Lenya und Georg Kreisler als LP mit. Mein zweiter Bruder hörte Elvis
       Presley. Ich konnte also unendlich viel von diesen Brüdern übernehmen. Und
       gut reden können sie bis heute, drei der vier sind Juristen geworden, die
       sind in der Lage, Wörter wie kleine Waffen zu benutzen – und große. Aber
       auch ich lud mich mit eigenen Vorbildern und Leseerfahrungen auf.
       
       Wen würden Sie nennen? 
       
       Zuerst natürlich Astrid Lindgren und Enid Blyton. Aus einer späteren Phase
       würde ich die Autorin Dorothy Parker nennen, denn generell gibt es in der
       englisch-amerikanischen Literatur mehr witzige Frauen. Dann Claire Waldoff,
       die den Hosenanzug trug, bevor ihn Marlene Dietrich weltberühmt machte. Und
       Letztere ist zwar als Vorbild viel zu groß, es aber war aber immer
       beruhigend zu wissen, dass es eine solch politische und starke Frau schon
       mal gegeben hatte. Eine Frau, die singt, spielt, das Material nimmt, das
       sie zur Verfügung hat, also auch sexy und elegant ist. Die Filme sind ja
       bekannt, aber dann ist sie mit 50 Jahren als Diseuse mit Burt Bacharach auf
       Tournee gegangen. Und Kurt Tucholsky ist ganz wichtig, dann Erich Kästner,
       Karl Kraus, Ingeborg Bachmann, Helmut Qualtinger und Gerhard Polt. Und auch
       mein Vater war auf eine Art ein Showman. Ich erlebte den ja nicht als
       Philologieprofessor, sondern als ausgezeichneten Stante-pede-Redner bei
       Konfirmationen und runden Geburtstagen.
       
       Und den haben Sie ja dann auch übertroffen. Damit zurück nach Berlin. Sie
       sind also nach Ihren Pariser Erlebnissen nach Berlin gegangen – warum war
       das so dringend? 
       
       Es war ganz klar, dass ich aus Tübingen wegmusste. Meine Eltern sahen das
       auch so; da sie beide aus Berlin stammten, konnten sie sich gut damit
       anfreunden. Und, naja, den Vater übertroffen (lacht): Ich war dann erst mal
       im Hanns-Eisler-Chor und das Stand-up-Format ist bis heute nicht meins. Ich
       habe mit „Nachtschwester Kroymann“ und meiner aktuellen Sendung ja auch
       eigene Mittel. Also: Im Berlin der Siebziger jedenfalls waren die
       Lehramtsstudenten von der Musikhochschule im Eisler-Chor. Wir waren Linke,
       die den Kommunisten der SEW, also der Sozialistischen Einheitspartei
       Westberlins, nahe standen, oder waren Mitglied. Von Eisler hatte ich die
       Texte in Paris gelesen. Ich ging nach einem Konzert nach vorn und sagte,
       wenn ihr so was nochmal macht, möchte ich mitsingen. Ich war ja
       kirchenchorgeschult und wusste, die Inhalte des Kirchenchors stimmen für
       mich nicht, aber die Technik habe ich. Aus diesem Konzert hat sich dann der
       Hanns-Eisler-Chor gegründet. Und ich war von Anfang an dabei.
       
       Eine rote Kapelle? 
       
       Wir hatten zwei Dirigentinnen, das war schon revolutionär. Mein erstes Solo
       war das Lob des Kommunismus aus „Die Mutter“ von Gorki und Brecht – noch
       mit der Kopfstimme, die Diseusenstimme hatte ich noch gar nicht entdeckt.
       Für einen Auftritt am Internationalen Frauentag, dem 8. März, haben zwei
       weitere Frauen und ich dann ein Programm mit Texten und Liedern von und
       über Frauen zusammengestellt. Der ganze Chor konnte nicht auftreten, viele
       nahmen das auch nicht so wichtig, aber im Osten war der Tag als Feiertag
       vorgegeben. Und ich meldete mich dann erstmals dafür; ich sehe heute noch,
       wie mein Zeigefinger hochgeht. Das war der Anfang.
       
       Ihre Karriere begann also ziemlich anlassbezogen? 
       
       L’art pour l’art war einfach keine Möglichkeit für uns, wir wollten uns
       einklinken, politisch unterstützen und uns artikulieren. Aus dem
       Nebenprogramm der Eisler-Chor-Frauen entwickelte sich dann alles Weitere.
       Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich die erste Nancy-Reagan-Parodie bei
       einem Gewerkschaftsabend machte. Der Internationale Frauentag war
       tatsächlich der erste Anlass gewesen, mal etwas anderes einzubringen, Pop,
       Schlager und auch kleine Sketche. Nur ein Mann war dabei, Jacques, der
       damals schon ab und an Frauenkleider trug und später zu Judith wurde,
       Tonmann bei meinem ersten Soloprogramm „Auf Du und Du mit Stöckelschuh“.
       Aber bis dahin waren es wirklich Stufen der Entwicklung. Die Sache sprach
       sich herum und war wohl einfach gut. Mir fehlt aber bis heute immer etwas
       der Größenwahn der Männer – ich bin toll, ich muss was machen! –, sondern
       alles muss auch inhaltlich gebunden sein.
       
       Und dann geht Ihre Bühnen-, Film- und Fernsehkarriere über Dieter
       Hildebrandt, der Sie in die Sendung „Scheibenwischer“ holte, in die großen
       Kanäle. Am 31. Oktober 2019 treten Sie nun auch wieder in Berlin im Tipi am
       Kanzleramt auf, ansonsten sind Sie ein Stern der Bar jeder Vernunft. Seit
       alledem leben Sie in Berlin – wo eigentlich in der Stadt? 
       
       Ich bin in Berlin bestimmt zwanzig Mal umgezogen, Schöneberg, Westend,
       Tempelhof, Neukölln, Kreuzberg – das habe ich alles durchgemacht. Aber ich
       habe mich immer irgendwie im alten Westen aufgehalten. Schon ganz am Anfang
       habe ich beim Sophie-Charlotte-Platz in Charlottenburg gewohnt, weil es in
       der Nähe der TU war.
       
       Und wo Sie auch jetzt wieder wohnen? 
       
       Ja, und ich muss sagen, dass ich zum ersten Mal das Gefühl habe, in einem
       Kiez zu leben. Hier gibt es einen Zusammenhalt; in dieser Umgebung fühle
       ich mich wahnsinnig wohl. Meine Nichten und Neffen sind natürlich alle nach
       Friedrichshain oder Prenzlauer Berg gezogen, in den coolen Osten. Aber die,
       die vor dem Mauerfall gekommen sind, wie ich, sind irgendwie Wessis
       geblieben. Ich gehe hier fast jeden Tag durch den Grunewald, wenn ich kann:
       In welcher Großstadt kann man schon ein solches Naturerlebnis haben?
       Wochentags ist man auf Seitenpfaden da manchmal einsam wie im Bayerischen
       Wald. Du triffst Rehe, Hasen und Wildschweine!
       
       Fast wie im TV-Business? 
       
       Unbedingt. Aber dann sogar eine Bache mit Frischlingen, sieben Stück! Das
       Eichhörnchen, der erste Specht. Und dann erst der Rotdorn, dem ich den Satz
       meines alten Freundes Christoph Primm entgegenschmettern muss: „Nirgends
       blüht der Rotdorn so erschütternd wie in Berlin!“ Und auf dem Rückweg oder
       auf dem Kaiserdamm mit den alten Gaslaternenformen hat man hier das Gefühl
       von einem Pariser Boulevard: Diese tolle Blickachse auf den Fernsehturm und
       manchmal bis zum Roten Rathaus. Das liebe ich auch.
       
       30 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anselm Lenz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Maren Kroymann
 (DIR) Kabarett
 (DIR) Schauspiel
 (DIR) Maren Kroymann
 (DIR) Eichwald, MdB
 (DIR) Grimme-Preis
       
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