# taz.de -- Lange Nacht der Museen: Durch die Nacht mit Mori Ôgai
       
       > Das kleinste Museum, das auch diesmal bei der Langen Nacht der Museen
       > mitmacht, ist einem japanischen Studenten in Berlin gewidmet: Mori Ôgai.
       
 (IMG) Bild: Zu Besuch in der Mori-Ôgai-Gedenkstätte
       
       Als Mori Ôgai in Berlin ankam, war er erst mal verdutzt. „Sind Sie
       vielleicht Anarchist?“, soll ihn eine preußische Pickelhaube bei einem
       seiner Ankunftsbesuche des Jahres 1884 vor der dem preußischen
       Regierungssitz gefragt haben. Die Berliner*innen erschienen dem
       japanischen Schriftsteller und Mediziner ansonsten als ausnehmend höflich,
       als wären sie „von einem Tanzlehrer darin unterwiesen, wie man sich erhebt
       oder sich setzt, wie man eine Verbeugung oder einen Kniefall macht“.
       
       Die Sitten seiner japanischen Landsleute in der Stadt kamen ihm
       demgegenüber „ungeschliffen“ und sogar „lächerlich“ vor. Das kann sich
       heute selbstverständlich kein Mensch mehr vorstellen. Ôgais literarisches
       Werk nimmt im heutigen Japan etwa jenen kanonischen Rang ein, den Schiller
       für Deutschland hat.
       
       Dem progressiven Universalgelehrten aus Tsuwano widmete die
       Humboldt-Universität 1985 eine Gedenkstätte in der Luisenstraße 39 in
       Mitte. Vor der Studentenzeit Ōgais in Berlin, hatte gerade die 200-jährige
       Phase der Isolation aufgegeben und begann, sich der Moderne und dem Ausland
       zu öffnen. So brachte Ôgai erstmals europäische Theaterformen nach Japan –
       ein Bruch mit skandalösen Auswirkungen.
       
       Seine Beschreibungen persönlicher Begegnungen von Europäer*innen und
       Japaner*innen, hier wie dort, finden sich im Kurzgeschichtenband „Im
       Umbau“, die sich mit den umsturzhaften Veränderungen im Japan der Zeit
       befassen. In seiner Zeitungskolumne in der Tokioter Subaru (Die Plebejer)
       stellte er Figuren wie Käthe Kollwitz und Vincent van Gogh erstmals der
       japanischen Öffentlichkeit vor, übersetzte Oscar Wildes Dramen.
       
       ## Das Museum ist ihr Lebenswerk
       
       Für Beate Wonde, von Beginn an Mitarbeiterin und Kuratorin der Berliner
       Ôgai-Gedenkstätte, ist das kleine Museum ihr Lebenswerk. Seit 35 Jahren
       erhält und entwickelt sie praktisch im Alleingang das kleine Museum im
       ersten Stock des ersten Wohnhauses, in dem Ôgai sein erstes Zimmer in
       Berlin hatte. Die Ausstellung ist vollständig zweisprachig, Japanisch und
       Deutsch.
       
       Bei einem Rundgang im Uhrzeigersinn (die einzige Abweichung, die sich laut
       Wonde nicht parallel handhaben ließ; in Japan geht man konventionell gegen
       den Uhrzeigersinn) lässt sich in der Ausstellung in einer halben Stunde
       eine ausgesprochen interessante und auch heitere Figur der Jahrhundertwende
       kennenlernen – und das Berlin der Zeit mit einer japanischen Sensibilität
       betrachten, die europäische Leser*innen heute ansonsten vielleicht noch bei
       Haruki Murakami erwarten würden. Für die diesjährige Lange Nacht der
       Museen hat Wonde eine Sonderausstellung kuratiert. Besucher*innen können an
       einem Kalligrafie-Workshop teilnehmen, der Sonderraum im Museum zeigt auch
       die Herstellung der Tusche aus Ruß, Leim und Duftstoffen.
       
       Für Wonde ist es die letzte Lange Nacht der Museen als De-facto-Direktorin
       der Ōgai-Gedenkstätte. 2020 geht sie in Rente. „Ich habe mich nie als Frau
       diskriminiert gefühlt“, erzählt sie der taz bei grünem Tee: „Ich habe in
       der DDR alle Möglichkeiten als Akademikerin und Mutter bekommen.“ Aber
       mittlerweile sei es doch erstaunlich, wie sehr die Humboldt-Uni die Erfolge
       des Museums ignoriere. Den internationalen Rang des kleinen Museums als
       Anlaufstelle und anerkannte Wissenschaftsadresse habe die
       Universitätsleitung kaum auf der Rechnung; die Wirkung sei trotzdem da.
       
       Annette Meier, Kunsthistorikerin und Projektleiterin der Langen Nacht der
       Museen 2019, lobt, dass die Mori-Ôgai-Gedenkstätte zur Langen Nacht „immer
       voll“ sei „wegen des schönen Sonderprogramms“. Erstaunlich finde sie, mit
       welcher Qualität und welchem Einsatz „dieses Ein-Frauen-Museum“ aufwarte.
       Das fußläufige Medizinhistorische Museum biete sich als nächste Adresse an,
       wo die vielbesprochene Ferdinand-Sauerbruch-Sonderausstellung zu
       besichtigen sei, eine ambivalente Figur zwischen Karriere im NS-Staat und
       wissenschaftlicher Höchstleistung. Die Exponate pathologisch-deformierter
       menschlicher Organe in der Dauerausstellung seien natürlich ebenfalls
       „Dauerbrenner“ für Schaulustige und Wissbegierige.
       
       31 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anselm Lenz
       
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