# taz.de -- Der Hausbesuch: Ahmad kocht die Leberknödel
       
       > Sabine Parzinger gondelt zwischen Flüchtlingsheim, Wirtshaus und
       > Bergstation. Sie schafft das nur, weil es eine neue Liebe in ihrem Leben
       > gibt.
       
 (IMG) Bild: Sabine Parzinger liebt die bayrische Küche, und sie liebt Ahmad
       
       Traunstein taz | Mit 56 Jahren weiß Sabine Parzinger nicht so recht, wo sie
       sich niederlassen soll. Scheitern und Neuanfang gehören schon lange zum
       Leben der Köchin. Und seit einigen Jahren ist die Liebhaberin der
       bayerischen Küche mit jemandem liiert, der ebenfalls einen Neuanfang
       gewagt hat: Ahmad, der von Afghanistan nach Deutschland floh.
       
       Draußen: Traunstein, 18.000 Einwohner, liegt inmitten der Voralpenidylle
       des Chiemgaus. Um den Stadtplatz mit Kirche und blau-weißem Maibaum
       gruppieren sich pastellfarbene Häuser. Von hier aus steigt man die Treppen
       zur „Unteren Stadt“ hinab, auch „Glasscherbenviertel“ genannt. Dort endet
       die Reiseführerszenerie. Im blass-gelb getünchten Wohnhaus wohnt Sabina
       Parzinger. Davor ein kleines Stück Rasen, im Boden steckt ein Schild – ein
       kackender Hund, rot durchgestrichen. An diesem Nachmittag sind kaum
       Menschen auf der Straße, nur Autos rauschen vorbei – das Leben findet in
       der „Oberen Stadt“ statt.
       
       Drinnen: „Kaffee oder Spezi?“, fragt Parzinger. Sie wohnt hier erst seit
       vier Monaten. Was für eine Tortur der Umzug gewesen sei. Von hundert
       Quadratmeter hat sie sich auf sechzig verkleinert. An ihrem alten Wohnort,
       15 Kilometer von hier, hatte sie einen vollgestopften Secondhandladen. „Die
       Sachen sind jetzt noch irgendwo im Landkreis verteilt“, sagt sie. Einiges
       ist auch bei ihr. Vasen, Porzellanpuppen, Buddha-Figuren. Elefantenfiguren
       in Gold und Silber auch. Ihre Lieblingsmuster: Leo und Zebrastreifen – sie
       sind auf Teppichen, Kissen und sogar dem Bügelbrett.
       
       Glamour: Sie mag es, wenn es glitzert. Sie setzt sich an den Couchtisch aus
       Glas mit goldenem Rahmen, verziert mit Glasknubbeln in Diamantenform.
       Darüber hängt ein Kronleuchter. Selbst das Jesus-Kreuz ist mit
       Strasssteinchen besetzt. Die Schönheit ist ihr Gegengewicht zum Alltag.
       
       Die Arbeit: Seit ihrem elften Lebensjahr arbeitet sie in Wirtshäusern. Als
       Bierträgerin schleppte sie, wenn sie aus der Schule kam, den Kellnerinnen
       die Bierkrüge hinterher. Später fing sie als Bedienung an. Dann lernte sie
       ihren Mann kennen und arbeitete im Gasthaus seiner Eltern. Dort brachte man
       ihr das Kochen bei, „von der Pike auf“. Zur Hotelfachschule ging sie nicht.
       
       Das Leibgericht: Was sie am Kochen besonders mag? „Wenn’s gut schmeckt“,
       sagt sie und lacht auf. „Du kannst jeden Tag etwas Neues ausprobieren, mal
       einen Schluck Rotwein in die Soße gießen, mal dunkles Bier. Es fasziniert
       mich, was du aus nichts alles machen kannst.“ Selbst isst sie vor allem
       gern Spaghetti Bolognese. „Mit nichts könnte man mir eine größere Freude
       machen.“ Als sie mit ihrer Tochter schwanger war, gab es die morgens,
       mittags und abends. „Mein Schwiegervater hat immer gesagt: Bei dir hängen
       bald die Nudeln bei den Ohrwascheln raus.“
       
       Das Scheitern: Sie und ihr Mann sind heute nicht mehr zusammen. „2012 bin
       ich gegangen, und wir haben das Haus verkauft“, erzählt sie und streichelt
       die schwarze Katze mit den bernsteinfarbenen Augen, die auf dem Sofa neben
       ihr liegt. Überwunden habe sie die Trennung bis heute nicht. Sie habe doch
       alles gehabt: eine schöne Küche, einen großen Garten, Nachbarn, mit denen
       sie sich unterhalten konnte. „Für mich ist eine Welt zusammengebrochen.“
       Die Scheidung dauerte über sechs Jahre, noch immer sind Fragen des
       Unterhaltes nicht geklärt.
       
       Kein Boden unter den Füßen: Nach der Trennung konnte sie nicht mehr als
       Köchin im gemeinsamen Wirtshaus arbeiten. In den sechs Jahren danach hat
       sie immer wieder neu angefangen: Sie übernahm wieder ein Gasthaus,
       eröffnete ein Café, stand bei Edeka hinter der Wursttheke, wo sie Spargel-
       mit Parmaschinken verwechselte, führte einen Secondhandladen und kellnerte
       in Gasthäusern.
       
       Krise: Zuvor betreute sie noch eine Unterkunft für Geflohene in einem alten
       Hotel. Drei Jahre lang, dann hatte sie einen Zusammenbruch. Sie landete in
       einer Klinik – „wegen der Nerven“. Für 150 Menschen war sie im
       Flüchtlingsheim zuständig vor allem für das Essen, doch oft wurde sie auch
       um zwei Uhr morgens angerufen, wenn sich die Bewohner mal wieder betrunken
       geprügelt hatten. „Es war ein 24-Stunden-Job“, sagt sie. Eines Tages gingen
       im Speisesaal plötzlich zwei Männer aufeinander los, einer biss dem anderen
       das Ohr ab. Sie war in Panik, rief den Krankenwagen. Der Mensch am Ende der
       Leitung sagte: „Das Ohr in eine Plastiktüte packen und schnell in den
       Kühlschrank!“ Die Menschen seien traumatisiert gewesen, sagt sie. Am Ende
       sei es ihr auch so gegangen.
       
       Eine neue Liebe: Einer aber war anders. Eines Morgens schickte das
       Landratsamt wieder einen Bus neuer Asylbewerber zur Unterkunft. „Da war
       mein Ahmad dabei“, sagt sie und zeigt auf ein Foto von ihm im
       Spiegelrahmen. Bevor sie weitererzählt, braucht sie aber erst mal eine
       Zigarette: Am nächsten Morgen saß Ahmad als Erster unten im Speisesaal.
       „Helping?“, habe er gefragt. „Er war ja so schüchtern“, erinnert sie sich.
       Seitdem sei er nicht mehr von ihrer Seite gewichen. Seit sechs Jahren sind
       sie nun ein Paar.
       
       Geben und nehmen: Als er sie das erste Mal gefragt hat, ob er mit ihr nach
       Hause kommen darf, antwortete sie noch: „Ich brauche keinen Mann. Ich habe
       die Schnauze voll.“ Doch Ahmad hat nur den Kopf geschüttelt und erwidert:
       „Doch, du brauchst.“ In der ersten Nacht hielt er sein Versprechen und
       blieb auf seiner Seite des Bettes. Danach kam er jede Nacht mit zu ihr. Er
       musste nicht mehr in der Unterkunft mit den schimmeligen Wänden schlafen,
       und sie musste nach einem langen Arbeitstag nicht mehr den Boden des
       Speisesaals wischen, weil Ahmad das fortan übernahm. Hatte sie also doch
       wieder Lust auf einen Mann? Sabine Parzinger nickt. „Aber nur auf Ahmad.
       Weil ich mich auf den verlassen kann.“
       
       Der Altersunterschied: Ahmad ist 38 Jahre alt. Genau wisse sie es gar
       nicht, es sei ihr auch egal. „Ich dachte mir: Was soll’s? Ich liebe den
       Kerl so.“ Parzinger streckt die Beine auf dem Sofa aus und bläst genüsslich
       den Zigarettenrauch in die Luft. „So alt schau ich auch noch nicht aus, hab
       ich mir gedacht“, sagt sie und lacht. Das einzige Problem sei anfangs die
       Sprache gewesen. „Ich habe Englisch gelernt wie der Teufel“, sagt sie.
       Heute kann Ahmad auch Bairisch. Er hat sich taufen lassen, sie besorgte ihm
       einen Job in einer Edeka-Filiale, mittlerweile hat er einen bewilligten
       Aufenthaltsstatus.
       
       Bairisch oder Afghanisch: Sie selbst ist in Traunstein aufgewachsen, hat
       nie außerhalb des Landkreises gewohnt und die meiste Zeit in Wirtshäusern
       gekocht. Ihren Schweinsbraten habe Ahmad von Anfang an gern gegessen.
       Mittlerweile koche er selbst die besten Leberknödel, das habe sie ihm
       beigebracht.
       
       Innigkeit: Ahmed und sie, das war für sie ein großes Wagnis. Die beiden
       sind ein gutes Team. Nur einmal waren sie sich nicht einig: Als Parzinger
       eines Tages von der Arbeit nach Hause kam und die gesamte Wohnung mit
       Teppichen ausgelegt war. Er habe es ja gut gemeint, aber sie habe sich
       gefragt: „Was soll ich mit so vielen Teppichen?“
       
       Auf Tausend Höhenmetern: Ihr neuester Job liegt an der Mittelstation einer
       Bergseilbahn. Täglich um 9 Uhr steigt sie in diese Seilbahn und fährt zu
       ihrem neuen Gasthof hoch. „Ich war lange selbstständige Wirtin und musste
       immer bangen: Kommen die Gäste oder nicht? Jetzt habe ich zwar die
       Verantwortung für Personal und Einkauf, bin aber bei der Gemeinde
       angestellt.“ Auch die Arbeitszeiten sind geregelt, denn um 17 Uhr geht die
       letzte Gondel ins Tal. Es gefällt ihr.
       
       Ansonsten: Wisse sie auch mit 56 Jahren nicht, an welchen Platz sie sich
       setzen soll. Mit der neuen Wohnung ist sie nicht recht zufrieden – zu
       klein, zu unoffen seien die Nachbarn. „Ich sag es ehrlich: Seit ich mit
       meinem Mann und meinen zwei Kindern auseinander bin, fühl ich mich hier
       nicht wohl und dort nicht wohl.“ Zumindest wollen sie und Ahmad bald in den
       Urlaub fahren. Seit Jahren haben sie das wegen all der Arbeit und der
       Scheidung nicht geschafft. Vielleicht Mallorca.
       
       2 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jana Lapper
       
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