# taz.de -- Osttimor 20 Jahre nach dem Referendum: Großer Schritt im kleinen Land
       
       > Die Osttimoresen stimmten am 30. August 1999 für die Unabhängigkeit.
       > Fortschritte gibt es bei der Bildung, die portugiesische Amtssprache
       > hilft nicht.
       
 (IMG) Bild: Osttimors Tourismussektor hat Potenzial: Abendstimmung am Strand der Hauptstadt Dili
       
       DILI taz | „Es war eigentlich unvorstellbar, dass wir 1999 die Möglichkeit
       bekamen, per Referendum über unsere Eigenständigkeit abzustimmen“, sagt der
       heute 65-jährige José Luiz de Oliveira. Während Indonesiens Annexion der
       früheren portugiesischen Kolonie lebte der Sportlehrer im Exil in Portugal.
       Er kehrte erst 2002 in seine Heimat zurück.
       
       Am 30. August jährt sich das Referendum zum 20. Mal: „Es gleicht einem
       Wunder, dass wir als so kleines Land nun selbstbestimmt unseren Staat
       aufbauen können, auch wenn wir seitdem Krisen erlebt haben“, sagt Luiz de
       Oliveira und zeigt stolz auf die mit Nationalflaggen geschmückten Straßen.
       
       Die Freude über das Ergebnis von 78,5 Prozent für die Unabhängigkeit währte
       nur kurz. Nach Verkündigung des Ergebnisses wurden von Indonesiens
       abziehenden Truppen und Milizen rund 1.500 Menschen getötet, 300.000 flohen
       ins benachbarte Westtimor. 80 Prozent der Infrastruktur wurden zerstört.
       Erst eine von Australien geführte UN-Intervention beendete die Gewalt.
       
       2002 wurde Osttimor unabhängig, doch 2006 musste eine neue UN-Mission die
       Gewalt zwischen meuternden Soldaten, Polizisten und Jugendbanden beenden.
       2008 gab es Attentate auf den damaligen Präsidenten, dem
       Friedensnobelpreisträger José Ramos Horta, und auf den Ministerpräsidenten
       und Freiheitshelden Xanana Gusmão. Beide überlebten.
       
       ## „Wir haben gelernt, mit Krisen umzugehen“
       
       „Das waren Schockmomente“, sagt Luiz de Oliveira, „aber wir haben gelernt,
       mit Krisen umzugehen.“ Bei der jüngsten Führungskrise 2017/2018 zwischen
       den rivalisierenden Parteien Fretilin und CNRT blieb es erstaunlich
       friedlich.
       
       Fortschritte gibt es vor allem im Bildungssektor. Die Analphabetenrate sank
       von über 95 Prozent während der portugiesischen Zeit auf heute 16 Prozent.
       Die Zahl der Schulen wuchs in den ersten 15 Jahren der Unabhängigkeit von
       93 auf über 1.500, die Zahl der Lehrkräfte verdoppelte sich auf 14.000.
       
       Qualität und Ausstattung vieler Schulen jedoch sind schlecht. Die Gehälter
       der Lehrkräfte reichen gerade für das Notwendigste. „Aber es geht uns im
       Vergleich zu unseren Eltern und Großeltern gut, die ja oft gar nicht zur
       Schule gehen konnten oder durften“, sagt die 21-jährige Politikstudentin
       Izabel Soares de Pinto.
       
       Ihr portugiesischer Name und der mehr als 90-prozentige Bevölkerungsanteil
       der Katholiken sind Relikte der fast 500-jährigen portugiesischen
       Kolonialzeit. Seit der Unabhängigkeit ist Portugiesisch neben der lokalen
       Sprache Tetum wieder Landessprache.
       
       ## Große Sprachenvielfalt
       
       „Doch viele tun sich schwer, diese für uns fremde Sprache zu lernen und zu
       verstehen“, sagt Soares de Pinto. Auf der Inselhälfte, die so groß wie
       Schleswig-Holstein ist und 1,2 Millionen Einwohner hat, gibt es 20 weitere
       Sprachen.
       
       „Diese Sprachenvielfalt ist eine große Herausforderung für uns,“ sagt Nelia
       Fernandez, die eine Frauenorganisation leitet. Die alte
       Widerstandsgeneration spreche eher Portugiesisch, während die Jüngeren mit
       Indonesisch aufgewachsen sind.
       
       Als Portugal 1975 nach seiner Nelkenrevolution Osttimor sich selbst
       überließ, fand Portugiesisch als Amtssprache ein jähes Ende. Indonesiens
       Einmarsch beendete Osttimors Unabhängigkeit nach neun Tagen. Die Besatzung
       dauerte 24 Jahre. 200.000 Timorer verloren dabei ihr Leben. Indonesisch
       wurde zum Maß aller Dinge. „Und heute sollen wir nun alle Portugiesisch
       lernen, denn Gesetze und der Unterricht an der Uni sind auf Portugiesisch.
       Doch viele Lehrbücher sind noch auf Indonesisch“, moniert Fernandez.
       
       ## Wachsende Ungleichheit
       
       Bisher flossen über 17 Milliarden US-Dollar in den Wiederaufbau. Es gab
       große Fortschritte bei Infrastruktur, Elektrifizierung und dem
       Verwaltungsaufbau. Auch die Versorgung der Bevölkerung verbesserte sich.
       Doch kommen nicht alle Investitionen bei den Menschen an. Das
       Stadt-Land-Gefälle wuchs. Zugang zu Trinkwasser und Gesundheitsversorgung
       sind auf dem Land weiter ein Problem.
       
       Auch in der Hauptstadt Dili wächst die Ungleichheit. Neben gut situierten
       ausländischen Experten hat sich eine lokale Ober- und Mittelschicht
       gebildet. Trotz der Wirtschaftswachstumsprognose von 5,5 Prozent für 2019
       schrumpft der Bevölkerungsanteil der Armen von einem Drittel nur langsam.
       
       „20 Jahre sind ja eigentlich keine Zeit, es braucht eben länger. Die Jugend
       muss nun den Aufbau übernehmen“, meint Sportlehrer Luiz de Oliveira. Die
       Studentin Soares de Pinto sagt: „Wir wollen ja mehr Verantwortung
       übernehmen, aber sind leider nicht in den Entscheidungspositionen.“ Sie
       beklagt falsche Prioritäten. „Statt in viele Großprojekte wie einen
       überdimensionierten Hochseehafen sollte noch mehr in Bildung und
       Gesundheitsversorgung für alle investiert werden.“
       
       Dass sie das als junge Frau in einem patriarchalischen Land sagen kann, ist
       in anderen asiatischen Ländern nicht selbstverständlich. Für die Economist
       Intelligence Unit des gleichnamigen britischen Wirtschaftsblattes ist
       Osttimor Südostasiens demokratischstes Land. Die aktive Zivilgesellschaft
       erinnert die Regierung immer wieder daran, mehr Jobs für junge Leute zu
       schaffen. Das vor allem von Erdöl und Gas lebende Land muss neue Sektoren
       entwickeln, denn die Ölquellen werden irgendwann versiegen.
       
       Tourismus und nachhaltige Landwirtschaft bieten Potenzial. Letztere ist für
       Junge jedoch nicht attraktiv. „Unsere Eltern und Großeltern sind arme
       Bauern. Ich studiere doch nicht, um wieder aufs Land zurückzugehen. Ich
       will in Dili leben“, sagt Studentin Soares de Pinto. Die Versorgung dort
       ist gut, das Internet funktioniert und am Wochenende gibt es viele
       Ausgehmöglichkeiten – das dafür nötige Geld vorausgesetzt.
       
       30 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Kircher
       
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